Foto: Burgtheater / Horn
WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
DIE TRAUMDEUTUNG VON SIGMUND FREUD
Von „Dead Centre“
Uraufführung
Premiere: 16. Jänner 2020
Man kann nicht sagen, dass es im Kusej-Burgtheater nichts Neues gäbe. Nun hat auch das „Live Event“ Einzug gehalten, was man zumindest als logistisches Kunststück erachten muss. Was Ben Kidd & Bush Moukarzel, die unter dem Namen der von ihnen gegründeten Union „Dead Center“ durch Europa cruisen, allerdings zu Freuds „Traumdeutung“ zu sagen haben, ist vergessenswert. Ein Eintopf, der sich über den guten Siggi weidlich lustig macht. Dagegen wäre nichts zu sagen – wenn das Ganze in zwei pausenlosen Stunden nicht so beiläufig und wacklig über die Bühne schwankte. Aber es ist ja vermutlich tatsächlich zum größten Teil improvisiert. Es sei denn, der Clou bestände darin, den Zuschauern eine aus dem Publikum geholte Freiwillige, die „Träumerin“, die notwendiger Bestandteil der Geschichte ist, als echt zu verkaufen…
Zuerst hopsen sie herum, die engagierten Profis, Echt-Schauspieler, drei Herren, eine Dame, wer darf seinen Traum erzählen? Es trifft (angeblich auf Grund einer gezogenen Karte) Alexandra Henkel, die sich erst fast nackt auszieht und dann – alles so oft hinterfragend, dass es mehr wie Pirandello wirkt als wie Freud – in den Obervater der Psychoanalyse verwandelt. Anzug, Bart, Perücke reichen, und man glaubt es ihr ohnedies nicht (soll es auch nicht).
Und dann – ja dann jener Faktor der Ungewissheit, der die Sache für alle Beteiligten schwierig, zu einem extremen Risiko und zu einem Improvisationskunststück macht. Denn jetzt kommt (angeblich? Wirklich? So ist es, ist es so?) die freiwillige Dame aus dem Zuschauerraum, die bereit ist, einen Traum zu erzählen – und die nicht bloß auf dem Sofa bleiben darf, sondern den ganzen Abend mitspielen muss. Echt oder nicht echt? Wer weiß das schon.
Nehmen wir mal an: echt. Dann hatte man bei der Premiere extrem Glück. Diese Andrea, die aus dem Kärntner Geburtsland ihre Sprachmelodie mitgebracht hat und jeden Zoll ein Laie auf einer Bühne war, erzählt einen hinreißend dummen, eigentlich auch leicht aufzulösenden Traum: Da ist sie im Vorraum der Arena, weiß nicht, welche Band auftreten wird, sieht einen alten Kellner und erkennt in ihm das Idol ihrer Jugend, Alice Cooper. Super. Glatter Fall von Wunscherfüllung. Alexandra Henkel ist mit der Situation allerdings so überfordert, dass sie fast ins Schleudern gerät. Die Peinlichkeit, die solche Situationen – „ein Freiwilliger aus dem Publikum“ – immer mit sich bringt, droht die Sache zu sprengen.
Doch dann geht es weiter, schließlich haben sich die Briten Ben Kidd & Bush Moukarzel ja hoffentlich zur „Traumdeutung“ auch etwas ausgedacht. Ihre Freud-Kompetenz möchte man allerdings gleich von Beginn an bezweifeln, als Alexandra Henkel den Begriff der „Übertragung“ so windschief erklärt, dass es schon falsch ist. Wie viel die Beteiligten von Freud verstanden haben, oder ob sie nur flüchtig in die „Traumdeutung“ und in die Biographie hinein gelesen haben…
Also, es fällt ihnen eine Szene in Freuds Wohnzimmer ein (die Couch war davor gegenwärtig): Erst sagt ihm Gattin Martha (und das ist schon wieder Alexandra Henkel, denn Andrea, die Freiwillige, war so nett, sich einen Bart umzuhängen und nun ihrerseits „Freud“ zu mimen), dass er endlich aufhören soll, mit ihr zu schlafen, denn sechs Kinder seien genug und sein Coitus interruptus funktioniere offenbar nicht. Dann kommen die Freunde zum Tarock-Kartenspiel: Philipp Hauß verwandelt sich in Josef Breuer, Tim Werths in Oscar Rie und Johannes Zirner in Ludwig Rosenberg (die gab es alle wirklich).
