Valencia/Palau de les Arts Reina Sofía: JENUFA am 27. Januar 2023
Großes Musiktheater nach schwächelndem Beginn
Fotos: Miguel Lorenzo – Mikel Ponce – Les Arts
Der futuristische Palau de les Arts in Valencia, einst vom katalanischen Star-Architekten als herausragender Bau eines über einem trocken gelegten Flussbett in einem von ihm konzipierten schneeweiß-ultramodernen Gebäudekomplex errichtet, ist schon beim Landeanflug auf die Stadt markant zu erkennen – und wirkt wie ein Ei. Folgerichtig wird er im Volksmund auch „El huevo“, das Ei, genannt. Hier gibt es jedes Jahr im Stagione-Betrieb eine hochinteressante Saison mit zumeist koproduzierten oder übernommenen Opern- und Ballett-Produktionen. Vor zehn Jahren zeigte die Akrobatentruppe La Fura dels Baus unter Carlos Padrissa hier einen bemerkenswerten „Ring des Nibelungen“ unter der musikalischen Leitung von Zubin Metha mit hochklassiger Besetzung. Placido Domingo war im Publikum zu sehen.
Ende Januar stand eine Serie der Oper „Jenufa“ von Leos Janáček auf dem Programm, in einer Inszenierung der Dutch National Opera Amsterdam. In der Inszenierung von Katie Mitchell mit dramaturgischer Unterstützung von Klaus Bertisch, und vor allem mit dem Bühnenbild von Lizzie Clachan beginnt es im 1. Akt gleich mit einer gehörigen Entfremdung von der typischen Mühlenästhetik, die so einzigartig wie es eben nur Leos Janáček konnte, durch dieses fast mystische rhythmische Klappern des Mühlrads im Orchester ertönt. Zwar ist es auch hier zu hören, verpufft aber in völliger Bedeutungslosigkeit angesichts eines kühl wirkenden Chemielabors, welches den 1. Akt mit all den typischen Accessoires eines solchen Labors beherrscht. Da sieht man aquarienähnliche Glasboxen, in denen irgendwelche Substanzen wie Popcorn durchgewirbelt werden. Die Alte Buryja wälzt in der immer wieder im Regietheater zu sehenden und damit nicht interessanter werdenden bürokratischen Manier endlos Akten, wenn sie sich nicht gerade den Lippenstift zurecht zieht. Unterdessen kotzt sich die junge attraktive Jenufa erst mal auf Labor-Toilette in der Bühnenmitte aus und setzt sich dann wieder an ihren Computer, um irgendwelche Statistiken zu erstellen. James Farncombe steuerte die kaum auffallende Lichtregie bei.
Laca ist der unbeachtete Hauselektriker im Blaumann und dabei, kaputte Deckenleuchten zu reparieren. Zwischendurch gibts mal einen Schluck aus der Pulle vom Kühlschrank. Selbstverständlich darf die aufwischende Putzfrau mit ihrem Putzwagen nicht fehlen, und die Bühne wimmelt nur so von Laborgehilfen und ihren Kolleginnen, während der Altgesell stets pflichtbesessen den Laborleiter mimt. Sam Carl singt den Altgesell mit einem klangvollen Bass. Elena Zaremba als alte Buryja besticht ebenfalls durch große Klangschönheit. Als Štewa kommt und sich als Labor-Besitzer neben Jenufa von den Laborgehilfinnen bewundern lässt, kommt auch noch eine Vielzahl der ohnehin in solchen Verhältnissen obligat gewordenen Plastik-Metallstühle zum Einsatz. All diese überinszenierten Manierismen lenken auch und eigentlich vor allem von der so glut- und gehaltvollen Musik Janáčeks ab, denn man ist ständig beschäftigt, sich einen Reim auf das zu Sehende zu bilden. Das Ganze gewinnt eigentlich erst an dramatischer Dichte, wenn Petra Lang als Kostelnička Buryja eintritt und schon allein mit ihrem beherrschenden Blick, um es diplomatisch zu sagen, alle zu paralysieren scheint…
Und diese dramatische Substanz nimmt gleich zu Beginn des 2. Akts an Fahrt auf, wenn Petra Lang einmal mehr ihre beeindruckenden Qualitäten als negativ konzipierte Figur und game changer unter Beweis stellt. Sie wohnt in einem großen, relativ elegant eingerichteten Wohnwagen, der optisch die Ruhe bietet, um hier die ganze Tragödie von Jenufa, die mit ihrem Kind in den Unterbau des Wagens wie in ein Versteck verfrachtet wurde, auszuspielen. Es ist beeindruckend, wie Lang zunächst schmeichelnd gute Stimmung mit Jenufa zu machen versucht und später ihre ganze Boshaftigkeit zum Ausdruck bringt, nachdem Stewa eine Heirat mit Jenufa abgelehnt hat, wohl auch aus Angst vor der Küsterin und ihrem eigenartigen Verhalten – in dieser Besetzung fast nachvollziehbar. Petra Lang hat dazu auch die passende Stimme, kann enorme emotionale Intensität vokal eindrucksvoll umsetzen. Ihre Mimik macht ihr in dem Fach niemand nach.
