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WARSCHAU/ NATIONALPHILHARMONIE: 18.INTERNATIONALER CHOPIN WETTBEWERB

WARSCHAU/ NATIONALPHILHARMONIE: 18.INTERNATIONALER CHOPIN WETTBEWERB

vom 2.-23. Oktober 3021

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Sehr viele weltweit bekannte Marken haben die Polen ja bekanntlich nicht. Genaugenommen sind es nur drei: Frédéric Chopin, Marie Curie und Papst Johannes Paul II. – wobei sich Madame Curie naturgemäss nicht ganz so gut popularisieren, um nicht zu sagen: vermarkten lässt.

Also hält man sich in erster Linie an den Papst und, was die Kultur betrifft, an Fryderyk (so der Taufname) Chopin. Er ist so etwas wie der Nationalheilige des Landes.

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Der strahlende Gewinner: Bruce (Xiaoyu) Liu

Man kommt am Chopin Flughafen an, man fährt an seinem monumentalen Denkmal vorbei, an der nach ihm benannten Universität, an dem der Erforschung seines Werkes gewidmeten Nationalinstitut, man besucht das sein Andenken aufrecht erhaltende Museum, man bekommt Flyer für Chopin-Konzerte zugesteckt, man besäuft sich sinnlos mit (fünf verschiedenen) Chopin-Vodkas.

Der Höhepunkt des Chopin-Kults ist jedoch sein Todestag am 17. Oktober, der alljährlich mit einem großen Konzert in der Kirche zum Heiligen Kreuz begangen wird, in der (eingemauert in eine tragende Säule) sein von seiner Schwester von Paris nach Warschau eingeschmuggeltes und in einem guten und kaum weniger werdenden Cognac eingelegtes HERZ bis heute aufbewahrt wird.

Alle fünf Jahre erfährt die grenzenlose Verehrung des halbfranzösischen Exilpolen in seiner alten Heimat aber noch eine weitere, ungeheuerliche Steigerung.Denn dann findet (seit 1927 – mit Unterbrechungen) in seinem Namen der absolut renommierteste aller (angeblich weltweit über 1100) Klavierwettbewerbe statt. Die Liste der bisherigen Gewinner spricht ja auch allein schon Bände: Martha Argerich, Maurizio Pollini, Garrick Ohlsson, Krystian Zimerman u.v.a.m…

Dies alles wissend, überrascht einen doch der unglaubliche Fanatismus, die fast religiöse Hingabe mit der dieses Ereignis in ganz Polen verfolgt wird. Es ist irgendwie so, als ob Neujahrskonzert, Opernball und Hahnenkammrennen alle fünf Jahre eine einzige Veranstaltung wären (und das ist noch zu wenig gesagt).

Die Warschauer Nationalphilharmonie ist wochenlang bis auf den letzten Platz gefüllt – mit dem chopinmässig gebildetsten Publikum der Welt, das mucksmäuschenstill jeden auch noch so zartesten Anschlag in ehrfürchtigster Andacht verfolgt. Darüber hinaus wird man auf dem Weg in den Konzertsaal von Dutzenden verzweifelten Chopin-Liebhabern mit selbstgebastelten, handgeschriebenen Kartontaferln inständigst um ein übriggebliebenes Ticket nahezu auf Knien angefleht – obwohl das polnische Fernsehen (bei uns auch unvorstellbar) alle Finalabende zur besten Hauptsendezeit in ganz Polen live überträgt …

Der 18.Wettbewerb hätte eigentlich 2020 stattfinden sollen, wurde aber dann aus den bekannten Gründen (so wie die Fußball-Europameisterschaft) auf heuer verschoben.

Der „Konkurs“ (wie er auf polnisch heisst) gliedert sich in vier Phasen. In den ersten drei werden die Hunderten von Teilnehmern solange ausgesiebt, bis am Schluss nur noch 12 übrig bleiben. Dieses glückliche Dutzend präsentiert sich dann an den drei finalen Abenden gemeinsam mit dem Orchester der Warschauer Nationalphilharmonie (die ersten drei Phasen wurden nur mit Piano solo bestritten)

Auswählen dürfen sie – m ü s s e n sie – dafür eines der einzigen beiden Chopin-Klavierkonzerte: entweder das in e-moll oder das in f-moll. Und hier beginnt die große Schwierigkeit für den erst in dieser Phase angereisten ausländischen Besucher: denn da auf dem f-moll-Konzert ein Fluch zu lasten scheint (noch nie wurde ein Chopin-Wettbewerb mit ihm gewonnen), wählen naturgemäss fasst alle Teilnehmer das (künstlerisch viel schwächere, viel unchopineskere, möglicherweise nicht einmal vom Meister selbst instrumentierte) e-moll-Ding. Nun mag die Wahrheit dem Menschen zumutbar sein, aber zehn schwache e-Moll-Klavierkonzerte in Folge wirklich nicht…

(Darüber hinaus stellt sich die grundsätzliche Frage, warum gerade bei einem Komponisten wie Chopin, dessen Weltruhm sich ja immer noch ausschließlich auf seine intimen Salon-Klavierstücke gründet, gerade seine zwei Orchesterwerke, die er schon mit 20 noch in Polen verfasst hat, und die schon damals keine positive Aufnahme gefunden haben, als Prüfstein für die Ermittlung der Sieger im Chopin-Wettbewerb herhalten müssen…versteht keiner…ist aber halt so Tradition…)

Wie dem auch sei: die 20köpfige Jury konnte sich sehr sehr lange nicht auf eine gemeinsame Entscheidung einigen. Und somit wurden die Ergebnisse erst nach endlosen vier Stunden Wartezeit erst um 2h30 der fast schon eingeschlafenen Öffentlichkeit mitgeteilt. Da in diesem Jahr alles anders war, gab es statt 6 sogar 8 Preisträger (weil je 2 Plätze ex-aequo vergeben wurden).

And the winner were:

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Alexander Gadjiev, Italien/Slowenien

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 Martin Garcia Garcia (Spanien)

  1. Preis: Bruce (Xiaoyu) Liu, Kanada (Foto siehe oben)
  2. Preis: ex aequo – Alexander Gadjiev, Italien/Slowenien/ Kyohei Sorita, Japan
  3. Preis: Martin Garcia Garcia, Spanien
  4. Preis: ex aequo – Aimi Kobayashy, ex aequo – Jakub Kuszlik, Polen
  5. Preis: Leonora Armellini, Italien
  6. Preis: J J Jun Li Bui, Kanada

Darüber hinaus gab es wie bei jedem Wettbewerb, der auf sich hält, auch noch jede Menge Spezialpreise wie zB.: für die beste Mazurka, die beste Sonate, das beste Concerto, den besten Walzer, die beste Polonaise etc.

Junge Pianisten auf der ganzen Welt und die gesamte polnische Nation warten jedenfalls bereits jetzt ungeduldigst auf den nächsten Heiligen Wettbewerb (der wahrscheinlich 2025 stattfinden wird)…

Robert Quitta, Warschau

 

 

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