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WIEN / Akademietheater: ANTIGONE. EIN REQUIEM

12.09.2020 | KRITIKEN, Theater


Alle Fotos: Burgtheater / Horn

WIEN / Akademietheater des Burgtheaters:
ANTIGONE. EIN REQUIEM von Thomas Köck nach Sophokles
Österreichische Erstaufführung
Premiere: 12. September 2020

Nur eine kleine Erinnerung an eines der ganz großen Werke der Antike, denn vielleicht ist es schon eine Zeit lang her, dass man die „Antigone“ des Sophokles gelesen hat. Darin geht es um einen Toten – er ist Antigones Bruder, göttliches Recht verlangt, dass sie ihn würdig bestattet. Er war aber auch ein Staatsfeind für Theben, und als solcher, verfügt König Kreon, möge sein Leichnam nach dem Gesetz am freien Feld vor der Stadt verrotten.

Antigones Widerstand ist paradigmatisch geworden für das Aufstehen des Individuums gegen die Staatsmacht. Am Problem des Stücks kann man sich übrigens bis heute fransig diskutieren, weil es nämlich keine verbindliche Lösung gibt – jeder wird nach seinen eigenen Prioritäten und Wertvorstellungen entscheiden.

Von dieser Antigone des Sophokles hat der aus Oberösterreich stammende Autor Thomas Köck die Grundstruktur übernommen – Antigone gegen den Staat. Allerdings hat er dazu ein Stück ausschließlich für hier und heute geschrieben. Das nur einen Fehler hat: Antigone besteht darauf, die Leichen angeschwemmter Flüchtlinge zu begraben. Und das wäre doch, seien wir ehrlich, für heutige Politiker gar kein Problem. Die würden sogar tränendrüsige Reden halten und die Scheiterhaufen schmücken, wenn sie das Problem auf so billige Weise los werden könnten. Nein, der Sachverhalt würde in seiner ganzen Brisanz nur funktionieren, wenn es darum ginge, ob man lebende angeschwemmten Menschen gleich wieder wegschickt, oder ob man sich entschließt, sie bei sich aufzunehmen…

Nun, Köck hat das Stück auf der zu Sophokles parallelen Prämisse der unerwünschten Leichen geschrieben. 2019 ist es in Hannover uraufgeführt worden. Das Burgtheater, das nun im Akademietheater die Österreichische Erstaufführung bringt, hätte sich freilich keinen passenderen Termin aussuchen können – jetzt, wo die Flüchtlingsfrage wieder so virulent geworden ist. Und nur darum geht es in dem Stück.

Die Figuren sind zwar dieselben wie in der Vorlage – Antigone, die Tochter des Ödipus, ihre Schwester Ismene, Kreon, der König von Theben, Eurydike, seine Frau, Haimon, sein Sohn, Antigones Verlobter. Dazu noch der Seher Teiresias (der hier ziemlich überflüssig ist, weil Köck zu ihm nichts eingefallen ist, was zur Diskussion beitrüge) und die sehr aufgewertete Rolle des Boten, der hier eine Botin ist. Aber griechische Antike findet nicht statt – vielmehr ein Diskussionsstück zu Sachen Migration.

Antigone hat ihre Argumente, die auf Empathie und Menschlichkeit beruhen, ihre Schwester ist gar nicht ihrer Meinung, sondern stottert, was die „Volksmeinung“ ist, und Kreon verteidigt die Position des „Staates“ mit mehr oder minder wackligen Argumenten. Es ist klar, wie eine solche Aufarbeitung der bekannten Positionen im Zeitalter der politischen Korrektheit ausfallen muss, der Autor sagt unmißverständlich, was ein anständiger Mensch zu denken hat, und dass Kreon sich aufführt, als sei er ein Orban, passt in dieses schöne, altmodische Stück Agitprop, das nicht wirklich Theater ist, sondern eine Mischung aus einer Fernsehdiskussion und lebhaft aufbereitetem Schulfunk.

Neues erfährt man nicht, dass Antigone, Haimon und Eurydike nach dem antiken Vorbild hinter der Bühne sterben, macht die Sache nicht überzeugender. Eher schon, dass sich nach dem, was man für ein dramatisches Schlußbild hält (dass alle wie gestrandete Leichen, rot beleuchtet auf der Bühne liegen), Ismene sich noch einmal erhebt und beweist, dass die konformistische Stimme des Leugnens der Tragödie und der Verantwortung ja doch überlebt…

Regisseur Lars-Ole Walburg hat sich entschlossen, die Substanz des Stücks – sprich: die Diskussion – nicht zu stören, darum passiert szenisch nichts, im Hintergrund rauscht gelegentlich per Video das Meer (Bühne Peta Schickart. Kostüm-Mix: Hanna Peter), alle dürfen ihre Standpunkte klar machen („Gut“ und „Böse“ genau erkennbar verteilt), und immer wieder finden sich alle zu einem Chor zusammen, wie er aus der griechischen Antike nicht wegzudenken ist. Da Chöre bei uns nie so gnadenlos exakt gesprochen werden, wie es nötig wäre, versteht man ihre Aussage allerdings nur bedingt.

Antigone: Sarah Viktoria Frick

Sarah Viktoria Frick glaubt man die gestandene Überzeugung, für die sie plädiert, übergroß ist die Rolle nicht. Da kommt auch die Schwester (Deleila Piasko als Ismene) nachdrücklich zu Gehör, und eigentlich geht es ja nur darum, die Argumente des „bösen“ Kreon auszuhebeln: Markus Scheumann, den wir schon als Hermann in der „Hermannsschlacht“ gesehen haben, ist hier viel besser, weil er die Verbissenheit und Phrasendrescherei eines immer wieder in die Enge getriebenen Politikers sehr überzeugend vermittelt. Man kann ihn nicht leiden, und genau dieser Effekt soll erzielt werden.

Mit einer Ausnahme sind die restlichen Herrschaften (Dorothee Hartinger als Eurydike, Branko Samarovski als Teiresias, Mehmet Ateşçi als Haimon) nicht mehr als Staffage. Mavie Hörbiger hingegen macht aus der Rolle der Botin ein schreckliches Glanzstück, sie, die sich dreht und wendet unter dem, was sie stets an Grauenvollen zu berichten hat, und die doch ganz eindeutig versucht, sich der allgemeinen erwünschten Meinung anzubiedern…

Ein Abend wie dieser ist das Äquivalent zu einer Demo mit Kerzerl-Schwenken. Man weiß, was man gesehen und gehört hat, man weiß, was man denken sollte. Bloß, dass es ungleich einfacher ist, die Probleme auf der Bühne zu verkünden, als in der Realität das Richtige zu tun.

Renate Wagner

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Sa, 12. September 2020
Akademietheater

ANTIGONE. EIN REQUIEM
Thomas Köck nach Sophokles 
Österreichische Erstaufführung

Regie Lars-Ole Walburg 
Bühne Peta Schickart  
Kostüme Hanna Peter  
Musik Lars Wittershagen  

Antigone Sarah Viktoria Frick  
Ismene Deleila Piasko  
Kreon Markus Scheumann  
Botin Mavie Hörbiger  
Haimon Mehmet Ateşçi  
Eurydike Dorothee Hartinger  
Teiresias Branko Samarovski

 

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