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WIEN / Akademietheater: DAS WEITE LAND

02.09.2022 | KRITIKEN, Theater

das weite land c horn, ruhrtriennale x~1
Fotos: Burgtheater, C. Horn

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters: 
DAS WEITE LAND von Arthur Schnitzler
Koproduktion mit der Ruhrtriennale
Premiere: 2. September 2022

Zu Beginn hört man einen langen Text,  nicht von Schnitzler, der schildert, wie sich Insekten und Maden in Leichen hinein fressen. Gut, Arthur Schnitzlers Meisterstück „Das weite Land“ beginnt mit einem Begräbnis. Darum herrschen auf der Bühne des Akademietheaters im Hintergrund auch schwarzen Vorhänge, die Protagonisten sind schwarz gekleidet. Und so bleibt es zweieinhalb pausenlose Stunden lang in der Inszenierung von Barbara Frey, die sich nicht weniger vorgenommen hat, als dem Schnitzler den Schnitzler auszutreiben. Was soll man sagen? Es ist ihr gelungen.

Die Schweizer Regisseurin hat schon  in Zusammenhang mit der von ihr geleiteten Ruhrtriennale in Wien Poes „Haus Usher“ gezeigt, in ähnlicher schwarz-choreographierter Künstlichkeit. Nur handelte es sich damals um gewaltsam  auf die Bühne gebrachte Prosa, der Schaden am Original war nicht so groß wie hier, wo Schnitzler in einem bewundernswerten, breit ausgemalten „Gemälde“ die hedonistische Großbürgergesellschaft seiner Zeit zeichnete, ja, ihr auch den verführerischen Glanz gegeben hat, den sie ausgestrahlt haben mag. Wenn Barbara Frey die Figuren des Stücks wie einen Zug der Schatten müde über die Bühnenbretter schickt, nimmt sie alles weg, was die Kunst des Werks ausmacht – nämlich die Persönlichkeit seiner Gestalten.

Niemand braucht wirklich die Villa in Baden mit dem Tennisplatz im Hintergrund, man braucht auch das Luxushotel am Völser Weiher nicht, man käme mit den drei wuchtigen Lederfauteuils, die Martin Zehetgruber auf die Bühne stellt, aus – der „Aigner Turm“ in den Dolomiten wird als Hintergrundsbild angedeutet (dazu gibt es diskretes Gejodel, das sicher keiner braucht), und am Ende gibt es plötzlich ein rätselhaftes Gebilde wie eine aufgebrochene Riesenröhre mit Bauschutt, dessen Symbolik in diesem Zusammenhang nicht aufzulösen ist. Kostümbildnerin Esther Geremus hatte es leicht – schwarz in grau und reizlos.

das weite land c horn, ruhrtriennale x~1

Barbara Freys Eingriffe in das Stück sind gewaltig. Spätestens seit dem 2. Akt nimmt sie sich dramaturgisch jede Freiheit, alles, was an Milieu und Atmosphäre da ist, wegzuholzen und sich auf die zentralen Szenen und Dialoge zu beschränken. Damit das nunmehrige Stückwerk nicht auseinander fällt, gibt es dazwischen Pantomimisches, wobei sie die Darsteller gerne zu Gruppen zusammen klumpt oder wie Ölgötzen herumstehen lässt. Die Leblosigkeit des Ganzen wird dadurch noch unterstrichen.

Abgesehen davon, wie viel Essentielles an Formulierungen fehlt (Hofreiters „Er ist tot, ich kann’s nicht anders sagen“ im letzten Akt zum Beispiel), wie viel auch verfälscht wird (etwa die Ankunft des Sohnes am Ende, womit Schnitzler seinem weitgehend zerbrochenen Helden einen Hauch von Bindung zugesteht). Dass die vielen Pointen des Werks entweder gestrichen oder absichtlich unterdrückt sind, gehört dazu. Aber es geht ja wohl nicht wirklich um das Stück.

Mit dem permanenten Begräbnis-Ambiente könnte man leben, würden sich darin Menschen bewegen. Aber die Persönlichkeiten, die Schnitzler geschildert hat, gibt es in dieser Inszenierung nicht. Am allerwenigsten Friedrich Hofreiter, dieser schillernde Mann zwischen charmanter Hülle und tiefinnerster Ruchlosigkeit. Michael Maertens steht steif, unbeweglich (und bis auf zwei sinnnlose Ausbrüche) wie leblos auf der Bühne, leiert seinen Text herunter. Nichts an diesem Mann zeugt von seiner grenzenlosen Gier nach Leben, nach Frauen, das ist einfach ein Zombie, der hier nicht weiß, was das alles bedeuten soll. Und ohne Hofreiter kein „Weites Land“.

Was sind das doch für trübe Tassen, die sich da herumschleppen, mit dem einzigen Auftrag, den Text möglichst leblos abzuliefern? Itay Tiran als Dr. Mauer, der es schafft, noch steifer zu sein als der Hofreiter von Maertens. Geschöpfe, deren Funktion man kaum erkennt – wer ist diese Erna (Nina Siewert)? Welche Funktion hat ihre Mutter (Dorothee Hartinger), die doch normalerweise eine so große Rolle spielt? Und gar die Frau Meinhold, die auch ihren Gatten, den Herrn Aigner spielen muss, damit kurz die entscheidenden Sätze von der Seele als weitem Land fallen können? Man weiß, wer Bibiana Beglau ist, bloß ist sie diesmal zweimal nicht da. Otto vio Aigner darf jung sein, aber ein solches Kind wie Felix Kammerer nicht. Wie müsste Bankier Natter (Branko Samarovski) schillern und wirklich gefährlich sein, wie sehr müsste man seiner Frau (Sabine Haupt) glauben, dass sie ein verführerisches, unersättliches Weibchen mit Hausverstand ist? Nichts davon, niemand kommt auch nur dem in die Nähe, was Schnitzler vorgegeben hat.

Unter diesen Untoten ahnt man einen Menschen: Obwohl Katharina Lorenz die Genia Hofreiter oft bis zur Farblosigkeit dämpfen muss, spürt man da doch eine Frau, die an dieser unglücklichen Ehe zerbricht, die Gefühle hat, kurz, Leben. Die Ausnahme an diesem Abend.

Um nicht missverstanden zu werden – man weint nicht Wessely-Hörbiger und dem alten Burgtheater nach (wenn es auch ganz schön war und Respekt vor dem Dichter hatte). Es geht nicht darum, immer wieder dasselbe zu sehen. Es geht darum, dass die neuen Blickwinkel neue Erkenntnisse bringen müssen, sonst bleiben sie Willkür. Fazit des Abends: Regie-Exorzismus. Schnitzler ausgetrieben. Patient tot. Dennoch, wie immer bei Wiener Premieren, egal, was sie bieten – heftiger Beifall.

Renate Wagner

 

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