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WIEN / Akademietheater: DIE FRAU VOM MEER

07.09.2013 | Allgemein, Theater

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Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
DIE FRAU VOM MEER von Henrik Ibsen
Premiere: 7. September 2013

Zu Beginn krächzt Satchmo „What a Wonderful World“, am Ende wird es von einem kleinen Jungen mit durchdringendem Sopran schier endlos und unerträglich gesungen. Nur, damit man auch wirklich mitbekommt, dass es alles andere als eine „Wonderful World“ ist, in der wir leben. Nicht bei Henrik Ibsen – und noch weniger bei seiner Interpretin, der Regisseurin Anna Bergmann.

Sie hatte natürlich ein besonders schwieriges Stück vor sich. Ibsen – das ist immer wieder „Peer Gynt“ und die „Gespenster“, und das sind „Nora“ und „Hedda Gabler“ als seine berühmtesten Heldinnen. Manches wird gelegentlich gespielt – „Wildente“, „Volksfeind“, „John Gabriel Borkman“. Weniges mehr und das aus guten Gründen. Denn den so gut wie nie gezeigten Stücken („Die Frau vom Meer“ war allerdings 1985 mit Elisabeth Orth in der Titelrolle am Burgtheater zu sehen gewesen) ermangelt es in den meisten Fällen an Überzeugungskraft. Das empfand auch Anna Bergmann, so dass sie an dieser „Frau vom Meer“ eine Menge änderte – aber wenn man sich mit einem Werk nicht befreunden kann, könnte man ja auch die Finger davon lassen. Niemand wird gezwungen, etwas zu inszenieren, oder?

Diese Ellida Wangel, die titelgebende Dame, hat einiges von Wagners Senta – sie fühlt sich geheimnisvoll an einen fernen Seemann gebunden, und es scheint, als würde sie ihre ganze bürgerliche Existenz aufgeben, um mit ihm ins Ungewisse zu gehen. Sie hat ihn als Seelennotstand jedenfalls in ihre Ehe mit Dr. Wangel mitgebracht und quält nun als Halb-Verrückte sich, den Gatten, die ganze Familie, das Stück und die Zuschauer. Nein, die gute Ellida ist keinesfalls ein großer Wurf. Tatsache ist jedenfalls, dass bei Ibsen der geheimnisvolle Fremde leiblich auftaucht – in der Inszenierung im Akademietheater erleben wir ihn als Vision Ellidas, die im Wasser liegend (wir dürfen sie per Video von oben beobachten) auch seinen Text spricht. Und am Ende will man Ibsens Lösung nicht glauben – dass der vernünftige und liebende Doktor Wangel, der seiner Frau die Freiheit der Entscheidung lässt, über das Phantom siegt und die Gattin zurück bekommt. Wäre vielleicht auch kein Vergnügen gewesen. Aber hier jedenfalls muss er ihr Sterbehilfe leisten und sie ersäufen… und man fragt sich schon, was das Ganze soll.

Anna Bergmann bedient sich der Mittel, die das deutsche Regietheater inzwischen wie selbstverständlich instrumentalisiert hat – erst entwickelt sich das Geschehen auf leerer Bühne, später, als sie ein „Zimmer“ hinstellen lässt (Bühne: Ben Baur), wird dieses nach allen Regeln der Kunst von der Titelheldin zerlegt, damit sie zu dem unter den Bodenbrettern gelegenen Wasser geraten kann (es regnet dann auch noch, es ist ein feuchter Abend). Anfangs bleiben alle Figuren im Hintergrund auf der Bühne, wie brockenweise treten jene vor, die gerade „dran“ sind. Es muss auch willkürliche, seltsame Aktionen geben – der Mann, der ins Aquarium kriecht, dort untertaucht, wieder hervorkommt, nass ist. Und? Ja, und die Videos (Sebastian Pircher): Ohne die geht es ja nun gar nicht mehr. Ob man in Rückblenden sieht, wie das Kind von Ellida und Wangel stirbt (samt Begräbnis), ob die Kamera sie live verfolgt und ihr Bild riesig auf die Wände wirft – es macht nicht viel Sinn, aber es ist derzeit bei allem üblich, was als „moderne Inszenierung“ durchgehen will. Castorf lässt grüßen. Alles in allem: Eindreiviertel pausenlose Stunden, an Willkür reich, an Überzeugungskraft arm.

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Fotos: Barbara Zeininger

Gegen Ende sieht man einen Ansatz: Hätte Anna Bergmann sich entschlossen, das Stück so zu inszenieren, wie Ibsen es gemeint hat, nämlich die somnambule Außenseiterin in einer bürgerlichen Gesellschaft, dann hätte sie noch deutlicher machen können, was ihr andeutungsweise gelingt: nämlich die Darstellung gänzlich disfunktionaler Beziehungen. Wangel und Ellida sowieso. Die ältere Stieftochter Bolette (eine der besten Leistungen, die man von Alexandra Henkel gesehen hat), die merkt, dass sie sich eine Art „Leben“, frei vom Elternhaus und dessen Zwängen, mit ihrem Körper erkaufen muss, indem sie ihren alten Lehrer (Tilo Nest, als Figur nicht wirklich scharf umrissen) heiratet. Da ist die jüngere Stieftochter Hilde, die auf moderne Weise cool und seelenlos ist (Jasna Fritzi Bauer macht das geradezu erschreckend klar) und mit einem schwer kranken jungen Möchtegern-Künstler herumspielt, mit dem sie keine wirklichen Absichten hat: Christoph Luser darf überzeugend einen jener gedankenlosen Ibsen-Machos verkörpern, die meinen, Frauen seien nur zur Annehmlichkeit der Männer da… und ist dabei ein bemitleidenswerter Moribunder.

Da der „Fremde“, der von Ibsens Gnaden auftauchen würde, gestrichen wurde, ist nur noch Franz J. Csencsits in der Nebenrolle des Ballested, Mann für alle Gelegenheiten, zu sehen: Warum er als Drag-Queen auftauchen muss, entzieht sich jeglicher Einsicht.

Und da sind noch die Wangels: Falk Rockstroh, den man schon manchmal gefesselt bewundert hat, darf für den unglückseligen Doktor – mit Struwwelpeter-artigem weißen Schopf – wenig mitbringen: Was ihn bewegt, wird nicht wirklich klar. Christiane von Poelnitz hingegen ist für alle seltsamen Geschöpfe, die die Bühne hervorgebracht hat, wie geboren. Mit langer Rothaar-Perücke geht sie durch alle exzentrischen Aktionen, die die Regie ihr vorschreibt, realisiert sie mit Sicherheit gerne. Vielleicht hätte ein „elfenhafteres“ Geschöpf hier dem, was Ibsen für seine Außenseiterin wollte, besser gedient. Aber wen interessierte schon Ibsen?

Nicht die Regisseurin, nicht die Darsteller und auch nicht das Publikum, das freundlichen Beifall spendete.

Renate Wagner

 

 

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