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WIEN / Akademietheater: CORIOLAN

17.09.2016 | KRITIKEN, Theater

20160913_201045 Szene breit
Alle Fotos: B arbara Zeininger

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
CORIOLAN von William Shakespeare
Fassung des
Burgtheaters
Premiere: 16. September 2016

Shakespeares „Coriolan“ ist ein seltener Gast auf Wiener Bühnen (am Burgtheater zuletzt 1979 als Gastspiel der Royal Shakespeare Company zu sehen, bei den Salzburger Festspielen 1993 von Deborah Warner mit Bruno Ganz inszeniert). Dabei ist dieses Römerdrama ein exakt in das Zentrum aller Probleme treffende Politstück für heute, politisch Lied, garstig Lied, alles drin über die verquere Beziehung eines wankelmütigen, leicht zu manipulierenden Volks zu seinen Politikern, die sich – siehe Wahlkämpfe aller Art… – bis zur Peinlichkeit vor denen verbiegen müssen, deren Stimme sie brauchen. Das war im Alten Rom genau so wie heute.

Dazu kommen noch wahre Erkenntnisse darüber, wie die Politiker das „Volk“ im Grunde verachten, wie sie Phrasen dreschen und Werte postulieren und dabei meist nur nach billigstem Pragmatismus handeln, wie zwischen den Parteien bis aufs Messer um Macht und die Vernichtung des anderen gekämpft wird, wie man einfach nur ein Spiel spielt, lügt, betrügt, mit rhetorischen Spitzfindigkeit Stimmungen hochschaukelt… kurz, alles bekannt. Spannende Sache. Wenn es denn auf der Bühne des Akademietheater eine wäre.

Das Wiener Publikum mag „private“ Schmankerln. Die Familie Wessely-Hörbiger waren die „Royals“ des Burgtheaters, die Sonderstellung gilt auch für die nächsten Generationen. Oft hat Attila Hörbiger mit seinen Töchtern auf der Bühne „Vater und Tochter“ gespielt. Nun sind Elisabeth Orth und Cornelius Obonya in „Coriolan“ Mutter und Sohn, ganz wie im richtigen Leben. Dass Schwiegerkinder als Regisseure mitgebracht wurden, war bisher nicht der Fall – und hier hat es der Sache auch nicht wirklich gut getan. Denn Carolin Pienkos holte nicht einmal annähernd die Wirkung aus dem Werk, die da zu bergen gewesen wäre.

Was sie an Theatermitteln zu bieten hat, sind mittelmäßige, von anderen mittelmäßigen Inszenierungen abgeschaute Effekte, gelegentliches Geschrei, Lichtbatterien oder Taschenlampen, Projektionen, alles gänzlich abgegriffen. Wobei das Stück die meiste Zeit auf mehr oder minder leerer Bühne (Walter Vogelweider) und heutigen Kostümen ohne Eigenschaften (Heide Kastler) im dämmrigen, dusteren Zwielicht aufgesagt wird. Nur eines höret nimmer auf, die Musik, die zwischen den Szenen eingespielt wird (Imre Lichtenberger Bozoki, Moritz Wallmüller), viel dramatischer Trommelwirbel und Aufgerausche, aber für die Dramatik, die von Szenen- und Personenführung schuldig geblieben wird, reicht es nicht aus. Der Abend hat kein Tempo, keinen Rhythmus, scheitert an allen Spannungsbögen. Da fehlt weniger das Handwerk als der Theaterinstinkt, über drei schrecklich einförmige Stunden tun weder einem Stück noch einem Publikum gut.