Und jetzt muss man ein bisschen thematisieren: das Kokain, denn Freud war bekanntlich ein Junkie (er war es wirklich, klar, dass in unserer Welt das am meisten interessiert); und die Politik, denn die Juden haben es in Luegers Wien nicht leicht (wir wissen es, aber es muss gesagt werden); und, wir leben ja im #metoo-Zeitalter, ein bisschen Missbrauch darf es auch geben, die Ärzte können ja so leicht fummeln, wo es nicht mehr legitim ist (und die Argumente „Sie hat Zeichen ausgesendet“ und „Freud sagt, das Nein einer Frau ist eigentlich ein Ja“ klingen vertraut); und schließlich juxen sie dann noch über die „Traumdeutung“. Das ist nicht schwer und durchaus legitim, denn Freuds darin erzählte Träume sind schamlos süffig und seine aufgestellten Thesen abenteuerlich. So weit, so gut, und bewundernswert, wie brav Andrea, die Freiwillige, mitmacht. Trotzdem nicht ganz leicht für die anderen, weil sie ja keine Ahnung haben, was sie tun wird…
Von da an schwankt der Abend, der seine Videospielchen ausreizt (der Herr neben mir: „Einmal möchte ich einen Theaterabend ohne Videos sehen“ – nein, ich fürchte, das werden sie nicht mehr spielen…), in die Vergangenheit. Da gibt es (als Film im Hintergrund) die berühmten Fakten / Anekdoten der Freud-Biographie – der Vater, der als „Jud“ vom Gehsteig gestoßen wird und sich nicht wehrt, was Sohn Sigmund zutiefst beschämt, und dessen Phantasien, sich selbst mit dem siegreichen Hannibal zu identifizieren, um hier ein Gegengewicht zu schaffen – schon recht lustig, die Protagonisten mit Hilfe aller Computertricks hier auf Riesenelefanten zu setzen und scheinbar frontal ins Publikum reiten zu lassen… Die Regisseure sind längst im Trubel der wirbeligen Ereignisse versunken.
Irgendwann fragen wir uns auch (warum jetzt in diesem Zusammenhang?), was im Schlaf im Hirn vorgeht. Und dann hat ein offenbar sehr begabtes kleines Mädchen innerhalb kurzer Zeit gelernt, den Traum von Alice Cooper zu lernen und als seinen auszugeben, denn merk’s, lieber Zuschauer, auch wenn Du von der „Traumdeutung“ keine Ahnung bekommst und den Freud nur als Witzfigur erlebst, Träume verweisen auf jeden Fall auf die Kindheit, heißt es in der „Traumdeutung“… also ist die Kinderzimmerszene die ultima Ratio.
Ja, das war’s dann. Gebracht hat es nicht viel, lustig war es bedingt, kompetent eigentlich nicht. Man hat den Eindruck, alle Beteiligten hätten da „in echt“ ihre Nasen zu tief ins Kokain gesteckt: Da ist ja dann jeder Blödsinn erlaubt, wie es scheint.
Auch ohne dem guten Freud im geringsten bierernst gegenüber zu stehen – ein bisschen mehr Dramaturgie hätte dem Abend schon gut getan. Andererseits: Es ist ja Fasching.
Renate Wagner
P.S. Eine Information des Burgtheaters
Von: presse@burgtheater.at [mailto:presse@burgtheater.at]
Gesendet: Freitag, 17. Jänner 2020 12:26
An: Presse Burgtheater
Betreff: Information zu Die Traumdeutung von Sigmund Freud
Liebe Pressepartnerinnen und Pressepartner.
aufgrund vielfacher Nachfrage in Bezug auf die gestrige Premiere Die Traumdeutung von Sigmund Freud möchten wir Sie darüber informieren, dass es sich bei der Träumerin tatsächlich um eine Zuschauerin handelte, die keinerlei Einweisung oder Vorabinformation von uns erhalten hatte.
Es gibt für den Fall der Fälle, dass sich bei einer Vorstellung wirklich niemand aus dem Publikum meldet, eine Komparsin, die den Part ohne Proben übernehmen würde; diese kam aber weder bei den Proben noch bei der gestrigen Premiere zum Einsatz. Und Ziel ist auch, dass diese niemals zum Einsatz kommen sollte.
Mit besten Grüßen
Sabine Rüter