BERLIN, Spiegelpalast am Bahnhof Zoo: VEGAS ROUGE am 14.8.2025
Zum Schlussapplaus darf fotografiert werden | Foto: Marc Rohde
Es gibt Shows, die man einmal sieht und wieder vergisst – und es gibt Abende, die einen so fesseln, dass man dafür sogar ein zweites Mal anreist. Vegas Rouge im Spiegelpalast am Bahnhof Zoo gehört eindeutig zur zweiten Kategorie. Für mich bedeutete das eine Anreise aus Flensburg und insgesamt rund 500 Euro an Ticket- und Reisekosten – und jeder Euro war es wert.
Der Show-Director ist der renommierte Regisseur Hanoch Rosènn. Er zeichnet sich verantwortlich für Idee und Umsetzung dieser extravaganten Varieté- und Burlesque-Show, die bereits seit April 2022 im STRAT Theater in Las Vegas zu erleben ist
Glanz, Erotik und Eleganz
Vegas Rouge ist ohne Frage als freizügig zu bezeichnen: knappe Kostüme, nackte Oberkörper und hier und da der Blick auf wohlgeformte Hinterteile. Doch was leicht ins Plakative kippen könnte, bleibt hier stilvoll und edel. Die Show schafft es, Erotik mit höchstem künstlerischen Anspruch zu verbinden. Statt plumper Effekte herrscht eine fast natürliche Ästhetik, die dem Ganzen ein feines Gleichgewicht zwischen Sinnlichkeit und Kunst verleiht.
Künstlerische Höhepunkte
Die Liste der Höhepunkte ist lang – und fast jedes Element ist auf Weltniveau:
Carly Giacinto – Mit ihrer Pole- und Aerial-Nummer demonstriert Carly Giacinto höchste technische Präzision und Ausdruckskraft. Ihre Darbietung verkörpert Artistik in ihrer reinsten Form.
Kelly Saabel – Kurz vor der Pause sorgt sie für einen der stärksten Momente der Show: Ihr Handbalancing-Act auf den Rändern einer Badewanne ist nicht nur atemberaubend, sondern von einer fast poetischen Klarheit. Kraft und Grazie verschmelzen in jeder ihrer Bewegungen, die das Element Wasser auf ästhetische Weise einbeziehen. Schon dieser Act allein ist den Besuch der Show wert – und gäbe es ihn als Video zu kaufen, würde ich ohne Zögern mein Portemonnaie zücken.
Ivan Peres – Vielfach ausgezeichnet auf internationalen Festivals, bringt Ivan Peres Handakrobatik in höchster Perfektion auf die Bühne. Die Spannung, die er allein durch Balance und Körperspiel erzeugt, fesselt das Publikum bis zum letzten Atemzug seiner Nummer.
Jacqueline Likò & Wagner Ferrè – Das italienisch-spanische Künstlerpaar kombiniert seine Expertise in Luftakrobatik und Rollschuh-Artistik zu einer einzigartigen Performance. Ihre Darbietung verbindet die Eleganz des Aerial Acts mit der Dynamik des Rollschuhlaufs und endet mit einem beeindruckenden Nackendreh-Trick, bei dem beide Künstler gleichzeitig in der Luft rotieren.
Duo Resurrection (Maylin Hernández & Yasmany Barrientos) – Das kubanische Duo präsentiert eine beeindruckende Hand-auf-Hand-Akrobatik, die spielerische Leichtigkeit mit kraftvoller Präzision vereint. Ihre Darbietung beginnt mit einem überraschenden Moment, als Maylin Hernández aus einem Pappkarton steigt, der an eine Lieferung vom Orion-Versand erinnert – ein humorvoller, kreativer Einstieg, der die Energie und den Einfallsreichtum des Duos perfekt widerspiegelt.
Loretta Antal – Sie präsentiert eine beeindruckende Luftakrobatik-Nummer, die durch ihre Eleganz und Ausdruckskraft besticht. Mit fließenden Bewegungen und technischer Präzision entführt sie das Publikum in eine Welt der Schwebekunst. Ihre Darbietung kombiniert ästhetische Anmut mit kraftvollen Elementen und verleiht der Show eine zusätzliche Dimension der Sinnlichkeit.
Tanzensemble – Zwischen den Soli trägt das Ensemble die Show: temporeich, frisch, präzise, auch nach mehr als 115 Vorstellungen. Die Energie ist ungebrochen. Besonders Anna Moskalenko sticht mit Eleganz und Präzision heraus und zeigt, wie stark die Ensembleleistung diese Revue trägt.
Es gibt kein Programmheft und auch die Webseite nennt weder die beteiligten Artisten noch die Abfolge. Auch wenn mir die Namen der weiteren Künstlerinnen und Künstler nicht bekannt sind, bleibt unbestritten: Jeder Act beeindruckt mit großer künstlerischer Qualität und effektvoller Umsetzung.
Rachel Dowse als Schwester Sinnlich
Ein großes Plus ist die Moderation: Anfangs (bei meiner im April besuchten Vorstellung) führte ein Duo aus Doktor Libido und Schwester Sinnlich durchs Programm. Mitte August moderiert Rachel Dowse allein als Schwester Sinnlich – und sie macht das grandios. Sie verbindet charmant-frivole Anspielungen mit Witz, Tempo und Eleganz. Ihre internationale Erfahrung – von Australien über Japan bis nach Europa – spürt man in jeder Bewegung, in jedem Auftritt. Sie verleiht der Show nicht nur eine Stimme, sondern auch eine Persönlichkeit – und begeistert zusätzlich mit einer burlesken Nummer in einem überdimensionalen Luftballon.
Atmosphäre & Rahmenbedingungen
Das Spiegelzelt selbst ist ein Erlebnis: Spiegelwände, intime Nähe zur Bühne, ein Flair zwischen Varieté, Cabaret und Nachtclub. Doch es gibt auch Schattenseiten: Die Stühle sind eng und hart, zwei Stunden fordern dem Rücken einiges ab. Wer die Gegend des Bahnhof Zoo betritt, erlebt Berlin ungeschminkt: Der Glamour des Spiegelzelts trifft unmittelbar auf die Realität von Obdachlosigkeit, Drogenkonsum und Großstadtleben. Gerade dieser Kontrast macht den Abend typisch berlinisch, kann aber auch den einen oder anderen Ortskundigen vom Besuch abhalten.
Der Rezensent mit einigen der am Abend beteiligten Künstler
Dem Veranstalter Udi Izak es zu verdanken, dass die Show in Europa zu sehen ist.
Fazit
Vegas Rouge ist ein Ereignis: eine Revue, die Sinnlichkeit, Artistik und Tanz auf höchstem Niveau vereint. Kelly Saabel, Carly Giacinto, Ivan Peres und das Ensemble stehen für Weltklasse-Kunst. Rachel Dowse als Schwester Sinnlich verleiht der Show Charme, Humor und Eleganz.
Wer hingeht, erlebt zwei Stunden voller Glitzer, Erotik, Spannung und Schönheit. Vegas Rouge ist extravagant, berührend und unvergesslich.
Marc Rohde