Corrine Winters ist eine nahezu ideale Jenufa. Sehr mädchenhaft und unbedarft, aber mit großer Authentizität und Emotionalität sowie liebevollem Engagement für ihr kleines Kind, vermag sie voll für sich einzunehmen und so die ganze Tragik der Situation in dieser nun auch bedeutend an Fallhöhe gewinnenden Inszenierung mit ausgezeichneter Personenregie darzustellen. Sie verfügt über einen leuchtenden, überaus klangschönen und zu viel Ausdruck fähigen Sopran, der auch schon in dramatischere Höhen weist. Hier kündigt sich wohl früher oder später eine Salome, wohl aber schon eine Chrysothemis an.
Der 3. Akt bringt nochmals eine Steigerung der Dramatik mit sich. Und hier hat nun auch Brandon Jovanovich als ausgezeichneter und charakterstarker Laca im eleganten Hochzeitsanzug seine großen Momente, hinter denen der anfängliche Glanz Stewas und seiner ihm nun absagenden Karolka bis zu Karikatur verblasst. Norman Reinhardt singt den verwöhnten Števa mit kraftvollem Tenor. Die Szene, als die Küsterin zugibt, das Kind im Bach ertränkt zu haben und was daraufhin unter den Hochzeitsgästen folgt, ist der absolute Höhepunkt dieser „Jenufa“ und entschädigt für vieles, was im 1. Akt auszuhalten war. Brandon Jovanovich verbindet sein einerseits resolutes, dann aber auch warmherzig verständnisvolles Auftreten als Laca Klemen mit einem ebenso kraftvollen wie prägnanten stimmlichen Aplomb und darstellerischer Sicherheit. Am Ende musste das trotz aller Wirren glückliche Zusammenkommen Lacas mit Jenufa Rührung hervorrufen. Es erreichte die Herzen vieler Menschen im Publikum. Scott Wilde als Bürgermeister, Amparo Navarro als Seine Frau und Laura Orueta als Karolka rundeten sehr das gute Ensemble ab.
Fotos: Miguel Lorenzo – Mikel Ponce – Les Arts
Daran hatte aber auch Maestro Gustavo Gimeno mit dem ausgezeichnet spielenden und die Besonderheiten der Musik Leos Janáčeks offenbar gut kennenden Orquesta de la Generalitat Valenciana großen Anteil. Gimeno wusste ebenso die dramatischen Ausbrüche wie das glutvolle Kolorit der Komposition des böhmischen Meisters eindrucksvoll zu interpretieren und dabei stets engen Kontakt mit den Sängern auf der Bühne zu wahren. Der von Francesc Perales geleitete Cor de la Generalitat Valenciana sorgte ebenfalls für gute Momente. So geriet diese „Jenufa“ musikalisch aus einem Guss.
Klaus Billand