Veronika Helfert
FRAUEN, WACHT AUF!
Eine Frauen- und Geschlechtergeschichte von Revolution und Rätebewegung in Österreich, 1916-1924
L’Homme Schriften: Reihe zur Feministischen Geschichtswissenschaft, Band 28
400 Seiten, V & R unipress, 2021
Es ist der Androzentrismus, der die Frauen unserer Zeit erregt, jene Geisteshaltung, die den Mann als die Norm und das Maß aller Dinge betrachtet. Hier wird derzeit von allen Ecken und Enden nachgebessert, auch in der Wissenschaft. Eine nicht ganz leicht zu lesende Dissertation über die vergessenen Frauen österreichischer Revolution vor rund hundert Jahren ist nun als Buch erschienen.
Autorin Veronika Helfert will die Frauen in die Geschichte von „Revolution und Rätebewegung in Österreich 1915-1924“ hineinschreiben, denn so fortschrittlich sich Sozialdemokraten und Kommunisten auch gaben, so kehrten auch sie weibliche Leistungen gerne unter den Teppich. Historische Forschungen allerdings belegen, dass der Anteil der Frauen am „Umsturz“ der Welt von der Habsburger-Monarchie bis zur Ersten Republik bedeutend war, wenn auch die Räte-Bewegung sich hier – anders als in Russland und Deutschland – nicht wirklich durchgesetzt hat. Tatsächlich kann man den politischen Übergang in Österreich fast (fast!) als gewaltfrei bezeichnen.
90 Seiten braucht die Autorin allein als „Vorlauf“, um den Boden für eine kritische, frauenzentrierte Geschichtsschreibung zu bereiten, das Narrativ von der „Revolution der Männer“ in Frage zu stellen, Klischees aufzuarbeiten, die damals das Bewusstsein beherrschten und besagten, dass man „Mann“ mit Eigenschaften wie Festigkeit, Kraft, Tapferkeit und Durchsetzungsvermögen verband, während Frauen mit Schwäche, Empfindung, Hingebung oder Güte in Zusammenhang gebracht wurden. Jedes „kämpferische“ Verhalten von Frauen war daher nicht nur „untypisch“, sondern auch abzulehnen.
Historisch steigt die Betrachtung in die letzten Kriegsjahre ein. Diese waren für die Habsburger-Monarchie nicht nur an der Front, sondern auch in der Heimat verheerend, nicht zuletzt durch die Lebensmittelknappheit. Hier haben Frauen – was gar nicht zu ihrem Bild passte – stark und auch mit Gewalt randaliert, protestiert, gestreikt. Vor wild und wütend gewordenen Arbeiterinnen konnte man sich schon fürchten.
Nicht zuletzt die Gründung der Kommunistischen Partei in Österreich führte nach dem Krieg zu dem Versuch, das politische Leben nach den Vorstellungen von Karl Marx zu gestalten, der die enge Verbindung von Volk und politisch Verantwortlichen durch die „Räte“ herstellen wollte. An dieser immer wieder zu Gewalt aufrufenden „Rätebewegung“ in Österreich (die durch ihr Scheitern normalerweise keinen breiten Raum in den Geschichtsbüchern einnimmt) waren Frauen stark beteiligt. Besonders interessant ist, dass vieles, was damals schon gefordert wurde (gleiches Geld für gleiche Arbeit) auch hundert Jahre danach immer noch nicht befriedigend und definitiv umgesetzt ist…
Auf der Suche nach den „verschütteten und vergessenen Frauen“, die doch aktiv einen so großen Teil an den gesellschaftlichen Umbrüchen leisteten, wird die Autorin mit zahlreichen Persönlichkeiten fündig. Dabei verwendet sie allerdings gerne Bezeichnungen, die unüblich sind. So ist jene bei ihr so benannte „Elfriede Eisler-Friedländert (Bruder Hanns Eisler war später der berühmte Brecht-Komponist) in der Geschichte eher als „Ruth Fischer“ bekannt (die Fülle der Namen, die sie sich gab, machen aber zugegebenermaßen die Übersicht schwer). Die Genossin, die bei ihr nur „Käthe Pick“ hießt, ist als Käthe Leichter keinesfalls eine unbekannte Erscheinung in der österreichischen Geschichte, ebenso wenig wie Emmy Freundlich oder Therese Schlesinger, die an manch anderer Stelle schon gewürdigt wurden. Weniger bekannt ist die KP-Funktionärin Anna Hornik-Ströhmer oder die aktive Arbeiterin Berta Pölz, verehelichte Pollak. Sie alle treten im Lauf des Geschehens in den Vordergrund, Persönlichkeiten wie Elfriede Eisler-Friedländer oft sogar in den Mittelpunkt.
Tatsache war: die Frauen haben gekämpft, blieben aber am Rande des Bewusstseins. Das ist eines der Bücher, die an einem relativ kurzen Abschnitt österreichischer Geschichte eine Wende in der Betrachtung herbeiführen möchten.
Renate Wagner