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WIEN / Akademietheater: DAS REICH DER TIERE

28.02.2015 | KRITIKEN, Theater

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Alle Fotos: Barbara Zeininger

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
DAS REICH DER TIERE von Roland Schimmelpfennig
Österreichische Erstaufführung
Premiere: 28. Februar 2015

Hat Roland Schimmelpfennig eigentlich das „König der Löwen“-Musical ein paar Mal zu oft gesehen? Sein Stück „Das Reich der Tiere“ wirkt jedenfalls wie eine gezielte Parodie darauf. Außerdem ist es ein Anknüpfungspunkt für ein Bündel von Themen, die sich bei der Lektüre des Textes weit überzeugender erschließen als in der absichtsvoll grell ins bloß Alberne überzeichneten Aufführung im Akademietheater. Der Regisseur hieß leider Roland Schimmelpfennig – also selber Schuld, kein Mitleid…

Warum das Burgtheater ein Stück, das knapp acht Jahre alt ist (es wurde im September 2007 im Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt), unbedingt spielen muss, offenbart sich nicht an einem Theaterabend, wo sehr viele Zuseher (rund um mich jedenfalls) während der beiden pausenlosen Stunden immer wieder auf die Uhr gesehen haben. Dabei steckt in der Geschichte, selbst wenn man sie nur als Stück über Schauspieler, als Reflexion über das „Theater heute“ nimmt, einiges drinnen.

Wie fühlen sich eigentlich Menschen, die oft jahrelang täglich (oder mehrmals täglich) in irgendwelche Tierkostüme kriechen und dann, ihre Individualität unkenntlich gemacht, irgendwelchen Blödsinn spielen müssen? Wer sind sie, die niemand mehr erkennt – und warum wird man denn Schauspieler? Um erkannt, um wahrgenommen, am Ende sogar um bewundert und geliebt zu werden… Schade, dass die vielen Nebenbemerkungen der Frustration, die hier den Darstellern (auf der Bühne) in den Mund gelegt werden, fast ungehört und unbemerkt untergehen.

Etwas deutlicher werden die Ängste – wenn man nach Jahren nicht mehr Löwe, Zebra oder Marabu spielen darf, was steht einem bevor? Toastbrot, Spiegelei und Ketchup-Flasche? Schimmelpfennig treibt es am Ende bis dorthin, aber was wahrscheinlich als große Satire auf Theaterautoren wie ihn gemeint war, wird vom Publikum kaum als Selbstkritik, sondern am Ende nur als zu bekichernde Show hingenommen… Wohin die Ängste führen, zu Ressentiments untereinander, zum Anschleimen an jene, die die Macht haben, auch das ist angedeuteterweise da. Leider wird in der Aufführung so gut wie nichts wirklich fokusiert. Ja, es muss wiederholt werden, der Regisseur Roland Schimmelpfennig war dem Autor Roland Schimmelpfennig kein guter Anwalt…

Der Autor Schimmelpfennig rührt seine Tier mit Ei-Show in kleinen Szenen als buntes Durcheinander an. Zu Beginn kommen die Darsteller, ziehen sich aus, fangen an, sich mit Farbe zu beschmieren, rühren auch selbst einen unappetitlichen Mehlpapp an, den sie sich applizieren, streuen Federn darüber – das ist nicht der müde Alltag derer, die immer dieselben traurigen Rituale abspulen, sondern einfach auf Kabarett gezielt, lustig ist das Schauspielerleben, schau, jetzt hat er die riesige Löwenmähne drauf, und es wird auch nicht vergessen, das Arschloch des Zebras genüsslich mit schwarzer Farbe nachzuziehen. Allein mit diesem Beginn gibt Schimmelpfennig-Regisseur den Autor gleichen Namens preis und sagt uns, dass dieser eigentlich nichts wirklich sagen will.

