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WIEN 1900

12.01.2021 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Buchcover Wien 1900

WIEN 1900
Aufbruch in die Moderne
Verlag Leopold Museum, 560 Seiten, 2019

Es gibt in Wien keine bessere Übersichts-Präsentation des Themas „Wien 1900“ als jene, die permanent im Leopold Museum zu sehen ist. Man schreitet durch die Räume wie durch Welten, erlebt Kunst, Kultur, Alltag, sieht Gemälde und Fotos, Möbel und Mode, Dinge des täglichen Lebens und singuläre Kostbarkeiten. Man kann den Eindruck live genießen, einmal, mehrfach. Und man kann ihn auch nach Hause nehmen.

Der voluminöse Katalog zeigt am Titel das Gesicht des jungen Egon Schiele, eine Fotografie von Sigmund Freud, zwei Elemente aus Klimts „Tod und Leben“, die Figur des Todes und eine Frau, von dem charakteristischen floralen Muster umgossen – Fakten und Gefühle.

Herausgegeben von Hans-Peter Wipplinger, dem Direktor des Hauses, folgen auf eine Anzahl von Artikeln über die Gesellschaft der Zeit, ihren philosophischen Unterbau, ihre Stimmungslage (nervös!), über Literatur und Tanz, Theater und Musik. Einzige Einschränkung: Das Lesen wird einem schwer gemacht. Weiß auf Gold und Gold auf Weiß, Zartgold auf Schwarz, sieht zwar unendlich elegant aus, ist aber auch mit Lesebrille schwierig zu entziffern, und die Texte der Artikel sind kleiner, als sie sein sollten.

Dafür entfaltet sich in der Folge die volle Wonne des Schauens. Hat man bei den Einführungsartikeln zusätzliches Bildmaterial zur jeweiligen Thematik erhalten, so bietet der Katalog nun Schritt für Schritt das, was man beim Gang durch die Ausstellung sieht. Bekanntlich hat man „Wien 1900“ ja eingebettet, nicht nur in Fotos, die die Monarchie zwischen Kaiserpracht und Arbeiterelend zeigen und von extremer Aussagekraft sind,  sondern auch in die Vorgeschichte und gewissermaßen die Nachwehen des Zeitalters, das auch als Fin de  Siècle ein Begriff ist.

Die Vorgeschichte war der Historismus, die Welt von Hans Makart, gegen welche die „Modernen“ so erfolgreich angerannt sind – statt Opulenz, Plüsch und Pathos nun Klarheit, ornamentale Strukturen, abstrahierender Gestaltungswille. Die Herren, die sich da auf einem so fröhlich wirkendes Gruppenfoto zusammen kauerten, unter ihnen Gustav Klimt, Kolo Moser, Emil Orlik, Max Kurzweil, Carl Moll, hatten handwerklich alles von der vorigen Generation gelernt und waren willens, ihren eigenen „Secessions“-Stil zu finden – was ihnen bekanntlich gelungen ist.

Wie die Ausstellung, so setzt der Katalog die Schwerpunkte – zwischen Plakatkunst und neuer Theater-Ästhetik (das Kabarett „Fledermaus“), der neue, „freie“ Tanz der Schwestern Wiesenthal, der Einfluß der Japaner, der Franzosen, der Deutschen. Ausdruck vor Schönheit, wie man sie früher verstand, wenngleich erotisches Flair immer noch gelegentlich durchblitzte. Die Modewelt der Emilie Flöge und anderer Wiener Modeschöpfer wird befragt („Reformkleider“ und Befreiung vom Korsett), „andere“ Häuser und Möbel, Gebrauchsgegenstände und Stoffmuster, exzentrisch, einfallsreich, verschlungen ornamental. Kaffeehaus, Dichter und Schönberg. Kultur, so breit aufgestellt, wie man denken kann.

Schwerpunkte werden auf große Persönlichkeiten gelegt: Gustav Klimt (mit dem Versuch, einen Raum seines Josefstädter Ateliers nachzubauen), viel Kolo Moser, Otto Wagner und Wien als Architektur-Metropole, Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte, Adolf Loos und Richard Gerstl,  Schließlich Egon Schiele als persönlicher Höhepunkt auch des ausstellenden Hauses, des Leopold Museums, das die weltgrößte Sammlung seiner Werke besitzt. Und da ist Oskar Kokoschka, der schon wieder in neue Welten hinüber reicht, und der Erste Weltkrieg, der einen Schlussstrich auch unter diese Welt um 1900 zieht. Expressionismus und neue Sachlichkeit lassen grüßen. Ein großer Überblick ist gegeben.

Renate Wagner

 

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