Variations Sérieuses
Grieg, Mendelssohn, Brahms
Gunilla Süssmann
Avi-music CD
Was für eine fantastische Geschichtenerzählerin!
„Variationen“ sind ja schon fast ein Abschrecker als CD-Titel, weil darunter ja nicht zuletzt viele technische oder kompositorische Übungen firmieren, die eher mit gnadenloser Strenge als mit lustvollem Hören assoziiert werden. Und dann erst noch eine CD, die den Titel „Ernste Variationen“ trägt….
Aber es wäre nicht Gunilla Süssmann, der norwegische Shooting Star unter den Pianistinnen, wenn sie es nicht schaffte, den vorgestellten Variationen nicht nur Leben einzuhauchen, sondern mit besonders raffiniert-einfühlsamem Ton damit ganze akustische Geschichtenbücher auf das Trefflichste zu füllen. Gunilla Süssmann auf ihrer überaus gelungenen neuen CD zu lauschen ist wie ein dickes Märchenbuch mit vielen Bildern aufzuschlagen und sich zuallererst bezaubern und in eine poetisch leuchtende Welt mitnehmen zu lassen. Der Hörer folgt ihr gerne in die verästelten thematisch-motivischen Abwandlungen, in die frei mäandernden bis ungemein ausdrucksstarken Assoziationsketten und Lichtwechsel der Komponisten Grieg, Mendelssohn und Brahms.
Schon die ersten Töne der Grieg‘schen Ballade in g-Moll in Form von Variationen über ein Norwegisches Volkslied Op. 24 offenbaren nicht nur die souveräne technische Meisterschaft der Interpretin, sondern vielmehr ein elegant träumerisches Musizieren, einen melancholisch augenaufschlagenden Anschlag, etwas Hingehauchtes bis hin zu klingenden Lichtgirlanden am Nordhimmel. Überhaupt können die Variationen als farbenreiche melodische Fotografien der norwegischen Landschaft genossen werden.
Benannt ist die CD nach den „Variations sérieuses“ von Felix Mendelssohn in d-Moll Op. 54. Ist für die Interpretin Grieg mit offenen Flächen, Stille und Freiheit assoziiert, so fallen Gunilla Süssmann zu den Mendelssohn Variationen das stete noble Strömen und Fließen der musikalischen Linien ein. Geschrieben für ein Benefiz-Notenheft zur Finanzierung des Bonner Beethoven Denkmals, hatte der damals in Leipzig wirkende Kapellmeister am Gewandhaus mit „seriös“ wirklich das Vorbild Beethoven im Sinn. Da aber Mendelssohn am Werk war, ist aus den 16 Variationen ein Feuerwerk an Einfällen, ein Manifest der Lebensfreude durchdrungen von spätsommerlicher Glut geworden. All das vermag Süssmann in verspielt schwelgerische Töne zu gießen.
Der vom Umfang der Komposition her gewichtigste Beitrag zum neuen Album stammt vom 28-jährigen Johannes Brahms, nämlich die Variationen und Fuge über ein Thema von Händel Op. 24. Hier schließt sich der Kreis zu Mendelssohn, der ja die Alte Musik mit den Aufführungen der Bach-Passionen wiederbelebte. Dennoch fordern die Händel Variationen kein Erinnern an barocke Klangwelten, sondern stellen ein komplexes hochromantisches Geflecht dar, die der differenziertesten Herangehensweise bedürfen. Hier kann Gunilla Süssmann nicht nur ihre lyrischen Fähigkeiten einbringen, sondern im Finale auch kräftig zupacken, so dass man meint „eine Orgel mit allen gezogenen Registern zu vernehmen“. Diesen Anspruch, den sich die Pianistin selbst stellte, hat sie auch voll einlösen können. Das neue Album, das bei mir in Schleife läuft, ist eine nicht enden wollenden Fundgrube an pianistischer Feinarbeit, Entdeckungsfreude und improvisatorischer Intuition. Ein Muss für Freunde von Klaviermusik.
Dr. Ingobert Waltenberger