Werner Rosenberger
HINTER FREMDEN FAHNEN
GESCHICHTEN AUS BOTSCHAFTEN UND RESIDENZEN
272 Seiten, Amalthea Verlag, 2022
Zu Beginn des Buches „Hinter fremden Fahnen“ zitiert Autor Werner Rosenberger allerlei pointierte Sprüche über Diplomaten, die dabei gar nicht so gut wegkommen, aber sie sind ja angeblich die Helden, wenn der Untertitel lautet: „Geschichten aus Botschaften und Residenzen“. Nun, mitnichten. Manchmal geht es um die Häuser an sich, wo sich Länder aus aller Welt eingemietet oder eingekauft haben, um ihre Botschaften zu unterhalten – etwa um jenes Art-Deco-Gebäude am Schwarzenbergplatz, das sich die Franzosen selbst gebaut haben.
Meist aber sind nur die Adressen interessant, und dazu haben die heute darin befindlichen Institutionen kaum etwas zu vermelden. Da es sich fast ausschließlich um ehemalige Palais und Villen handelt, erzählt der Autor die Geschichten ihrer Besitzer und Bewohner. Kurz gesagt, es ist ein Buch über Häuser und Menschen. Und es beinhaltet ungemein viel Wissen, das man teils mit Erstaunen und immer dankbar entgegen nimmt.
Die 25 Adressen zentrieren sich vor allem im Ersten Bezirk, weiters rund um den Rennweg, in Währing und Döbling, auch in Hietzing, dort, wo die Reichen und Schönen gerne lebten und auch bauen ließen. Es ist schier unglaublich, welch eine Fülle historischer Persönlichkeiten sich hier zwischen den Buchseiten ergießt – von den Habsburgern bis zu den Bühnenkünstlern, von den Bankiers und Unternehmern bis zu halbseidenen Figuren, von berühmten Salonièren bis zu einflussreichen Chefredakteuren.
Vieles spielt sich im 19. Jahrhundert ab, einiges schon früher, manches reicht bis ins 20. Jahrhundert hinein (wenn es vor allem um vertriebene und wieder gekehrte Juden geht). Und ganz am Ende – da wird am Rande der heutigen Norwegischen Botschaft in der Peter Jordan-Straße auch noch die Geschichte erzählt, wie Hans Dichand 1950 die Kronen Zeitung neu begründete, mit tatkräftiger Hilfe von Pittermann, Broda und Olah…
Es gibt eine Menge Bilder, was nicht bedeutet, dass man sich nicht noch viel mehr gewünscht hätte, schließlich kennt man viele Gebäude, fährt an ihnen vorüber, weiß gar nicht, dass sich Botschaften darin befinden, und noch weniger, wie ihre Geschichte davor aussah. Wer könnte ahnen, auch wenn er (sie) acht Jahre lang bei der Ecke Wenzgasse / Lainzer Straße an der „Persischem Botschaft“ (wie man sie immer nannte) vorbei gegangen ist, dass diese Villa, einst für den in Wien berühmten „Margarinekönig“ Carl Blaimscheln erbaut, 1945 eine gewaltige Rolle in Österreichs Geschichte spielte? Die Sowjetische Kommandantur stellte sie Karl Renner zur Verfügung, der dort innerhalb von wenigen Tagen mit SPÖ, ÖVP und KPÖ die Struktur für ein ein künftiges Österreich aushandelte…
Die Gebäude, um die es geht (und man kann nur wenige nennen, weil es einfach so wunderbar viel Information gibt) hießen einst etwa Palais Larisch, schräg vis a vis von dem später entstandenen Wienfluß-Verbau Otto Wagners, heute Botschaft des Irak (dort ist Kronprinz Rudolf erstmals Mary Vetsera begegnet, und man weiß, was daraus geworden ist). Oder das Gebäude der Fürsten Dietrichstein (heute sind die Liechtensteiner dort), das so eng mit der schönen Schauspielerin / Sängerin Johanna Buska verbunden ist, aber auch mit Opernstar Selma Kurz. In der Metternich-Gasse begegnet man der einst so wichtigen Bankiersfamilie Thorsch, am Rennweg in den von Otto Wagner errichteten Häusern der Gräfin Misa Wydenbruck, die als berühmte „Wohltäterin“ noch Pauline Metternich übertrumpfen wollte – und weil dort heute die Polnische Botschaft untergebracht ist, nimmt uns der Autor zu einem Streifzug durch das „polnische Wien“ mit (so wie später auch durch das „griechische Wien“).
Am Rennweg 5, wo heute die Kroatische Botschaft untergebracht ist, begegnet man der schönen Marie Gräfin Hoyos-Amerling, die erst den berühmten Maler (der sehr viel älter war als sie), dann den Grafen Hoyos glücklich gemacht hat, aber da solche Adressen im Lauf von Jahrzehnten und Jahrhunderten viele Bewohner haben, findet man dort auch einen „Gentleman-Gauner“ aus Peru, der Kokain und Opium im Umfang von Hunderten Kilo einschmuggelte.
In der heutigen Britischen Botschaft in der Metternich-Gasse hat sich schon während des Wiener Kongresses der Großvater von Winston Churchill schlecht benommen, in dem Palais des Beaux Arts, einer Wiener Enklave des französischen Kunsthändlers Bachwitz (heute die Botschaft von Litauen), ist das Schicksal von dessen emigrierten Enkel interessant, der sich auf skurrilste Weise neu erfand und es bis zum Schauspieler in Hollywood brachte (allerdings in kleinen Rollen…).
Oft stehen, in Zusammenhang mit Gebäuden, die heute Botschaften sind, einzelne Persönlichkeiten im Mittelpunkt – Sascha Kolowrat, der ein echter Adeliger war, aber nur als „Filmgraf“ bekannt ist, der Journalist Moriz Szeps (dessen Geschichte bis zu seiner berühmten Tochter Berta Zuckerkandl weiter geführt wird), Erzherzog Otto, der Vater von Kaiser Karl, der ein so verrücktes Leben führte und so elend starb (in seiner ehemaligen Privatvilla befindet sich die Botschaft von Israel), Gustav Davis, Autor (über sein Stück „Katakomben“ hat man noch im Volkstheater gelacht) und Chef der „Kronen Zeitung“, bevor sie einging – und später auferstand.
Als Treppenwitz der Weltgeschichte erfährt man (und ehrlich, wer hätte das gewusst?), dass die Türkische Botschaft sich heute in der Prinz Eugen Straße genau dort befindet, wohin Sultan Suleyman der Prächtige bei der Ersten Türkenbelagerung 1529 vordringen konnte… Wiener Lokalgeschichte, anhand der Botschaftsadressen erzählt. Ein Fest für Freunde von Wiens Geschichte.
Renate Wagner