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WIEN / Akademietheater: DER EINGEBILDETE KRANKE

Der alte Molière funkelt heutig

14.09.2024 | KRITIKEN, Theater

eingebildete kranke 2
Foto:  © Tommy Hetzel 

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
DER EINGEBILDETE KRANKE von Molière
Überschreibung von Barbara Sommer und Plinio Bachmann
Eine Produktion des Schauspiels Köln
Wiener Premiere: 13. September 2024 

Der alte Molière funkelt heutig

„Der eingebildete Kranke“ war die fünfte Premiere im Eröffnungsmonat von Stefan Bachmann als Burgtheater-Direktor, und die zweite Übernahme aus Köln. Allerdings schlug das Theaterpech zu, denn Regina Fritsch, die für Wien die Titelrolle übernehmen sollte,  möglicherweise, um die Kölner Produktion mit bei uns unbekannten Schauspielern für das Publikum hier attraktiver zu machen. Am Premierentag fand man sie im Internet durch die originale Kölner Darstellerin ersetzt.

Also musste Stefan Bachmann als Direktor agieren, vor der Premiere vor den Vorhang treten und erklären, dass Regina Fritsch erkrankt war und Rosa Enskat heldenhaft in letzter Minute aus Berlin herbeiflog, um festzustellen, wie viel Bachmann für die Wiener Aufführung verändert hätte… Nichtsdestoweniger meisterte sie die Titelrolle schlechtweg bravourös.

Der 100 Minuten Abend, der 2022 in Köln Premiere hatte, deklariert sich als „Überschreibung“ durch den Germanisten Plinio Bachmann und die Dramaturgin Barbara Sommer, und dass dies nicht das „Original“ sein kann, merkt man jeden Augenblick. Molière, der als Gerüst immer erhalten bleibt, erweist sich ununterbrochen als Ausgangspunkt für satirisch-kritische Ausflüge in den Zeitgeist unserer Welt. Dazu gehört auch, dass kaum eine Rolle in ihrem originalen Geschlecht besetzt ist – gerade einmal die Zofe Dorins ist eine Frau. Argans Bruder ein Mann, sonst herrscht ein wildes CrossOver der Geschlechter.  Und das wird, neben vielem anderen, zum Thema.

Anfangs freilich, wenn auf leerer Bühne, nur ein großes Sofa für den „Kranken“ Argan, die Darsteller in stilisierten Gewändern des 16. Jahrhunderts (teilweise mit Allonge-Perücken) zu agieren beginnen, konnte man befürchten, wieder ein „Holtrop“-Gezappel vorgeführt zu bekommen, mit dem Stefan Bachmann bereits auf Burgtheater-Brettern so brillant gelangweilt hat. Und gewiß bleibt die totale Unnatur die ganze Aufführung hindurch präsent. Aber diese Künstlichkeit wird zum Ausdruck unserer Zeit und Welt.

Die Parodie auf Geschlechter, wehleidige und verlogen ausgeschlachtete Befindlichkeiten, gezwungene politische Korrektheit, neue Umgangsformen wird in dem zeitgemäßen „Sprech“ abgehandelt, der Normalmenschen so nervt, sich aber einen so breiten Raum in der öffentlichen Wahrnehmung erobert hat.

Paul Basonga (ein für Wien neues Gesicht, der schon im „Hamlet“ beeindruckt hat) hopst als Argans Tochter Angelique herum und begehrt Frauenrechte. Als Liebhaber Cleante hat sie/er in dem  Cléante von Lola Klamroth ein geschlechtlich undefinierbares Geschöpf, das jedoch mit allen modischen Wassern gewaschen ist. Neue Empfindlichkeiten und Überempfindlichkeiten, die in die heute so präsente, jederzeit hervor geholte Opferrhetorik führen, haben die Bearbeiter als Motto über ihre Überschreibung gestellt – und lachen die ganze Problematik weidlich aus. (Nicht, dass sie es nicht verdiente…) Das alles will nicht mehr als Spaß machen (die große Zeitkritik ist es wohl nicht), aber auch das ist legitim.

Daneben wird auch die Geschichte des Kranken gespielt, und da spart Bachmann nicht mit Fäkal-Komik, schließlich geht es ja immer wieder um Klistiere. Und Ernest Allan Hausmann darf als Argans Bruder die wüste Philippica gegen Ärzte halten, worum es Moliere auch ging. Als die verhaßten Ärztefiguren geben Barbara Petritsch  und Justus Maier die Popanze der beiden Doktoren Purgon.

Und da ist schließlich noch die Tragödie des Argan, den Rosa Enskat als dürres, überagiles Männchen spielt, das immer wieder Beachtung begehrt und mühelos das permanente Zentrum des Geschehens ist. Bemerkenswert, wie sich Tilman Tuppy in seine verlogene Frau verwandelt (wäre da nicht die Stimme, man hielte ihn tatsächlich für „echt“), und Melanie Kretschmann ist (leider durch eine Riesenmasche am Kopf lächerlich gemacht) die Zofe Toinette, die immer wieder die Fäden zieht.

Das Publikum hat sich prächtig unterhalten und jubelte geradezu. Witzig, wozu sich der alte Molière noch verwenden lässt!

Renate Wagner

 

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