20160913_191842 Mutter und Sohn 20160913_182421 er und Reincke
Coriolan (Cornelius Obonya) mit Mutter (Elisabeth Orth) und Freund (Martin Reinke)

„Coriolan“ ist auch eine Tragödie des Hochmuts. Caius Martius, erfolgreicher Feldherr (als er Corioles, die Stadt der Volsker – ein Nachbarstamm in Latium – einnahm, bekam er den Ehrennamen „Coriolanus“), nach blutigen Kriegen für die Politlaufbahn prädestiniert, ist sich zu gut dafür, um die notwendigen Stimmen zu buckeln. Dafür jagt man ihn mit etwas, das man Shitstorm nennen könnte (genau so künstlich und willkürlich wie heute), davon. Dass er bereit ist, als Verbannter zum Feind überzulaufen und seine Heimat zu bekämpfen (ein wahnwitzig extremer Schritt), zeigt, wie weit Shakespeare diese Figur getrieben hat. Angesichts so harter Emotionen hat Cornelius Obonya (der durchaus stämmig-kraftvoll auf der Bühne steht wie einst der Großpapa) im Grunde nur gelegentlich verächtliches Verziehen der Mundwinkel und im übrigen eine seltsame Unbeweglichkeit zu bieten. Die große, schillernde Persönlichkeit, die das Publikum anziehen und abstoßen, aber immer interessieren müsste, ist er nicht.

Die Unbeweglichkeit teilt er mit der Mama: Volumnia, die ihm an Hochmut nicht nachsteht, aber so richtig meint, man solle doch bei aller Sturheit seinen Kopf benützen, ist im Grunde ein wahres Monster. Wenn sie am Ende den Sohn von den Feinden zurückholen will, führt sie einen Psychokrieg erster Ordnung, für den Elisabeth Orth kaum die Stimme hebt. Verinnerlichung ist schön, sie darf nur nicht in Farblosigkeit ausarten: Da müsste man doch vor Spannung in den Sesseln wetzen, so vielfältig müssten Tricks und Emotionen sein, mit denen sie diesen Krieg um den Sohn führt.

Im Grunde gibt es nur noch eine Frau im Geschehen, und man hat von der jungen Anna Sophie Krenn auf Wiener Kleinbühnen wirklich bemerkenswerte Leistungen gesehen, die sie durchaus als burgtheater-reif ausweisen: Und da bekam sie als Gattin Virgila eine nahezu stumme Rolle und darf nur erschüttert und betroffen dreinsehen. Immerhin schweigt sie mit starker Präsenz.

20160913_180918 Rohrer geifernd 20160913_194120 Meyer
Volkstribun, unverständlicherweise weiblich (Sylvie Rohrer) / Feldherr (Markus Meyer)

Der Abend bietet übrigens noch eine Dame, die allerdings nicht vorgesehen ist: Dass Volkstribun Sicinus Velutus zu einer Sicina Veluta geworden ist, kann man bei allem Verständnis für Gender-Gerechtigkeit nicht einsehen, auch wenn Sylvie Rohrer mit scharfer, durchdringender Stimme lustvoll Böses tut. Aber als der wahre Gegenspieler von Coriolan ist sie schlechtweg nicht richtig. Es werden doch im Burgtheater genügend Herren zu finden sein? Man hätte beispielsweise auch Sven Dolinski von seinen Halb-Statisten-Aufgaben befreien und hier einsetzen können, das wäre zweifellos ein bemerkenswertes Porträt geworden…

Da sind noch einige Schauspieler von Format, die wenig mehr dürfen, als auf der Bühne herumzustehen. Einzig Markus Meyer als Tullus Aufidius hat (obwohl man den Darsteller nicht unbedingt als Feldherren sehen würde) vor allem am Ende ein wenig an flirrenden Persönlichkeitswerten zu bieten. Martin Reinke mit seinem unverkennbaren stimmlichen Geschnarre ist der edle Freund Menenius Agrippa, Bernd Birkhahn spielt einen Konsul, der sich in Souveränität versucht, dem die Dinge allerdings aus der Hand gleiten. Der Rest ist quasi als „Chor“ eingesetzt, wobei das „Volk“ als Kollektiv eine wichtige Funktion hätte – wenn es inszeniert worden wäre.

Eine politische Parabel muss greifen, muss mitreißen, muss herausfordern, die darf nicht dröge aufgesagt werden. Das Publikum war natürlich anderer Meinung, dem Premierenapplaus nach zu schließen.

Renate Wagner

 

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