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WIEN / Akademietheater: DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT

06.09.2023 | KRITIKEN, Theater

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Fotos: Burgtheater / Matthias Horn

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters: 
DIE BITTEREN TRÄNEN DER PETRA VON KANT von Rainer Werner Fassbinder
Premiere: 5. September 2023 

Sind Rainer Werner Fassbinders „Bittere Tränen der Petra von Kant“ nur weinerliches Gewimmere um Liebe, Liebe, Liebe, oder ist es eine gültige Geschichte über zerbröckelnde und umgeschichtete Machtverhältnisse, wenn Emotionen ins Spiel kommen und grausam ausgenützt werden?

Man könnte es gewiß so sehen, aber ganz ohne Zweifel hatte Regisseurin Lilja Rupprecht für ihre Aufführung im Akademietheater nicht ein Quentchen Vertrauen in das Stück. Sonst hätte sie nämlich den scharfen, tragischen, bitterbösen Psychothriller als solchen auf die Bühne gebracht, statt nur rätselhafte Optik zu erfinden, die nie den Kern der Sache trifft.

Offenbar glaubt sie nicht, dass „Echtmenschen“ auf der Bühne noch möglich sind (wobei Fassbinder im Film ja eine deliziöse artifizielle semi-menschliche Künstlichkeit entwickelt hat). Darum erscheint Petra von Kant zu Beginn wie eine Figur aus einem Science-Fiction-Film (oder hat sie mit gefaschtem Kopf gerade eine Kopfoperation hinter sich?, und wenn sie Kleider und Frisuren auch ändert, eines ist sicher: „Echt“ ist die Dame mit ihren Problemen nicht, sondern eine Kunstfigur aus der Klamottenkiste des Regietheater-Zubehörs.

Sie darf schon zu Beginn nicht wirklich die „Mächtige“ ausspielen, die sie in der Modebranche ist. Und mit dieser Macht kauft sie ihre Sexualpartner, denn sie hat etwas zu bieten – Karrieren, Geld, Popularität. Freilich, wenn sie an jemanden gerät, der noch skrupelloser ist als sie, dann schmilzt die Macht hinweg und es bleibt weinerliches Gebrabbel. Sage niemand, dass es dergleichen (egal ob Frau / Frau, ob Mann / Mann wie bei Fassbinder selbst, ob Mann / Frau oder Frau / Mann) heute nicht gibt. Abhängigkeit Ausbeutung, Erniedrigung, Fassbinder spielte die Klaviatur der Schmerzen perfekt auf und ab. Das Aphrodisiakum Macht schmilzt dahin, wenn man selbst die Oberhand verliert wie die arme Petra von Kant, die allerdings so unsympathisch ist, dass man kaum mit ihr mitfühlt.

Schon gar nicht in dieser Inszenierung, die alle modernistischen Mätzchen bedient, inklusive Videoübertragung des Geschehens auf die Wände des Bühnenbilds, während die Darsteller in einer Zelle agieren – wie oft hat man das schon gesehen? Exzesse in einer rotgeäderten Welt, für die man das Innere von Eingeweiden an die Wände wirft. Und dann, wohl um zu zeigen, wie sich alles für die arme Petra verwandelt, kommen Tochter und Mutter gar als Stoffpuppen mit Riesenköpfen daher. Welch zwanghafter Versuch, hier „Theater“ zu machen, das heutig wirkt, aber letztlich nur geschmäcklerisch ist.

Die „Mutter“ erweist sich dann, wenn sie den Stoffpuppen-Body ablegt, als Mann, und eigentlich hat man sich ohnedies gewundert, dass man in Zeiten wie diesen das Ganze nicht in „Peter von Kant“ umgewandelt hat (wie es der französische Regisseur François Ozon im Vorjahr nicht ohne Überzeugungskraft unternahm) – aber nein, es bleibt die weibliche Variante, nur Mama als genderfluid.

Und in einer unnütz aufgepfropften Fernseh-Interview-Szene darf Fassbinder seine Lebens- und Beziehungsphilosophie ausbreiten (man kann es gekürzt im Programmheft nachlesen). Da es allerdings großteils nur aufgeblasenes Geschwurbel ist, bringt es eigentlich nichts.

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In einer Welt der künstlichen Bilder, die keinerlei Sinn offenbaren (Bühnenbild Anne Ehrlich, Kostüme Annelies Vanlaere, außerdem nervige Live-Musik) zieht Dörte Lyssewski als leidende und zusammenkrachende Macht-Frau jene Show ab, die man von einer Darstellerin ihrer Größenordnung erwarten kann.

Man hätte allerdings gedacht, dass das Mädchen, das so heftige Gefühle in ihr (der Modeschöpferin!) auslöst, etwas spektakulärer ist als Nina Siewert, die zwar die geistige Gewöhnlichkeit, nicht aber den optischen Reiz für die Rolle mitbringt. Stefanie Dvorak hat die Aufgabe, die  Freundin etwas aufzureizen, bekommt aber von der Regie wenig Gelegenheit. Norman Hacker (im Interview auch Fassbinder) sieht man als Mutter kurz, Safira Robens als Tochter unter ihrer Puppen-Verkleidung gar nicht. Und da ist noch Annamária Láng als die wahrlich menschlich missbrauchte stumme Dienerin. Warum es die Regisseurin für nötig gehalten hat, hier ein Happyend anzudeuten, während Marlene im Film der Herrin endlich (zur Zufriedenheit der Zuschauer) den Rücken kehrt, weiß man auch nicht.

Aber man kapiert ja wieder einmal so vieles nicht an diesem Abend. Nur, dass er überzeugender wäre, wenn man sich darauf eingelassen hätte, die echten Nöte echter Menschen zu zeichnen, statt vor allem teils ekelerregende Bilder zu erfinden.

Renate Wagner

 

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