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WIEN / Akademietheater: DER FISKUS

12.04.2022 | KRITIKEN, Theater

der fiskus c ruiz cruz drei damen breit x
Fotos: © Marcella Ruiz Cruz

 WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
DER FISKUS von Felicia Zeller
Österreichische Erstaufführung
Premiere: 22. Mai 2021 im Kasino
Übersiedlung ins Akademietheater: 11. April 2022 

Keine andere Bühne Wiens hat ein schon quantitativ dermaßen breites Repertoire wie das Burgtheater in seinen beiden großen Häusern. Nun ist es noch breiter geworden, dann ganz still, ohne sonderliche Ankündigung, ist „Der Fiskus“ von Felicia Zeller aus dem Kasino ins Akademietheater übersiedelt, wo diese schrille Posse bestens hinpasst.

Allerdings scheint in Zeiten wie diesen nichts problemlos zu verlaufen. Eine mitwirkende Darstellerin, die im Vorjahr noch im Ensemble war, ist es nicht mehr, und offenbar hat die Disposition übersehen, dass der (die) vorgesehene Ersatz*in noch nicht eingetroffen ist. Also musste Regisseurin Anita Vulesica in den gar nicht so sauren Apfel beißen, ihre eigenen Regieanweisungen zu exekutieren. Die „Rettung“ hätte nicht überzeugender ausfallen können.

„Der Fiskus“, das Finanzamt also, ist den meisten Menschen noch zuwiderer als der Zahnarzt, denn der geht vorbei, während einem die Herrschaften des Fiskus ja bekanntlich lebenslang bösartig, uneinsichtig und ungerecht im Nacken sitzen. Wer sind sie eigentlich? Wer im Publikum meinen könnte, es handle sich ohnedies nur um Verrückte und Verschwörer, der könnte das in dem Stück von Felicia Zeller bestätigt finden (zumal in dieser Inszenierung). Die Autorin, eine vielschreibende deutsche Dramatikerin, widmet sich vordringlich, wie es auf ihrer Website heißt den „Zerreißproben der Berufswelt“. Nun haben es alle Menschen in Betrieben schwer, aber ein Finanzamt ist eben doch etwas Besonderes…

Man lernt fünf Personen kennen, vier Damen, einen Herrn, die offenbar in einer Bruchbude arbeiten, die derzeit (wie lange schon?) eine Baustelle ist, was ein großes Potential an Situationskomik in sich trägt. (Bühne Henrike Engel,  Kostüme Janina Brinkmann ).Vor allem aber schildert Regisseurin Anita Vulesica ihre Protagonisten vom Anfang bis zum Ende als „am Rande des Nervenzusammenbruchs“ befindlich, das heißt, sie reizt deren hysterisches Zappeln bis zum Gehtnichtmehr aus. Das ergibt teils amüsanten Slapstick, ermüdet aber wie jeder Stil, zumal das Stück keine wirkliche Handlung hat, die sich entwickeln würde  Die Fünf auf der Bühne rotieren um ihre beruflichen Erfahrungen und persönlichen Empfindlichkeiten, aber man ist am Ende so weit als wie zuvor.

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Ein bisschen klüger würde man sein, vermöchte man sich zu merken, was die Autorin zweifellos mit angeeignetem Fachwissen da über die Standpunkte des Finanzamts hier, der Finanzschwindler dort (sie kommen nicht vor, sind aber dauerndes Menetekel an der Wand) zu sagen hat. Und dabei wird klar, dass auch die zentrale Figur Bea, vertrocknet in 40jähriger Berufserfahrung, der „Finanzgerechtigkeit“ verpflichtet, wie sie immer wieder sagt, doch nicht frei ist von Bosheit und Sadismus, einzelne Sünder zu „jagen“. Sachlich ist da gar nichts, weder bei ihr noch den anderen. Kein  Wunder, dass sie überlegen würde, auf die „andere Seite“ zu wechseln, zu jenen Leuten, die von den Machinationen und Schlupflöchern der Geld- und Steuergeschäfte so viel verstehen wie sie – mit dem Unterschied, dass die anderen sehr, sehr reich dabei werden. Sabine Haupt schrillt diese Bea, der im vollen Wortsinn (Perücke!) die Haare zu Berg stehen, in einem wahren Virtuosenstück.

Und da ist Nele, in Gestalt der smarten, spürbar von Ehrgeiz getriebenen Dorothee Hartinger, die – obzwar viel jünger – Bea den verdienten Platz als Abteilungsleiterin abgenommen hat, weil sie versteht, was heute gefragt ist: Wendigkeit, Seminare, Medien-Bewusstsein. Diese Nele wartet nur, bis sie sich das ganze Finanzamt unter den Nagel reißen kann. Zutrauen würde man es ihr. Und dabei fallen – nebenbei bemerkt – ihre Tinder-Partnersuche-Erfahrungen eher verheerend aus.

Angie (die hinreißend exzentrische Stefanie Dvorak) arbeitet im Außendienst und weiß zu erzählen, was da alles passiert, wie gönnerhaft die reichen Herren glauben, sie bestechen und kaufen zu können – und wie rasch da Betten aus Räumen verschwinden, die man ja steuerlich als „Büro“ absetzen will… Keine Frage, diese Themen interessieren jeden.

Und da sind noch Rainer (Bardo Böhlefeld, nicht Hahn im Korb, eher Mann am Rande) und Elfi (die mit so prächtigem Erfolg eingesprungene Regisseurin Anita Vulesica), ein Ehepaar, das ganz genau weiß, wo man hier noch einen Euro und dort noch eine Euro aus dem System heraustricksen kann – mit großer Verachtung für die Durchschnittsmenschen, die ja gar keine Ahnung haben, was ihnen aus Unwissenheit entgeht. Sie müssten ja nur einen Antrag stellen, wenn sie halt wüssten, wo und wie und warum…

Alles keine Edelmenschen  dabei  gehen die Einblicke in die Finanzwelt und auch die Psychologie nicht wirklich tief, dazu ist ein zu starker Verfremdungseffekt in den Text eingezogen. Den die Regisseurin, wie gesagt, noch überdreht –  alle immer auf Hochtouren, immer herumschreiend und herumzappelnd. Manchmal hat man den Verdacht, dass das bisschen Echtheit, das in den Figuren steckt, besser herauskäme, wenn man sie quasi „echt“ vorführte und solcherart desavouierte.

Aber das nicht besonders zahlreich erschienene Publikum im Akademietheater hatte sich bei so viel ausgestellter Lustigkeit offenbar köstlich unterhalten und bejubelte die übersiedelte Produktion.

Renate Wagner

 

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