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VENEDIG/ Teatro Malibran: LA CAMBIALE DI MATRIMONIO – Premiere

18.03.2013 | KRITIKEN, Oper

Venedig: La cambiale di matrimonio, 16.3.2013, Premiere

Zwischen zwei „Die Sache Makropulos“-Vorstellungen war das Teatro Malibran einen Besuch wert. Im südlichen Teil von Cannaregio, hart an der Grenze zu den „Sechsteln“ Castello und San Marco gelegen, wirkt der Campo vor dem Theater etwas heruntergekommen.

Dieser Schwank („farsa“) ist Rossinis zweite Opernkomposition, aber seine erstaufgeführte. Auch hier die typische Figurenkonstellation zahlreicher Commedie dell´arte. Die Zukunft des Liebespaars (Sopran und Tenor) wird durch den Willen des Vaters, Onkels, Vormunds der Braut (Bassbuffo) bedroht. Ein Nebenbuhler tritt in Erscheinung. Ein Dienerpaar, dem offensichtlich nichts entgeht, steht den Liebenden hilfreich zur Seite. Das Publikum muss nicht wie bei „Il barbiere di Siviglia“ zum zigsten Mal über abgedroschene Witze lachen. Es gibt da viele Nuancen. So spielt das im Italienischen kurze, einsilbige Wort „ma“ (aber), das den vorderen Satzteil bis zur Sinnentleerung oder Auflösung bringen kann, eine entscheidende Rolle. Das originelle an der Posse ist, dass ständig Wortspiele in der Kaufmannssprache gemacht werden. Es soll eine Ehe-Firmengesellschaft (compagnia matrimoniale) gegründet werden. Die Braut muss robust sein, damit sie nach Übersee verschifft werden kann und unter dem neuen Klima keinen Schaden nimmt. Die Verliebtheit des jungen Mädchens in einen andren Mann wird zur schweren Hypothek. Der Wechsel wechselt bis sich endlich Fannì und Edoardo finden.

Die „farsa“ ist eigentlich ein Stück, das gute Miene zum bösen Spiel macht. Wie oft las man im Novecento bei moralisierenden Ratgebern, die jungen Leute sollen bei der Partnerwahl auf die Erfahrungen der Eltern hören.

Der Einakter ist ein Kleinod, das sich für kleine Häuser eignet. Nur dramatische Einakter wie „Salome“ oder „Elektra“ sorgen in einem großen Rahmen für einen Abend, den man zum Schluss nicht als angebrochen empfindet. Eine Partnerschaft zwischen zwei kurzen Komödien ist nicht leicht zu finden, da bei zwei Pointen eine zu viel sein kann. So wird sich dieses bezaubernde Stück wohl weiter mit kleinen Theatern bescheiden müssen.

Von gar nicht bescheidener Qualität ist die Inszenierung. Der uns Wienern bestens bekannte Enzo Dara führt in guter Zusammenarbeit mit der Scuola di scenografia dell´Accademia di Belle Arti di Venezia Regie. Während des Vorspiels wird auf den Vorhang zunächst ein Musher (der kanadische Nebenbuhler) mit seinem Hundeschlitten projiziert. Das Bild wechselt und zeigt uns nun ein Segelschiff. Das letzte auf den Vorhang geworfene Bild überrascht. Es zeigt nicht das nach dem Libretto erwartete neblige England, sondern den Umriss von Venedig. Enzo dara schreibt, er wolle eine traditionelle Regie führen mit einigem Neuen, das hoffentlich das Publikum zu unterhalten vermag. Ein kleiner Haken liegt in dem Transfer ans Mittelmeer darin, dass nicht mehr herüber kommen kann, wie sehr sich die angelsächsische Kultur in Übersee gewandelt hat. So lässt sich bei der Begrüßungsszene ein Kulturschock zwischen dem legeren Amerikaner und dem südländischen Temperament seiner Gastgeber auch in Norditalien kaum vorstellen.

Andrerseits das Ah-Erlebnis im Haus des englischen Geschäftsmanns Mill, dessen große Ähnlichkeit mit dem Textildesign-Imperium Fortuny am Campo San Beneto und auf Giudecca wohl kein Zufall ist.

Die meist jungen Sänger der Aufführungsserie im März haben schon einige Erfahrungen gesammelt. Im April bekommen StudentInnen delle scuole di canto del Conservatorio Benedetto Marcello di Venezia e delle scuole di canto del Conservatorio Cesare Pollini di Padova die Gelegenheit ihr Gelerntes unter Beweis zu stellen. Das Orchester des Teatro La Fenice, mit maestro concertatore e direttore Stefano Montanari, der sich erfrischend unkonventionell gab, wird dann vom Orchester des Konservatoriums Benedetto Marcello di Venezia unter der Stabführung von Giovanni Battista Rigon abgelöst.

Marina Bucciarelli sang die Kaufmannstochter Fannì mit einem angenehm weichen, vollen und biegsamen Sopran. Rossella Locatelli war als Clarina ihre vertraute Bedienstete. Ihr Sopran besaß eine Spur weniger an Feinheit. Giorgio Misseri meisterte eine typische Rossini-Tenorpartie. Mir unverständlich, warum Rossini die Liebhaberrollen so ohne männliche Ausstrahlung komponierte. Oder ist diese Art im Zeitalter der Softies wieder modern? Die als bassi buffi deklarierten Rollen des Tobia Mill (alias Fortuny), des Sekretärs von Mill, Norton und des von weither gereisten Kanadiers Slook klangen durchwegs baritonal. Omar Montanari vermittelt den erst zu überzeugenden Vater elegant und ohne eingefahrene Vorstellungen. Der Doyen des Abends war Armando Gabba als Norton. Er sang noch unter Sinopoli und perfektionierte sich an der Juilliard School in New York. Aufs höchste Podest unter den drei ehrenvoll platzierten Bässen (Baritonen) möchte ich den Slook des Marco Filippo Romano stellen. Seine Stimme ist die volltönendste und samtenste. Er hat auch den Leporello im Repertoire. Schon bei seinem ersten Auftritt wirkte er sympathisch. Der Nebenbuhler also kein „aufgeblasener, schlechter Kerl“. Dem lieto finale steht daher zum Schluss nichts mehr im Wege.

Lothar Schweitzer

 

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