Fotos: Burgtheater © Marcella Ruiz Cruz
WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
DIE SCHWERKRAFT DER VERHÄLTNISSE
Nach dem Roman von Marianne Fritz
in einer Fassung von Bastian Kraft
Uraufführung
Premiere: 18. Dezember 2021
Marianne Fritz, das ist zweifellos ein Name in der österreichischen Literatur der Gegenwart. Ob sich auch die Kenntnis von Werken damit verbindet, sei dahin gestellt. Um diese Autorin (1948-2007) wurde nie viel medialer Wirbel gemacht. Die Literaturwissenschaft lobte, die Kollegen und Kolleginnen auch. Vielleicht rückt der schmale, etwas über hundert Seiten lange Roman, mit dem sie 1978 debutierte und der ihr bekanntester blieb, jetzt durch die Burgtheater-Aufführung im Akademietheater so richtig ins Bewusstsein. „Die Schwerkraft der Verhältnisse“ erzählt von einem zerstörten Frauenleben.
Es ist eine Nachkriegsgeschichte, die im fiktiven österreichischen Ort Donaublau spielt. Die schüchterne Berta verliebt sich in Rudolf, der der Richtige für sie gewesen wäre, um das fragile Geschöpf vor dem Leben zu beschützen. Doch er kommt nicht aus dem Krieg zurück. Kamerad Wilhelm, dem er den Auftrag gegeben hat, sich um Berta zu kümmern, heiratet sie, obwohl sie schwanger ist, später bekommen auch die beiden gemeinsam noch ein Kind. Scheelen Auges werden sie von Wilhelmine beobachtet, der „guten Freundin“, die von Anfang an Wilhelm für sich selbst beansprucht hätte…
Bis dahin gleicht die Dramatisierung, die Regisseur Bastian Kraft dem Roman angedeihen ließ, einem Hörspiel – die Figuren sprechen ihre Dialoge, aber gewissermaßen auch die „szenischen Bemerkungen“. Um daraus theaterwirksame Bilder zu machen, hat Kraft hoch artifizielle Schattenspiele erzeugen lassen, die immer wieder ablenken, weil man sich den Kopf zerbricht, wie sie so perfekt gelingen könnten…
Damals schon weiß man, dass mit Berta, der man auch in einem Spitalsbett begegnet, etwas passiert sein muss – rund um sie schwebt das „weise Mütterchen“ herum: Im Stil einer „weißen Hexe“ hebt sich das Geschehen solcherart von der Erdenschwere ab.
Doch es ist jener Teil des eindreiviertelstündigen pausenlosen Abends, der wirklich unter die Haut geht, als sich im Hintergrund der sonst leeren Bühne eine Wohnung erhebt – so eng, dass die Bewohner es schwer haben, sich darin zu bewegen. (Bühne: Peter Baur. Alltagskostüme der Nachkriegszeit: Inga Timm.) Denn hier begibt sich nun die Tragödie, die aus der gar nicht „medea“-haften Berta die Mörderin ihrer beiden Kinder macht – Kinder, die niciht „passen“, die man in der Schule gern in Sonderschulen abschieben möchte, Kinder, die wahrscheinlich im Kriegsschauplatz des Lebens untergehen werden, Kinder, denen Berta die „Schwerkraft der Verhältnisse“ nicht zumuten möchte. Dass diese Morde gewissermaßen „diskret“ erfolgen, entspricht Bertas stiller Persönlichkeit – sie möchte die Kinder und sich (was ihr dann nicht gelingt) einfach erlösen. Das Wissen, dass „das Leben eine Wunde“ ist, „und diese Wunde heilt so schwer“, mag mancher in sich tragen, ohne es zu formulieren. Hier ist es Konzept.
Als Berta still und schweigend den Rest ihres Lebens in der geschlossenen Anstalt verbringen wird (eh gut, meint Wilhelmine, da werde für sie gesorgt, und um die Kinder sei gewissermaßen nicht schade…), hat sich die Freundin nun endlich, endlich den Ehemann geholt. „Ego te absolvo“, sagt das weise Mütterchen zu Berta, aber wo Religion um Gefüge dieses Schicksals eine Rolle spielt, hält Bastian Kraft sie klein – sie nützt nichts, aber sie schadet auch nicht. Ist für nichts, was da geschieht, verantwortlich.
Markus Meyer, Stefanie Dvorak
Die für den Zuschauer erkennbarste und überzeugendste, dabei schrecklichste Figur des Werks ist in die Hände von Stefanie Dvorak gelegt, die aus alltäglichem Parlando-Ton alle Bosheit und Bösheit der Welt holt. Wilhelmine zählt zu jenen Menschen, die unter der Maske triefender Süßlichkeit und Anteilnahme den Schwachen die größten Gemeinheiten ins Gesicht sagen – jeder kennt solche Typen, sie sind die Herrscher des Mobbings, Ausgrenzens, Beleidigens, Heruntermachens, Schmerzzufügens, Seelenzerstörens. Sie sind Alltag, überall, die ganz normalen Zerstörer ihrer Mitmenschen. Die Täter. Eine Figur wie diese, so richtig beobachtet, trägt dazu bei, dass aus der traurigen Geschichte kein Tränendrüsen-Kino wird.
Katharina Lorenz, Barbara Petritsch
Allerdings ist Katharina Lorenz als Berta ganz das stille Opfer, schweigend, verinnerlicht, die Frau, die sich nicht helfen kann gegen die Schwerkraft der Verhältnisse. Markus Meyer als ihr Ehemann ist der Schwächling, während der Rudolf des Nils Strunk positive Kraft ausstrahlen darf, solange ihm das kurze Bühnenleben gegeben ist. (Wenn er nicht mitspielt, hat Strunk ganz wichtigen Anteil an der starken Wirkung des Abends durch die Live-Musik, die er am Bühnenrand erzeugt) Wahrlich hexenhaft, aber nicht böse, schleicht Barbara Petritsch durch das Geschehen, zwei halbwüchsige Kinder wehren sich gegen den Druck von Anpassung und Leistungszwang. (Wobei es natürlich auch keine Lösung ist, sie umzubringen…)
Das ist keine spektakuläre Geschichte, aber eine starke, und sie wird kunstvoll, aber nicht penetrant artifiziell auf die Bühne gebracht. Die Moral ist eindeutig: Kümmert Euch um die Schwachen. Sie brauchen Hilfe. Da echte Nächstenliebe derzeit nicht eben Konjunktur hat, sollte man der Aufforderung Gehör schenken. Viel beeindruckter Beifall im nicht ganz vollen, aber doch gut besuchten Haus.
Renate Wagner