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WIEN / Akademietheater: ENGEL IN AMERIKA

13.11.2022 | KRITIKEN, Theater

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Markus Scheumann,  Felix Rech  /  Foto: Susanne Hassler-Smith

WIEN  / Akademietheater des Burgtheaters: 
ENGEL IN AMERIKA von Tony Kushner
Premiere: 12. November 2022 

Der Vorhang des Akademietheaters strahlt den Besuchern in (programmatischen) Regenbogenfarben entgegen, aber das ist bis zur Pause das einzig Bunte, das man zu sehen bekommt. Grau in grau, optisch wie inhaltlich, schleppt sich der Abend dahin, bis es im zweiten Teil dann auch auf der Bühne bunter und lebhafter wird, weil man ein ursprünglich zweiteiliges Riesenstück dann überhaps zu Ende bringen will. Aber die Dreiviertelstunde nach der Pause (der ganze Abend dauert drei Stunden fünfzehn Minuten) tröstet nicht über die zwei öden Stunden davor hinweg.

Man zeigt das unter dem Namen „Angels of America“ berühmt gewordene Werk von Tony Kushner, in zwei Teilen 1993/1994 uraufgeführt, schon 1995 zweiteilig in Hans Gratzers Schauspielhaus zu sehen. Das Zeitstück über die amerikanischen Achtziger Jahre, das AIDS zum Thema machte und mit der Ära Reagan (1981 bis 1989) abrechnete. Die Seuche, die Homosexualität, die Politik, der Rassismus, die Religionen (voran Juden und Mormonen) waren Kushners breite Themenpalette. Dabei hat er den Realismus vieler Szenen immer wieder durch irreale Sequenzen durchbrochen – Träume, Halluzinationen, Angstvisionen, bevölkert von religiösen Mythen ebenso wie von den Figuren der Pop- und Drag-Szene. Seinerzeit eine faszinierende Mischung.

Und heute, dreißig (bzw. wenn man die Reagan-Ära nimmt), fast vierzig Jahre danach? Von AIDS spricht niemand mehr, aber gerade wir sollten etwas von einer Pandemie verstehen, von den Ängsten und Verdrängungen, die damit Hand in Hand gehen – zumal es ja auch hier das Leben kosten kann. (Und man sich nicht einmal, wie bei AIDS, darauf zurückziehen kann, es sei ja „nur“ eine Seuche für Schwule.)

Darüber hinaus ist es ein quasi „ewiges“ Stück über Homosexualität, denn vermutlich haben die bürgerrechtlichen Fortschritte nicht für jeden etwas an der Problematik des Außenseitertums geändert, sonst gäbe es derzeit nicht einen solchen Überhang an Schwulen-Filmen in den Kinos. Ein Bedürfnis zu empfinden, das Verheiratete sich versagen müssen, das Männer in Macho-Positionen nie zugeben würden, ist eine Belastung, die Kushner noch ausführlicher beschreibt, als man es hier zu sehen bekommt. Alle vier Haupt-Protagonisten des Stücks sind – mehr oder minder eingestanden – schwul, zwei sterben an AIDS, für zwei gibt es ein „Happyend“ (dafür muss allerdings die  Frau verschwinden).

Am interessantesten erscheint an dem Stück aber – durchaus aus aktuellem Anlass – die politische Ebene. Es geht um Juristen, die der Politik eng verbunden sind (!), wo Jobs angeboten und später Rechnungen präsentiert werden, wo man in der Sauna oder dem Männerpuff Gefälligkeiten aushandelt, und wo die zweifellos ewig gültige Beobachtung ausgebreitet ist, dass, wer immer es in der Politik zu etwas bringen will, die Nähe eines erfolgreichen alten Politikers suchen muss, die Aufmerksamkeit auf sich lenken, sich andienern und anbiedern, um dann, wenn man Glück hat, auf diesen oder jenen Posten geschoben zu werden… Klingt irgendwie ganz vertraut.

