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Walter Obermaier (Hg.): ORPHEUS IN DER UNTERWELT

24.12.2019 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Walter Obermaier (Hg.):
ORPHEUS IN DER UNTERWELT
Text und Aufführung unter Mitwirkung Johann Nestroys
216 Seiten, Lehner Verlag in der Reihe „Quodlibet“, Band 13, 2019

Es gibt viele berühmte Abbildungen von Johann Nestroy in seinen Bühnenrollen. Eine der letzten, die auch zu den bekanntesten zählt, zeigt ihn „geflügelt“ (Jupiter als Fliege) in Offenbach „Orpheus in der Unterwelt“. Die Operetten des Franzosen haben in seiner späten Lebensphase eine große Rolle für ihn gespielt. Bisher meinte man, dass ihn das nur als Direktor des Carl-Theaters und als Darsteller betraf. Aber Walter Obermaier, der eine gewaltige Rolle bei der Erstellung der Historisch-Kritischen Ausgabe von Nestroys Werken spielte, ist der Sache nun näher nachgegangen.

Wie man weiß, beruhen alle von Nestroys Stücken auf Vorlagen, meist in englischer oder französischer Sprache. Seine Bearbeitungen gingen so weit, dass am Ende nur das Handlungsgerüst übrig blieb, der Rest war Nestroy pur. Bei den Operettenaufführungen hat man Nestroys Anteil an der Bearbeitung des Textes gering geschätzt.

Walter Obermaier griff für „Orpheus in der Unterwelt“, der am 17. März 1860 seine Wiener Erstaufführung im Carl-Theater erlebte, auf zwei Theatermanuskripte zurück, und offenbar hat Nestroy doch viel stärker in den Originaltext von Hector Cremieux, übersetzt von Ludwig Kalisch, eingegriffen als bisher angenommen, über den „Wienerischen Tonfall“ hinaus, den er den Dialogen gegeben hat.

Interessant sind stets die bei der Zensur eingereichten Exemplare der Stücke, weil sie zeigen, wo der Staat immer noch „Gefahr“ witterte – auch nach der Ära Metternichs (die Aufhebung der Zensur in der Folge der Revoluiton von 1848 hatte nur kurz gewährt). In diesem Fall gab es nur wenige Änderungen, aber man hat genau gelesen. Wenn Jupiter, also Nestroy, sagen sollte: „Man beobachtet uns, man erspäht unsere schwachen Seiten, man fängt an, unsere Stellung in Frage zu ziehen“, wurde das prompt gestrichen. Das hätte ja das Publikum auf Ideen bringen können…

Das Buch ist im Stil der Historisch-Kritischen Gesamtausgabe gehalten (die vielleicht noch einige Zusätze erhalten wird?): Genaue Beschreibung der Aufführungsgeschichte, der Besetzung, der Resonanz bei Publikum und Presse. Dennoch hat niemand das Werk Nestroy zugeschrieben – dazu war Offenbach zu mächtig. Immerhin wurde geurteilt, dass Nestroys Geist hier gewaltet habe. Der genaue Blick auf den Wiener „Orpheus“ von 1860 lohnt sich jedenfalls.

Renate Wagner

 

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