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VENEDIG: VEC MAKROPULOS

19.03.2013 | KRITIKEN, Oper

Venedig: „Vĕc Makropulos“, 15. und 17.03.2013

Nach der Opéra national du Rhin (siehe Merker-Besprechung 05/2011 von Gerhard Hoffmann) und dem Staatstheater Nürnberg übersiedelte diese Produktion nun zuletzt ins Gran Teatro La Fenice. In Strasbourg war auf den Plakaten „L´Affaire Makropoulos“ zu lesen. Liegt darin mehr Charme? Vorsicht! Unser deutsches Fremdwort Affäre ist emotionsgeladener als das französische Original. Es bleibt ein nüchterner Operntitel solange dem Wort kein Eigenschaftswort (une affaire privée) oder ergänzendes Hauptwort im zweiten Fall (affaire d´amour) beigefügt ist. Von dieser Seite her betrachtet sind Operntitel in der Mehrheit nicht marketinggerechtt, überwiegen doch Eigennamen. „Così fan tutte“ gehört da zu den Ausnahmen. Die Dramaturgie des Teatro La Fenice tat gut daran den tschechischen Originaltitel nicht mit „La cosa Makropulos “, sondern mit „Il caso Makropulos“ zu übersetzen und damit Spannung in „die Sache“ hereinzutragen.

Der Stoff zeigt den amerikanischen Einfluss der in Mode gekommenen „Science-Fiction-Literatur. Karel Čapek, der Autor einer leichten Komödie, gedacht für eine Bühne wie die Kammerspiele in Wien, war sehr verunsichert, dass der große Komponist Leoš Janáček an seinem Stück zum Zweck eines Opernwerks Interesse bekundet. Es wird in der Oper dann nicht zum Schluss der Konversationston Čapeks umgesetzt, in der alle Beteiligten das Für und Wider einer mit Hilfe eines „Hightech-Verfahrens“ erträumten Lebensverlängerung von drei Generationen auf das Vielfache erörtern. Die individuell gut herausgearbeiteten Männer um Emilia Marty werden bei Janáček als Komparsen zurückgenommen, ihr allein werden nahezu philosophische Gedanken in ihren Schlussmonolog gelegt. So gesehen konnte der Regisseur Robert Carsen in mitdenkender Freiheit den Schluss ändern. Die junge Sängerin Krista tritt im Original nicht in die Fußstapfen ihres Idols und verbrennt das ihr geschenkte Rezept des Lebenselixiers. Carsen lässt die Hauptfigur des Dramas folgerichtig alleine und verlassen auf der Bühne mit dem Dokument zurück, welches sie selbst als Ausdruck ihres Lebensverzichts vernichtet.

Es ist für mich das erste Mal, dass ich mit einer das Vorspiel begleitenden Pantomime vorbehaltlos einverstanden bin. Die auf der Bühne gezeigten wechselnden Kostümierungen der über Jahrhunderte gefeierten Sängerin werden zum Sinnbild vieler Leben in einem Leben.

Gespannt wartete ich auf Ángeles Blancas Gulín, meine geschätzte Lou Salomé der vergangenen Saison. Welche Fassetten der Emilia Marty werden zu tragen kommen? Das lyrisch Einschmeichelnde oder das schneidig Kalte? Ist sie wirklich so kalt, wie sie es vorgibt? Im ersten Akt empfinde ich von ihrem Auftritt an Sympathie für sie. Sie hat einmal einen Mann wirklich geliebt, gegen dessen verächtlichen Nachruf sie heftig ankämpft. Schärfe in der Stimme war nur vereinzelt dann zu hören, wenn sie sich mit Ausbrüchen an die Grenzen der ihr gegebenen Stimmmittel wagte.

Das Publikum kann ungerecht sein. Albert Gregor, ein interessanter Typ, Geschäftsmann mit mystifizierenden Neigungen, wird von dem Spinto-Tenor Ladislav Elgr gesungen. Erfreulich wie sich dieser Sänger seit seiner mittleren Rolle in „Iolanta“ (Theater an der Wien) entwickelt hat. Aber beim „Börsengang“ am Ende der Vorstellung erreichte er keine hohen Dezibel.