Schließlich geht es Tony Kushner auch noch um den Multikultistaat Amerika mit seinen Ressentiments (ein diesbezügliches Gespräch zwischen einem Juden und einem Schwarzen zerstört die Regie durch Sprachspielchen, zu schnell, zu leise, zu laut, dass man kaum Gelegenheit hat, dieser wichtigen Auseinandersetzung wirklich zu folgen). Der Jude Kushner lässt den Rabbi bedauern, dass die heutigen Juden Religion und Tradition der Väter vergessen (und ihren Kindern, was assimilierte Juden immer taten, keine jüdischen Vornamen mehr geben), und er zeigt, wie Mormonen sich mit ihrem Gewissen plagen, was sie möglicherweise vor den größten Schmutzereien abhält…

Also durchaus kein Stück von gestern, sondern mit einigen ewigen Themen. Warum kommt es in der Regie von Daniel Kramer so langweilig einher, so sperrig, so uninteressant? Im ersten Teil ist auch das Bühnenbild von Annette Murschetz weitgehend tot, schwarze Bänke, die sich immerhin verwandeln können – in ein Boot, ein Pissoir, einen Getränkeschrank, einen Sarg, aber das bringt nicht viel. Im zweiten Teil wird es bunter, das Licht spielt mit, die Irrealität, die dem Regisseur überhaupt nicht gut gelingt, hebt ein wenig ab. Die Kostüme der georgischen Künstlerin Shalva Nikvashvili liefern eigentlich nur das absolut Übliche aus der Drag- und Glimmerwelt. Andererseits ist der Mix aus „Realität“ und Pop-Elementen nicht so einfach in der nötigen Geschmeidigkeit und Selbstverständlichkeit zu erreichen.

Vier Herren beherrschen das Geschehen. Anfangs reißt  Markus Scheumann als durch und durch korrupter Anwalt Roy M. Cohn die Szene an sich, ein Telefon-Handy-Gewitter (wer hatte zu Reagans Zeit schon Handys?). Später überschlägt er sich sowohl im hektischen Verleugnen seiner Krankheit wie in der mephistophelischen Verführung zu politischen Untaten.

Joe Pitt ist ein dreifach gequälter Mann, durch seine Frau, durch Cohns schmutzige Angebote und durch seine lange uneingestandenen homosexuelle Neigung (und die Religion noch dazu): Felix Rech macht den Zögerer sympathisch und glaubhaft.

Louis Ironson ist der Zerrissene, als er einsehen muss, dass er nicht die Kraft  hat, seinen AIDS-kranken Geliebten auf seinem letzten Weg zu begleiten – Nils Strunk ist überzeugend in der Schwäche, noch überzeugender in der Anmache, mit der er sich Joe nähert…

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Am wenigsten kommt der sterbende Prior Walter zur Geltung, dafür darf Patrick Güldenberg sich nicht nur mit Dreck (oder was immer…) beschmieren, sondern auch allerlei Fummel anziehen.

In seiner Funktion gänzlich unklar bleibt Bless Amada, den man nicht nur als „schwarze“ Dekoration mit Federbüschen sehen sollte, sondern auch als echten Mitspieler im Geschehen. Aber da natürlich gekürzt wurde wie der Teufel, ergeben sich einfach Löcher in der Geschichte.

Die krasseste Fehlbesetzung war Annamária Láng in der Rolle von Joes Gattin. Man versteht ja nie, was sie sagt, sie könnte jede Sprache da oben reden, als Deutsch wird es jedenfalls nicht kenntlich. Und so bricht die einzige echte Frauenrolle weg, die pillenabhängige Hysterikerin, die mit ihrem verwirrten Geist immer wieder in irgendwelche Drogenräusche abdriftet, von der man aber hier absolut nicht weiß, was sie will und soll.

Gerne mehr hätte man hingegen von Safira Robens gesehen, die nicht nur als mal Krankenschwester, mal Engel, auftaucht,  sondern auch in einer brillanten Kurzszene als Obdachlose in der Bronx.

Wieder einmal brillieren darf Barbara Petritsch in vielen Rollen, am wenigsten als Rabbi, trocken sachlich als Ärztin mit dem Todesurteil, hervorragend als kaltschnäuzige Mormonenmutter, und schließlich als Ethel Rosenberg – Cohn hat sie angeblich mit aller Gewalt auf den Elektrischen Stuhl gebracht, weil er Kommunisten so hasste. Dafür winkt sie ihn ins Jenseits…

Der Premierenjubel war, wie immer in Wien und im Burgtheater besonders, groß. Trotzdem: Das wirkliche Erlebnis stellte sich nicht ein. In dieser Inszenierung waren den Engeln die Flügel gestutzt.

Renate Wagner

 

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