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WIEN / Akademietheater: DER HENKER

04.12.2019 | KRITIKEN, Theater


Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
DER HENKER von Maria Lazar
Premiere: 4. Dezember 2019

Die letzten Stunden eines Delinquenten vor der Hinrichtung – eine klassische Situation, die im Theater die Zuschauer meist beutelt, weil die Diskussion über letzte Dinge jeden Betrachter notwendig auf die eigene Sterblichkeit zurückwirft. Dergleichen ist nicht zu befürchten, wenn man im Akademietheater eineinhalb Stunden den Einakter „Der Henker“ von Maria Lazar sieht, denn das ist absolut nicht ihr Thema. Sie hat einen verqueren Krimi darum gestrickt…

Die Autorin (1895-1948) zählt zu jenen jüdischen Schriftstellern, denen die Nachwelt etwas schuldig ist, hat der Nationalsozialismus sie doch aus ihrer Karriere und ihrem Umfeld heraus gerissen. In diesem Sinne ist die „Wiederentdeckung“ dieses Einakters aus dem Jahre 1921 (Robert Musil in seiner Eigenschaft als Theaterkritiker war damals nicht sehr begeistert) der Versuch, Maria Lazar zur Diskussion zu stellen. Auch wenn das Ergebnis alles andere als überzeugt.

Das Programmheft tut etwas Gutes: Es bietet das komplette Stück zum Nachlesen an und bestätigt damit, was der Kritiker vermutet. Dass die Geschichte nämlich völlig geradlinig erzählt wird, ein aufmüpfiger Delinquent, der nichts zu verlieren hat (morgen um 6 Uhr ist alles vorbei), möchte seinen Henker sehen. Ist offenbar enttäuscht, in ihm nicht den mörderischen Teufel, sondern einen schlichten Mann mit Familie und Garten zu finden, der emotionslos seine Pflicht tut.

Nun wird die Geschichte künstlich und „dramatisch“ – der Mörder wiegelt die Dirne, die ihn besucht, dazu auf, den Sohn des Henkers zu ermorden, damit dieser seinen Job ihm gegenüber mit Haß im Herzen erledigen soll. Nicht einmal das gelingt – und der Mörder tötet sich mit einem Beil, das er sich in den Hals stößt…

Klingt schlimm, ist eigentlich auch schlimm, und Regisseurin Mateja Koležnik war offenbar klar, dass sie dem Werk mit „Inszenierung“ auf die Beine helfen müsste. Nun hat sie ja offenbar einen Tick, den man schon aus ihrer (absolut grässlichen) Josefstadt-Aufführung des „Einsamen Wegs“ kennt: Sie lässt die Zimmer wandern. Nach dem Grund dafür darf man nicht fragen, denn jedes Mal landet der Mörder im gleichen Zimmer, das hereingeschoben wird – es gibt der Regisseurin allerdings die Möglichkeit, das schmale Stück aufzublasen, Szenen immer wieder spielen zu lassen, mit geringen Variationen. Ein Perpetum mobile von dem man langsam befürchtet, es würde nie enden. Warum das Ganze? Vielleicht will sie Spannung erzeugen. Mitnichten. Es gelingt wirklich nicht.

Auch auf andere Weise merkt man, dass hier „Inszenierung“ mit Gewalt über Substanzmangel hinweghelfen soll. Der fast kahle Raum (Bühnenbild: Raimund Orfeo Voigt) wird durch wackelnde, knarrende Leuchtstoffröhren diffus und erschwert den Blick des Zuschauers auf das Geschehen, eine ausführliche Geräusche-Regie zielt vor allem darauf ab, an den Nerven zu zerren. Im übrigen verschwimmen die Darsteller (mit Ausnahme des Henkers selbst)  in psychologischer Unschärfe.

Was den Mörder bewegt, außer die Mitwelt noch einmal mit Psychoterror zu verunsichern? Nun, wenigstens das gelingt Itay Tiran sehr gut. Ein böses Spielchen zum Abschied. Allerdings wird er einem auch von Anfang an weidlich unsympathisch, das heißt, alles was man an Empathie aufbringen könnte, erstickt in sich selbst.

Interessanter, weil menschlicher ist Martin Reinke als der kleinbürgerliche Henker, der nicht weiß, warum er über seinen Beruf Rechenschaft ablegen soll – und nie als das gesuchte Monster erscheinen kann, keine Freude an seiner „Arbeit“ hat, sie erledigt, weil sie getan werden muss, und wieder zum Alltag übergeht. Eine Enttäuschung für den Mörder – aber die Figur überzeugt wenigstens.

Dann huscht noch die Dirne herein: Sarah Viktoria Frick ist die einzige, die in ihrem hellgrünen Fähnchen der Kostümbildnerin (Ana Savić-Gecan) etwas zu tun gegeben hat. Das volle, bekannte Talent der Darstellerin reicht nicht aus, um klar zu machen, was diese Dirne an dem Mörder so fasziniert, dass sie selbst bereit ist, einen Mord für ihn zu begehen (!!!) – diese Räuberpistole erspielt sich nicht.

Am Rande, ohne interessant zu werden: Hans Dieter Knebel als Staatsanwalt, Gunther Eckes als Priester, Tilman Tuppy als Kerkermeister.

Die Regie hat mit einem Gewaltakt versucht, ein Stück, das einst zu Recht durchgefallen ist, wieder zu beleben. Fehlanzeige. Das Ganze fällt in die Kategorie „Anstrengendes Theater“, wurde aber bei der Premiere dennoch mit stürmischem Beifall bedacht.

Renate Wagner

 

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