Ist es der Sprechgesang, der zum Brüllgesang verleitet? Der Advokat Dr. Kolenatý bekommt durch Enric Martínez-Castignani Züge eines Alberich. Der in diesem Gerichtsfall sehr nobel und objektiv denkende Jaroslav Prus von Martin Bárta neigte leider auch zum Forcieren, nur ist von Natur aus sein Material voluminöser. Er ist mir schon in Prag als Přemysl in Smetanas „Libuše“ aufgefallen. Judita Nagyová bringt als Krista einen hoffnungsvollen, dramatischen Mezzosopran auf die Bühne. Neben Ángeles Blancas Gulín wurde der Schweizer Andreas Jäggi als alternder Charmeur Hauk-Šendorf am meisten gefeiert. Der Künstler bringt eine enorme Erfahrung in Charaktertenorrollen mit. Schauen sie sich unbedingt die Website www.andreas-jaeggi.ch  an! Dort erleben Sie die andre Seite des Künstlers, nämlich die als Kunstmaler. In den Tenorrollen des unreifen Sohnes Janek Prus und des Kanzleigehilfen Vítek erbringen Enrico Casari und Leonardo Cortellazzi zufriedenstellende Leistungen. Die laut Biografie im Sopran- und Mezzosopranfach eingesetzte Leona Pelešková, in Personalunion Aufräumfrau und Kammermädchen, kommt mit den beiden mit Alt bezeichneten Rollen, was erwartete Klangfarbe betrifft, gut zurecht. William Corrò kann in der Partie des Maschinisten nur ein wenig mehr als eine Oktave seines Stimmumfangs ohne charakteristische Basstöne zeigen. Die Wurzenrolle fällt dieses Mal dem Chor des Teatro La Fenice unter der Leitung von Claudio Marino Moretti zu. Noch dazu im Antifon mit Emilia Marty zu zurückhaltend.

An den nicht billigen (15 Euro), aber preiswerten, über einhundertundsechzig Seiten starken Programmbüchern des Teatro la Fenice schätze ich das Kapitel „Le voci“. Hier werden die Stimmumfänge der einzelnen Rollen gedruckt, die Stimmcharaktere beschrieben, sowie Gedanken zur Wahl der jeweiligen Stimmlage vorgelegt. Das Programmbuch enthält dieses Mal besonders viele musikalischen Analysen. Ich möchte diese herrliche Musik nicht auseinanderklauben. Was in Rezensionen oft als zweitaktike Motivik und fragmentarische Melodik beschrieben wird, erinnert vielleicht etwas an Filmmusik, die ja erst seit jüngerer Zeit durch eine Wiener Konzerthausreihe salonfähig gemacht wird. Jedenfalls versteht es der Dirigent Gabriele Ferro mit seiner Orchestra del Teatro La Fenice emotional anzusprechen.

Dass die alte Methode des einfachen Kulissenschiebens so gut zu fokussieren versteht, beweist Radu Boruzescu, mit den Kostümen von Miruna Boruzescu ein erfolgreiches Paar. Die impressionistischen Maler sagen es uns: Was ist das Bild ohne Licht? (Lichtdesign Peter Van Praet).

Ich komme noch einmal zum sogenannten Schlussmonolog. Dieser hat mich musikalisch wieder enttäuscht. Der von mir geschätzte Janáček ist kein Richard Wagner oder Richard Strauss. Gestört hat mich auch die billige, marktschreierische Gestik des Anpreisens des Elixiers an das Auditorium seitens der Hauptdarstellerin.

Im März 1923 vollendete Janáček „Das schlaue Füchslein“, ein Bekenntnis zu seiner pantheistischen Weltsicht mit dem Kreislauf von Werden und Vergehen. Ende desselben Jahrs beginnt der Komponist „Die Sache Makropulos“. Eine unnatürliche Lebensverlängerung, „wo nicht der Zufall rechtzeitig sterben lässt“ (Schlussmonolog der Marty), kann nur zum Albtraum werden. „Wenn freudlos dumpf der Atem schleicht“ (Schlussmonolog der Marty) zeigt, dass ein unendlich verlängertes Leben nichts mit einem ewigen Leben jenseits unsrer Zeit- und Raumvorstellung gemein hätte. Dieses offenbart sich eher in Augenblicken der Freude und der Dankbarkeit, ja sogar noch beim Erleben von seelischem Leid. Doch das ist nicht das Thema, obwohl Elina/Ekaterina/Ellian/Eugenia/Elsa/Emilia immer wieder in der griechischen Sprache zum Vaterunser ansetzt.

Von den mir bekannten surrealistischen Opern fällt mir bei diesem Werk das Nachvollziehen am schwersten. Man muss nicht unbedingt die Erfahrung eines Witwers einbringen, um sich in „der toten Stadt“ in den Tod einer Liebesbeziehung einzuleben. Auch die Erfahrung, dass eine einmal ungenützte Chance unwiederbringlich bleibt, ist wahrscheinlich keinem Menschen in Martinus „Julietta“ fremd. Ein Hineindenken in die Gefühlswelt einer zehn Generationen Überlebenden stößt unvermeidlich an Grenzen.

Am Ausgang des Opernhauses dann noch das Satyrspiel. Eine Privatklinik verteilt Prospekte mit dem goldfarbenen Titel „Longlife Formula“.

Lothar Schweitzer

 

 

 

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