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WIEN / Akademietheater: DIE STÜHLE

Peymann - zum "Letzten"?

13.03.2019 | KRITIKEN, Theater


Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
DIE STÜHLE von Eugène Ionesco
Premiere: 13. März 2019

Die Nostalgie begann schon im Zuschauerraum. Man bemerkte Gesichter, die man schon seit Jahren nicht mehr im Theater gesehen hatte. Es waren die treuen Adlaten der Peymann-Zeit (er leitete das Burgtheater 13 Jahre lang zwischen 1986 und 1999), für die das Theater ohne ihn möglicherweise sinnlos geworden ist. Viele sind mittlerweile silberhaarig wie der legendäre Intendant selbst, der im Juni 82 wird. So sehr hat er sich auf seine „letzte“ Inszenierung im Burgtheater gefreut (bei Martin Kusej wird ihm das Haus nicht mehr offen stehen, dafür geht er dann für Inszenierungen an die Josefstadt) – dann brach sich Hauptdarstellerin Maria Happel ein Bein. Die Premiere wurde verschoben. Dann war sie gesund, und Peymann wurde krank. Regiekollege Leander Haußmann sprang ein. Was von der Inszenierung, die man sah, Peymann ist und was Haußmann – das wissen nur die Insider. Muss auch nicht interessieren.

Gespielt wird in eineinhalbstündiger Spieldauer „Die Stühle“, der berühmte Einakter von Eugene Ionesco. Man kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen, dass Peymann sich das Stück gewünscht hat. Warum? Weil es um Alter geht und um Sinnfragen? Dabei muss man doch zugeben, dass die 67 (!) Jahre seit der Uraufführung 1952 wahrlich nicht spurlos an den „Stühlen“ vorbeigegangen sind. Auch „Absurdes“, auch die „Klassischer“ der Moderne, bleiben nicht ewig jung und frisch. Die Geschichte der beiden Uralten, die mühselig ihre Lebensrituale repetieren und dabei der Menschheit doch noch etwas sagen und hinterlassen wollen, damit sie nicht vergessen werden, ist nicht unbedingt besonders spannend. Sie hat nur ein Gutes: Man kann – wie immer bei „Absurdem“, das in keiner Weise festgeschrieben ist – damit machen, was man will. Es gibt kein „richtig“ oder „falsch“. Es gibt nur, im Sinne eines Theaterabends, eine Inszenierung, die das Publikum erreicht oder nicht.

Peymann+Haußmann – nehmen wir sie als Regieeinheit, beide verantworten, was auf der Bühne passiert – haben den uralten Mann und die uralte Frau erst einmal nicht uralt sein lassen, mitnichten, nicht einmal besonders alt kommen sie einem vor. Auch die „fundamentale Greisenhaftigkeit“ als Geisteszustand (wie „Absurd“-Kollege Arthur Adamov es beschrieb) ist nicht zu finden. Und im Grunde auch keine Tragik. Die Regisseure wussten um die Tücken des Stücks – und wollten ihnen mit einer Art Unterhaltungstheater entgegen treten (was so legitim ist wie jede andere Lösung).

In dem Bühnenbild von Gilles Taschet (auf jeder Seite vier Türen, und die nach und nach herbeigebrachten Sessel ganz einheitlich) erscheinen Maria Happel und Michael Maertens geschminkt wie Stummfilmstars, vor allem sie skurril gekleidet in schwarze Künstlichkeit (mit roter Unterwäsche für eine CanCan-Szene) – Margit Koppendorfer schuf die Kostüme.

Die beiden dürfen im Verlauf des Abends mehr und mehr zu unterhaltendem Nonsense neigen, die Slapstick-Manier expandiert, wenn die Heldin drei „Doubles“ erhält, die ihr beim Aufstellen der „Stühle“ helfen. Dabei wird der Komik aber nicht die persönliche Ebene des Stücks geopfert – die Alte liebt ihren „Alten“ ganz offenbar herzlich und ehrlich, ihre Zuneigung trägt den Abend. Wenn die imaginierten Gäste der beiden kommen, darf wieder die das vergnüglich Abstruse hochkochen, und dass Happel und Maertens, beide versierte Komödianten, sich ihre Virtuosenstücke nicht entgehen lassen, versteht sich. Immerhin vergessen die Regisseure mit ihrer Hilfe auch nicht auf ein Quentchen Poesie. Wenn sie schon ganz auf den fragenden Unterton verzichten, den gerade „absurde“ Stücke gerne haben… dafür explodieren nach und nach die Musik und die unterhaltenden Regieideen.

Am Ende begeht das Paar bekanntlich Selbstmord (nein, sie müssen nicht die Riesenleitern hoch, die da auf der Bühne stehen, das Sterben wird verfremdet), und dass ausgerechnet Mavie Hörbiger, die zur Rolle passt wie die Faust aufs Auge, den finalen „Redner“ verkörpert, ist wohl nicht anders zu erklären als mit Familienzusammenführung (weil der Gatte vielleicht gern mit ihr auf der Bühne stehen mag). Denn der „Redner“, der dann keine Stimme hat, also nicht zum Sprachrohr der Alten wird (Ionescos doch sehr perfide Schlußwendung, die dem Nihilismus abgeguckt ist), überzeugt in Gestalt einer tänzelnde Blondine im weißen Anzug nicht wirklich…

Am Ende spürte man die Spannung: Würde Peymann zum Applaus (der entsprechend herzlich ausfiel) auf die Bühne kommen? Es kam Leander Haussmann, der – sehr nett und loyal – ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift „PEYMANN“ trug. Der Mensch denkt, und der Theatergott lenkt. Hoffentlich zeigt er bei Peymanns geplanter Josefstädter Thomas-Bernhard-Inszenierung mehr Einsehen.

Renate Wagner

 

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