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WIEN / Akademietheater: DER KANDIDAT

31.10.2018 | KRITIKEN, Theater


Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
DER KANDIDAT von Carl Sternheim nach Flaubert
Premiere: 31. Oktober 2018

Man muss auf Gustave Flaubert und dessen einziges Theaterstück „„Le Candidat“ 1874 zurückgehen, das nach der Uraufführung ein Misserfolg war und unbekannt geblieben ist, gilt der Autor der „Madame Bovary“ ja eigentlich nur als einer der großen Prosaschriftsteller Frankreichs. Immerhin hat er mit seiner Komödie in das politische Parteiengezänk seiner Epoche hineingegriffen – und das muss Carl Sternheim an dem Werk interessiert haben, dem er 1914 eine stark bearbeitende Übersetzung gegeben hat – nun auf die Politik der Wilhelminischen Ära zugespitzt. Das Burgtheater hat das Stück schon einmal, 1979 in Michael Kehlmanns Regie (damals auch im Akademietheater) gespielt, aber im Gegensatz zu Sternheims vitriolgetränkten Satiren „aus dem bürgerlichen Heldenleben“ wird sein „Kandidat“ im Verzeichnis seiner Werke „unter ferner liefen“ geführt.

Wenn er nun im Akademietheater wieder auf den Spielplan gesetzt wird, so wohl kaum aus dem dringenden Bedürfnis, wieder einmal Sternheim zu spielen, der seit den achtziger Jahren aus den Wiener Spielplänen verschwunden ist. Vielmehr nimmt man das Stück zum Vorwand, wieder einmal eine Breitseite gegen die derzeitige Regierung abzufeuern. Vielleicht nicht ganz so untergriffig-brutal wie Peter Turrini („News“ titelt zitierend: „Siegeszug des Arschlochtums in Österreich?“), aber immer noch schlimm genug. Bearbeiter Florian Hirsch hat das Stück nicht nur mit Fernsehwahlkampf und Internet in unsere Zeit versetzt, er hat sich auch reichlich – und demagogisch (obwohl es laut dem Programmheftartikel „Demagogie“ nur von Rechts gibt…) – an Redewendungen aus der österreichischen Politik bedient und diese so collagiert, dass die Nutzanwendung nie schwer fällt. (Höchstens, wenn man es angesichts – angehört – der allgemeinen schlechten Diktion des Abends oft kaum akustisch versteht.) Karin Bergmann wird sich einmal sagen lassen können, dass ihr Theater die Aufgabe zum Widerstand gegen die Tagespolitik wacker wahrgenommen hat.

Erzählt wird die Geschichte des Millionärs „Herr Russek“, der gewissermaßen zum Zeitvertreib „in die Politik“ will (ein Stronach ist deshalb nicht aus ihm geworden, nur ein Rechts-Populist). Wir erleben nun die logischen Stadien einer solchen Polit-Karriere – Packeleien mit den Medien, die sich teilweise gewissenlos in den Dienst der künftigen Mächtigen stellen; Aushebeln der Gegner mit allem Mitteln; Briefing, wie man seine Phrasen am besten und wirkungsvollsten an den Mann (Wähler) bringt; schließlich der Fernsehwahlkampf mit all seinen schäbigen Untergriffen – und die beklemmende Siegesrede am Ende: Da verspricht Russek seinen braven Wählern alles und stellt auch klar, dass man „die Anderen“ draußen halten wird…

Da es letztendlich nur um politische Argumentation und Agitation geht, bestünde die erste Forderung an eine Inszenierung in höchstmöglicher Klarheit, damit das Mitdenken (auch bei simpler Handlungsführung) immer gut möglich ist. Das Gegenteil ist der Fall, wenn Regisseur Georg Schmiedleitner zugreift. Ein alles beherrschendes Einheitsbühnenbild von Volker Hintermeier soll in vieler Hinsicht „symbolisch“ sein – was soll der „Kreis“ in der Mitte wohl sein? Ein runder Tisch für Verhandlungen? Ein Glücksrad? Oder einfach ein Podest, dass sich nicht zuletzt deshalb ununterbrochen dreht, damit die Darsteller in slapstickhafter Manier darauf wanken, stolpern, fallen, kreischen können? Die längste Zeit herrschte der Eindruck vor, Schmiedleitner würde eine ähnlich „durchchoreographierte“ Bewegungs-Regie liefern wie Michael Thalheimer für Horvaths „Glaube Liebe Hoffnung“, aber dann wurde ihm wohl doch klar, dass man die Geschichte gelegentlich einfach spielen muss. Wenn auch immer noch grell und vordergründig genug. Und natürlich wenden sich raffierte Dach-Spiegel-Konstruktionen des Bühnenbildes so, dass am Ende das Publikum darin erscheint – ja, wir sind es, denen man solche politische Reden hält, wird überdeutlich klar gemacht. Danke, verstanden.

Immerhin wandelt sich Gregor Bloéb (von der Figur her nicht glaubhaft, von der Darstellung her schon) vom strohdummen Millionär, der gar nicht weiß, was er in der Politik soll, zum gewandten Volkstribunen, der dem Publikum seine Thesen als glatter Routinier verkauft. Im Grunde hat er die einzige Rolle, die sich halbwegs einprägt – bis auf jene Szene, wo Sebastian Wendelin als Journalist klarlegt, wie man einen schlechten Fernsehauftritt im Netz und in den Zeitungen als großen Erfolg verkauft…

Für den Medienchef Grübel hat man Florian Teichtmeister aus der Josefstadt entlehnt – die Souveränität jener Herren, die Politik machen (Dichand war beispielsweise ein solcher), hat er nicht. Auch steckt in dem Stück noch von Flaubert her das Motiv, dass Russek seine Tochter ehelich verkaufen müsste, um definitiv zu siegen, was heute lächerlich ist. Wenn man schon so viel verändert, hätte man dieses Element auch eliminieren können…

Nicht viel zu spielen bleibt für Petra Morzé als Russeks lüsterne Gattin, gar nichts für Christina Cervenka als dessen Tochter, in der Rolle der Anwältin (immer als Frau apostrophiert) trägt Sabine Haupt ein Bärtchen. Dietmar König ist als politischer Gegner kaum vorhanden, ein alter und ein junger Graf (Bernd Birkhahn und Valentin Postlmayr) sind es auch nicht, wenngleich Letztgenannter als Moderator des Fernsehduells dann herumschreien darf.

Zwei Musiker, am Rande platziert (Matthias Jakisic, Sam Vahdat) – machen Musik.

Schwer zu sagen, was man von einem Abend wie diesen halten soll. Wie müsste das Publikum geistig beschaffen sein, das sich von so etwas politisch „belehren“ lässt?

Renate Wagner

 

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