Fotos: Burgtheater / c_Susanne_Hassler-Smith
WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
EUROTRASH von Christian Kracht
Österreichische Erstaufführung
Premiere: 29. April 2022
Will man einem Interview vertrauen, das das Programmheft des Akademietheaters zur österreichischen Erstaufführung von „Eurotrash“ abdruckt, so war die Mutter von Autor Christian Kracht genau so, wie er sie in seinem Roman darstellt – im hohen Alter schon schubweise dement, dem Wodka verfallen und von Medikamenten abhängig. Dennoch hätte der heute 55jährige Autor sich gewünscht, mit ihr noch eine letzte Reise vor ihrem Ende gemacht zu haben. Im Leben wagte er es nicht, aber wie alle Schriftsteller hatte er die Möglichkeit, sich das als Fiktion von der Seele zu schreiben.
„Eurotrash“, die Ich-Erzählung des Christian Kracht, kommt als Zwei-Personen-Stück in eindreiviertel Stunden (kurz und dennoch sehr lang wirkend) also auf die Bühne. Eine Geschichte, bei der man nie wirklich weiß, was real sein soll und was Phantasie. Ein unsicherer Sohn, eine dominante Mutter. Sie träumt von Afrika, er führt sie angeblich dorthin – tatsächlich liefert er sie wieder in der Nervenklinik ab. Zwischendurch mag das eine oder andere an der „Taxifahrt durch die Schweiz“ vielleicht real gemeint gewesen sein, etwa wenn sie in einer Kommune landen – das Forellenessen, das vor 45 Jahren so gut geschmeckt hat, spielt sich hingegen wohl nicht wirklich ab, obwohl auf der Bühne offensichtlich Fisch und Kartoffel am Teller liegen… Und kann man glauben, dass es einem Sohn (gleichgültig, wie abgehoben er sein mag) egal ist, dass die Mutter 600.000 Franken (!!!!) verschenken will oder gar in die Luft schmeißt, wo der Wind die Geldscheine verweht? Da würde man sich doch schnell in die Wirklichkeit zurück begeben, es sei dann, man ist selbst Millionär…
Zugegeben, mit einer solchen Geschichte hat man es als Regisseur nicht leicht. „Eurotrash“, dessen Titel auch im Programm nicht ausreichend erklärt wird (die verächtlichen reichen Europäer? Oder nur das Geld, das wie Mist in ähnlichen Nylonsäcken transportiert wird?) spielt sich vor einem Glitzervorhang, zu Kitschmusik und weitestgehend auf einer grünen, verwandelbaren Allzweck-Couch ab (Ausstattung: Nina Wetzel). Das Geschehen, das Itay Tiran solide ablaufen lässt, wird über die Maßen peinlich, wenn es um den künstlichen Darmausgang der alten Dame geht, deren kotgefüllte Beutel vom Sohn gewechselt und entsorgt werden müssen. Der Schlagabtausch zwischen Mutter und Sohn ist mäßig interessant, weil retardierend und wenig substanziell, ein Nazi-Großvater wird mehr angedeutet als thematisiert, und verbal oder szenisch witzig ist das Geschehen selten. Gelegentlich merkt man den Versuch, „Poesie“ oder Rührung zu erzwingen…
Es kann gut sein, dass „Eurotrash“ als Roman, der sich in der Phantasie des Lesers abspielt, einiges an Leben und Reiz gewinnt. Auf die Bühne gezerrt, haben es die verschiedenen Ebenen von Realität und Phantasie schwer, überzeugend Gestalt zu gewinnen. Vor allem verstößt das Stück, das keines ist, die Handlung, die keine ist, gegen ein Grundgesetz, das nicht nur im Kino gilt: Du sollst nicht langweilen.
Langweilig wirkt vor allem die Hauptfigur, „Er“, von Johannes Zirner mehr als unsicheres und sentimentales denn als sensibles Weichei gespielt. Einige wenige Male darf er, als Schweizer Kellner etwa, in eine Randfigur schlüpfen, mit Akzent und Körpersprache ein wenig komischen Nachdruck vermitteln. Als Sohn gelingt ihm das nicht.
Aber Barbara Petritsch rettet den Abend. Eine verwirrte alte Frau spielt jede erstklassige Darstellerin vom Blatt, zumal man ja hier selbst die Regeln für die Figur aufstellen kann, wie es beliebt. Aber die Kraft, mit der sie den angstvollen Sohn herunterputzt, das hat schon etwas, auch wenn dieses etwas ziemlich schrecklich ist (warum müssen Familienmitglieder miteinander in Bühne und Film so scheußlich umgehen?).
Wie realistisch die Figur ist, die Barbara Petritsch auf die Bühne stellt, vermöchte man nicht zu sagen. Als Theaterereignis schillert und glänzt sie. Und da anzunehmen ist, dass jedes Haus, das auf sich hält, eine große alte Dame hat, die sehnsüchtig auf eine solche Rolle wartet, wird Krafts Roman, der im Akademietheater viel Beifall fand, vermutlich seinen Weg auf der Bühne machen. Auch wenn wirklich wenig dran ist.
Renate Wagner