Fotos: Tommy Hetzel
WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
DER REVISOR von Nikolai Gogol
Premiere: 14. Dezember 2024
Etwas zu viel an Stil-Exzess
Man stelle sich vor, in einer Firma – einer Fabrik, einer Schule, einem Kaufhaus, einem Krankenhaus – ginge das Gerücht herum, ein „Revisor“ käme, um sich die Finanzgebahrung anzusehen. Da bekämen sicherlich einige Leute Muffensausen, denn nicht jeder hat wahrscheinlich der Möglichkeit widerstanden, sich nebenbei noch etwas abzuzwacken. Und wenn die Betroffenen nun versuchen wollten, den Mann, der die Korruption aufdecken soll, ihrerseits zu korrumpieren… wäre doch gut möglich?
Genau das erzählt Nikolai Gogol in seinem Stück „Der Revisor“, und seltsamerweise scheint das, was im zaristischen Rußland Anfang des 19. Jahrhunderts den Nagel auf den Kopf traf, Anfang des 21. Jahrhunderts so gültig wie eh und ja.
Regisseurin Mateja Koležnik hätte das Stück also gut und gern ins Hier und Heute versetzen können. Aber sie wählte einen anderen Zeitsprung. Das ist ziemlich eindeutig das kommunistische Rußland, es gibt schon Telefon und Staubsauger, aber Kleidung und Uniformen machen klar, hier geht es irgendwie um die „realsozialistische“ Vergangenheit, die hier – ähnlich wie es Filmregisseure mit der „guten alten DDR“ gemacht haben, aus der sie kamen – ganz gewaltig veräppelt wird.
Tatsächlich hat man vor allem im ersten Teil des Abend den Eindruck, hier werde ein parodistisches Blödel-Stück geboten, dauernd rutscht jemand slapstick-artig aus und verbiegt sich, man formierte sich choreographisch, man flüstert verschwörerisch (was für einen Teil der Besucher das Hören erschwert) – kurz, das, was an der Geschichte realistisch ist, wird ihr zugunsten eines Stil-Eszesses ausgetrieben. Das alles in einem Einheitsbühnenbild (Klaus Grünberg), in dessen Mitte eine Art Turm steht, in den sich nach und nach alle zwängen, auch mittels einer engen Treppe (man kennt die Vorliebe der Regisseurin für solche Raum-Spiele), während im übrigen die leere Bühne immer nur mit billigen Stahlrohr-Tischen und Sesseln an- und abgeräumt wird.
Nach der Pause gewinnt der Abend Boden unter den Füßen, die Darsteller, bis dahin eine ziemlich undefinierbare Masse, profilieren sich einigermaßen, wenn sie nach und nach auftauchen, den falschen Revisor Chlestakow zu bestechen und dieser seinerseits endlich mitkriegt, was gespielt wird – und es ausnützt. Dabei hat die Regisseurin sich eine Fassung erstellt, die sprachlich ziemlich heutig und flapsig ist und auch manches verändert (nicht nur aus dem Schulmeister eine Frau gemacht – sonst gibt es keine Geschlechter-Verdrehungen, was man dankbar zur Kenntnis nimmt).
Diese körperbetonten Fünfziger-Jahre-Russen entpuppen sich nun als das miese Volk, das sie sind, und der schlaksige Tim Werths (der an den unvergessenen Fabian Krüger erinnert, der die Rolle 2015 in der letzten Burgtheater-Inszenierung gespielt hat) bleibt zwar diskret, wo er vordergründig komödiantisch sein könnte, macht auch keinen großen Schurken aus der Figur, gewinnt aber zentrales Profil (während der immer so vorzügliche Oliver Nägele als sein Diener Ossip keine besonderen Möglichkeiten bekommt).
Im übrigen steht Roland Koch als feister Bürgermeister im Mittelpunkt, dessen Studie des „hässlichen“ korrupten höheren Beamten in manchem Ausbruch atemberaubend ist. Andrea Wenzl als seine Frau mit den Gelüsten einer Oligarchin kann endlich hemmungslos ihre Fähigkeiten ausspielen. Die anderen Damen (Lola Klamroth als Tochter, Rebecca Lindauer als Schulmeisterin und Alexandra Henkel als Kellnerin) bringen es nicht so weit.
Paul Basonga, Jörg Ratjen, Daniel Jesch. Gunther Eckes spielen kapitalistische Ängste und Niederträchtigkeiten auf und ab, während Martin Schwab und Hans Dieter Knebel als Dobtschinskij und Bobtschinskij ein durchaus berührendes Komiker-Paar abgeben.
Am Ende wäre die Regisseurin besser beraten gewesen, hätte sie mehr auf die Geschichte vertraut und weniger auf Handwerk und Stil als auf Gogol Figuren gesetzt, aus denen noch mehr heraus zu holen gewesen wäre. Aber wenn dieser „Revisor“ auch zusätzlich jenen Reiz verloren hat, den die Zarenwelt immer beigesteuert hat, erzählt er doch seine Geschichte kenntlich. Und das ist heutzutage viel wert und wurde heftig beklatscht.
Renate Wagner