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WIEN / Akademietheater: DAS GROSSE HEFT / DER BEWEIS / DIE DRITTE LÜGE

Ein unsympathisches Brüderpaar

24.01.2025 | KRITIKEN, Theater

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Foto © Tommy Hetzel

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
DAS GROSSE HEFT / DER BEWEIS / DIE DRITTE LÜGE
nach den Romanen von Ágota Kristóf
Eine Produktion des Schauspiel Köln
Premiere in Wien: 18. Jänner 2025,
besucht wurde die zweite Vorstellung am 23. Jänner 2025 

Ein unsympathisches Brüderpaar

Köln hat so einiges zu bieten, einen grandiosen Dom, hochrangige Museen. Was sich im dortigen Schauspiel getan hat, wissen die Wiener Theaterbesucher seit Saisonbeginn ausführlich, denn Stefan Bachmann hat zahlreiche Produktionen seiner vorigen dortigen Wirkungsstätte an das Burgtheater gebracht.

Was sah man also bisher als „Produktion des Schauspiels Köln“? „Holtrop“, eine langwierige Polit-Revue ohne erkennbare Aussage. „Der eingebildete Kranke“, genderfluid und ganz auf feministisch-trans-woke politische Korrektheit umgepolt. „Der große Diktator“, eine trotz des bemerkenswerten Hauptdarstellers inhaltlich sehr schwache Ein-Mann-Schau. „König Lear“, so uninteressant, wie Theater eigentlich nicht sein sollte. Schließlich  „Akins Traum vom Osmanischen Reich“, wieder revueartig, überflüssig und aussagefrei. Nichts, was ein Wiener Burgtheater-Publikum zu seinem Glück gebraucht hätte. Aber mit der sechsten Produktion aus Köln wurde es noch schlimmer…
*
Ágota Kristóf (1935-2011) floh nach dem Aufstand von 1956 aus ihrer ungarischen Heimat in die Schweiz, wo sie bis zu ihrem Ende lebte. Sie schrieb zuerst auf Ungarisch, später auf Französisch. Drei auf Französisch erschienene Romane, „Das große Heft“(1986), „Der Beweis“ (1988) und „Die dritte Lüge“ (1991) machten sie, laut Burgtheater-Information, international erfolgreich und trugen ihr viele Preise ein. Wer aus den drei Büchern, die inhaltlich lose zusammen hängen, einen knapp zweistündigen pausenlosen Theaterabend gemacht hat, gibt die Kölner / Wiener Theaterinformation nicht preis. Was man sieht ist – ein Abend für zwei Stimmen.

Im ersten, längsten Teil geht es um ein Zwillingsbrüderpaar, Das heißt, dass Regisseurin Mina Salehpour die beiden Darsteller eine Stunde lang „chorisch“ sprechen lässt (war

szweifellos eine Konzentrationsübung ohnegleichen ist). Dabei erzählen sie, wie sie im Krieg (es handelt sich um den Zweiten Weltkrieg) zu ihrer lieblosen Großmutter aufs Land, in ein Haus nahe der (offenbar österreichischen) Grenze gebracht wurden. Dort brutal herumgestoßen, verdreckten sie nicht nur körperlich, sondern verhärteten sich auch seelisch bis zur selbstverständlichen Kriminalität. Was die Autorin da erzählen lässt, ist extrem grausam und menschenverachtend – und natürlich alles andere als Theater. Da es kaum interessant ist, dabei zuzusehen, wie zwei Darsteller wie aneinander gewachsen über die Bühne wanken, fallen dem Zuschauer leicht aus Langweile die Augen zu… Es gibt ja auch auf der anfangs fast leeren, später mit sinnlosen Bestandteilen einigermaßen angeräumten Szene (Andrea Wagner) weiter nichts zu sehen.

Am Ende bittet der wieder gekehrte Vater die Brüder, die sich an der Grenze gut auskennen, ihm bei der Flucht zu helfen. Sie tun es nicht ohne Hintergedanken, denn sie wissen, wenn er auf eine Mine tritt, kann einer von ihnen über seine Leiche flüchten. Und so geschieht es auch.

Im zweiten Teil wechselt die Autorin den Ton – sie erzählt von Lukas, dem Bruder, der zurück geblieben ist, und wie echt (oder phantasiert) seine Gespräche mit einem verkrüppelten, unliebenswürdigen Mädchen sind, bleibt offen – aber jedenfalls bekommt Seán McDonagh (endlich) die Möglichkeit zu einem kleinen darstellerischen Glanzstück, wenn er beide Figuren im Dialog einfach meisterlich differenziert.

Teil drei springt, den Boden der Realität weiter verlassend, zu Claus, dem anderen Bruder, der nach Jahrzehnten in die Heimat zurückkehrt, um Lukas zu suchen. Es ist dies der in  jeder Hinsicht schwächste Teil, spekuliert die Autorin doch ganz billig mit der Pirandellesken Frage, was denn eigentlich wirklich sei… Im Vergleich zu Seán McDonagh und dessen präziser Sprache fällt Bruno Cathomas mit affektiertem Geflüstere in jeder Hinsicht ab.

Aber da ist man ohnedies längst froh, die beiden unsympathischen Brüder, für die man sich nie wirklich interessiert hat und für die man nichts empfinden kann, los zu sein. Was der Zweck des Abends war, bleibt (wie so oft bei Abenden des Bachmann’schen Angebots) wieder einmal völlig offen. Sollte da auf soziales Mitleid spekuliert worden sein? Hat nicht funktioniert.

P.S.  In vielen Jahrzehnten von Theaterbesuchen habe ich das Akademietheater noch nie so leer erlebt wie bei dieser zweiten Vorstellung dieser Produktion. Fünf Minuten vor Beginn meinte der Billeteur zu den paar versprengten Besuchern am Balkon, man solle sich hinunter setzen wohin man wolle. (Etwas, das ich nur von gelegentlich schwach besuchten Matinee-Vorstellungen in London kenne.)

Direktor Stefan Bachmann sollte sich gut überlegen, was er dem Wiener Publikum mit Gewalt aufzwingen will.

Renate Wagner

 

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