Dann spielen die Darsteller immer wieder Szenen aus einer völlig flachen Parabel mit dem Titel „Das Reich der Tiere“, wo alle friedlich unter der Herrschaft des Zebras leben, bis der Löwe brutal die Macht übernimmt. Dazwischen gibt es Geplänkel der Schauspieler untereinander, man hört von ihren Verletzungen, ihren seelischen Unsicherheiten, ihren Zukunftsängsten, man erlebt ihre Bereitschaft, alles zu tun, nur um weiter als gesichtsloses Futter für die Bühnen existieren zu dürfen…

Nur eine Szene entwickelt in etwas Ruhe und Ausführlichkeit ein paar zynische Erkenntnisse, die im Gespräch zwischen dem sich immer duckenden Schauspieler Frankie und dem unendlich aufgeblasenen Autor Chris thematisiert werden. Erster Satirepunkt: Chris, unter dem Vorwand, dass seine Sachen gestohlen wurden (tatsächlich hat Frankie sie beiseite geschafft), muss bei Frankie als Retter Unterschlupf suchen. Tatsache ist – ohne sein Handy oder seinen Laptop, wo sich alle, aber auch alle Informationen befinden, ist der große Mann einfach hilflos, weil er nichts, absolut nichts im Kopf hat, nicht den Namen des Hotels, in dem er wohnt, nicht der Stadt, in die er gleich reisen wird… Wendet sich das Gespräch dann dem Underdog Frankie zu, kann der große Autor nicht genug tun, den armen Kerl von oben herab zu demütigen und herunterzumachen.

Aber am Ende hat die Schleimerei (nicht zuletzt, all die gemeinen Bemerkungen schweigend hinzunehmen und ja nicht aufzumucken, wie es jeder Mensch mit Würde täte) Frankie vielleicht doch genützt? Er darf schließlich in einem Sekunden-Fernsehspot erscheinen. Die anderen müssen als Toast und Spiegelei, Ketchup-Flasche und Pfeffermühle herumstehen, und statt der tödlichen, peinlichen Stimmung, die das im Grunde evozieren müsste, bekommt man das erwähnte Gekichere des Publikums. Im Hintergrund erklingt der „Donauwalzer“, immer ein sicherer Stimmungsmacher, und so gibt’s viel Applaus für etwas, das zwar vielleicht andeutungsweise etwas hätte sein können, aber gar nichts war…

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Philipp Hauß & Oliver Stokowski

Das halbe Dutzend Darsteller, das sich für diesen Abend aufopfert (man kann es nicht anders sagen), bekommt wenig für seine Mühe heraus. Die Tierkostüme wirken keinesfalls so possierlich, wie es vermutlich vorgesehen war (so zierlich Sabine Haupt als Antilope trippelt – als Toastbrot am Ende ist sie dann unter dem „Kostüm“ nicht existent). Die Schicksale individualisieren sich nicht – von Caroline Peters (als Ginsterkatze nicht aufregend attraktiv, als Pfeffermühle nicht vorhanden) merkt man sich im Grunde nur, dass sie einmal mit blutigem Fuß herumschreit, weil sie sich offenbar verletzt hat.

Bleibt das auch der nachdrücklichste Eindruck von Peter Knaack, der als Marabu (die Ketchup-Flasche spielt eigentlich keine Rolle) einen eitrigen Rücken hat, wie man erfährt, weil die Federn immer wieder abgerissen und auf die wunden Stellen wieder aufgeklebt werden?

Johann Adam Oest ist immerhin Johann Adam Oest, und als Löwe kann man zumindest die Mähne schütteln und Böses über Kollegen sagen (als Spiegelei bietet auch er nur eine gesichtslose Pointe). Und der Frankie des Oliver Stokowski ist ja doch der heimliche Anti-Held des Abends, nicht als Zebra, aber wenn er sich von Philipp Hauß (füllig geworden, das war doch vor nicht allzu langer Zeit ein schmales Bürschchen!) unterbuttern lassen muss: Da wird Frankie immer kleiner, während Hauß als Chris eine Studie der Perfidie und des Hochmuts liefert, die realistischer erscheint als sonst irgendetwas an diesem „bunten Abend“, dessen Buntheit die Leere nicht übertüncht…

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Bunt sind übrigens nur die Kostüme von Lane Schäfer – für das Bühnenbild, die leere Hinterwand des Akademietheaters mit ein paar Plastik-Paneelen hier und da, zeichnet kein Geringerer als Wilfried Minks verantwortlich – ein großer Name, der sich am Stock verbeugte und sich diese Arbeit hätte schenken können…

Natürlich wurde geklatscht, vor allem den Darstellern: Sind doch arme Schweine, die Schauspieler – nicht nur jene, die man auf der Bühne kennen lernt, sondern auch jene, die dergleichen spielen müssen / wollen / froh sind, wenn sie dürfen…

Renate Wagner

 

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