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WIEN / Akademietheater: DIE EINGEBORENEN VON MARIA BLUT

21.01.2023 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: c_Susanne-Hassler-Smith

WIEN / Akademietheater: 
DIE EINGEBORENEN VON MARIA BLUT
Nach dem Roman von Maria Lazar
Bühnenfassung von Lucia Bihler und Alexander Kerlin
Uraufführung
Premiere: 20. Jänner 2023 

Maria Lazar, Jahrgang 1895, eine junge, kämpferische Jüdin, bewegte sich erfolgreich in Wiens Literatenkreisen, Oskar Kokoschka hat ein schönes Porträt von ihr gemalt. Wie für alle ihre jüdischen Landsleute endeten Karriere und das bisherige Leben mit dem Anschluß. Aus ihrer Emigration in Skandinavien ist sie nicht  zurück gekehrt, sie starb 1948.

Einige ihrer Werke sind mittlerweile publiziert worden, und das Burgtheater hat 2019 ihr Stück „Der Henker“ gespielt. Nun hat man, aus welchen Gründen auch immer, ihren Roman „Die Eingeborenen von Maria Blut“ dramatisiert. 1937 hat Maria Lazar, wie viele andere Schriftsteller auch, die Gefahr des aufkommenden Nationalsozialismus gewittert und eine Entwicklung, die sich bereits abzeichnete, satirisch und warnend dargelegt.

Also: Maria Blut (ob der Tiroler Ort gemeint ist?), typische kleine Provinzstadt rund um eine Marienkirche mit Statue (ob diese Blut spendet, wird nicht klar – wie so vieles andere auch nicht). Die „Eingeborenen“, wie die sich selbst für so gut und brav haltenden Einheimischen genannt worden, blasen zum voraussehbaren Halali auf die Außenseiter – der Doktor ist ein „Roter“ und hat seiner Frau keine Letze Ölung geben lassen (deshalb an Schnitzlers „Professor Bernhardi“ zu denken, wie im Programmheft vorgeschlagen, ist allerdings der blankste Unsinn), der alte Anwalt ist Jude und überlegt sich schon, seinen Enkel nach Palästina oder England zu schicken, das Dienstmädchen muss fürchten, obwohl die Nazis noch gar nicht richtig an der Macht sind, in die Tschechoslowakei abgeschoben zu werden, und die jungen Leute (und die alten Saturierten) kokettieren mit den illegal schon präsenten Nazis. Freilich, wenn diese eine Fabrik anzünden, dann sind natürlich die „Bolschewisten“ schuld… All das könnte nicht offensichtlicher auf der Hand liegen.

Die Dramatisierung des Romans, von der Regisseurin und dem Dramaturgen des Abend unternommen, mit ein paar Zwischentexten aus dem Off (die nichts bringen und dann aufhören), zersplittert in viele kleine Szenen. Völlige Klarheit dessen, was da geschieht, erzielt man nicht, schon weil Regisseurin Lucia Bihler eine Form gefunden hat, die programmatisch schwer erkennen lässt, wer wer ist.

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Sie kann mit sechs Schauspielern auskommen, weil jeder, der gerade keine „Rolle“ spielt, einen riesigen, ausdrucksleeren Kopf einer Zelluloidpuppe übergestülpt bekommt. Die töricht-starren Mienen repräsentieren sozusagen die „Eingeborenen“ schlechthin.

Die „Menschen“ dazwischen sind allerdings durch Schminkmasken auch so entstellt, dass kaum Menschliches übrig geblieben ist. Und wie Lucia Bihler schon in ihrer Inszenierung von Bernhards „Jagdgesellschaft“ gezeigt hat, wo alle Darsteller in Blutrot gekleidet waren, liebt sie es monochrom: Alle Puppen laufen in hellem Orange herum, meist kurze Hosen und T-Shirts (,Kostüme Victoria Behr), während die beherrschende Muttergottesstatue (Bühne Jessica Rockstroh) in Rot gekleidet ist (was in der katholischen Kirche bekanntlich äußerst selten ist). 

Was will man mit einem Panoptikum aus Puppen und verzerrten Kaum-noch-Menschen eigentlich erreichen? Kunstvoll hüpfen sie von Szene zu Szene, jeder spielt mehrere Rollen, von einer „Erzählung“ ist man weit entfernt. Was man bekommt, ist „Stil“, der in seiner Einförmigkeit schnell langweilt. Am Ende räumen Bühnenarbeiter die Madonna weg, der Dorftrottel hebt machtberauscht die Hand zum Hitlergruß und wird erschossen (von wem?), dann träumt der „rote“ Doktor vom Widerstand des Austrofaschismus, wird auch erschossen, und wer dann als neue Madonna aufgestellt wird … ja, das wird absolut nicht klar. Ist aber auch egal.

Schwer etwas zu den sechs Darstellern zu sagen, die aufopfernd ihre undankbaren Aufgaben abdienen. Drei Damen: Stefanie Dvorak bekommt die meisten Möglichkeiten; warum Dorothee Hartinger einen alten Juden spielen muss, wäre erklärungsbedürftig, zumal sie es schafft, dass von ihrem Jüdeln kein Wort zu verstehen ist, und Lili Winderlich ergänzt (auffallend nur mit einem Ausbruch als wütendes jüdisches Dienstmädchen, das den Eingeborenen die Meinung entgegen brüllt). Und drei Herren: Philipp Hauß als der „rote“ Arzt, Robert Reinagl für die alten Männer (u.a. den Pfarrer), Jonas Hackmann für die nazi-versifften Jungen zuständig.  

Es ehrt das Burgtheater, dass es an eine vergessene jüdische Autorin erinnern will, aber wenn das Ergebnis künstlerisch so schal ist, wirkt das Unternehmen bloß wie eine Pflichtübung. Faschismus-Parabeln dieser Art gibt es zu Hunderten, diese hat weder neue noch interessante noch in irgendeiner Weise überraschende Elemente. Man könnte jedes Detail voraussagen.

Und wenn dann eine junge Regisseurin nur ihre eigene Masche abzieht, die einförmig und extrem reizlos ist, tut man auch nichts für das Stück und schon gar nichts für das Publikum. Immerhin – wie stets im Burgtheater gab es ausführlichen Beifall.

Renate Wagner

 

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