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VALENCIA/ Palau de les Arts Reina Sofia: “THAÏS”

20.04.2012 | KRITIKEN, Oper

Valencia: “THAÏS” – Palau de les Arts Reina Sofia, 12. u. 15. 4. 2012

Das Werk war mir bis auf den Wunschkonzerthit der „Méditation“ so gut wie unbekannt. Um mich vorzubereiten, besorgte ich mir die DVD mit Fleming, Hampson und Schade (Metropolitan Opera). Die Met-Produktion mit ihrer Bilderbuch-Inszenierung konnte mich aber nicht wirklich mitreißen. Was mich nach Valencia zog, war das Debüt von Plácido Domingo in der Baritonpartie des Athanaël. Die Rolle ist vom Charakter her eine Mischung aus Samson, Jean und sogar Parsifal, aber musikalische Parallelen finden sich natürlich vor allem zum Jean aus der „Hérodiade“.
Das Programmheft enthielt zwar einige sehr schöne Fotos, war aber sonst wenig hilfreich, da ALLES nur in Spanisch und Katalanisch geschrieben war und auch das beschränkte sich auf die Inhaltsangabe und ein paar kurze Künstlerbiografien. Die Programme sind allerdings kostenlos erhältlich!

Die Produktion stammt vom Opernhaus in Göteborg. Die junge, international und auch in Wien schon bekannte Regisseurin Nicola Raab verlegte die Handlung in die Zeit der Entstehung der Oper, also Ende des 19. Jahrhunderts. Eigentlich machte das keinen besonderen Unterschied, es ergaben sich dadurch jedoch reizvolle Interpretationsmöglichkeiten – etwa Parallelen zu Parsifal. Bühnen- und Kostümbildner Johan Engels – unterstützt durch Linus Fellbom (Lichtregie) – entwarf einen zentralen, zylinderförmigen Raum mit einer sehr engen Wendeltreppe linkerhand. Durch leichte Veränderungen verwandelte er sich in den jeweiligen Handlungsort. Die Drehbühne vermied Umbauten und fokussierte das Geschehen. Durchgehend sah man, mehr oder weniger durch den Bühnenaufbau verdeckt, eine Wüstenlandschaft als Hintergrund. Doch, was aussah wie Dünen in der Wüste, war eigentlich der Torso eines nackten Frauenkörpers! Die Kostüme waren ein etwas verwirrendes Mischmasch. Prunkvoll für die Schauplätze in Alexandria, wo Thaïs in exzentrischer Theaterrobe erschien: ihre Arme waren zu Flügeln stilisiert, was sie in ihren Bewegungen etwas einschränkte.


Ihr prächtiges Gewand zu Beginn des 2. Akts (in den eigenen Gemächern) wurde schließlich vom schlichten Büßergewand bzw. Brautkleid am Schluss abgelöst. Die Mönche trugen – etwas irritierend – frackähnliche Bekleidung. Interessant war die Idee, die Mönche am Schluss in ziemlich desolatem Zustand zu zeigen. Durch Athanaëls lange Abwesenheit schienen sie körperlich und seelisch verfallen zu sein – sollte das als eine Parallele zu den Gralsrittern in Parsifal verstanden werden? Sie saßen zudem während der vorangegangenen Szene bereits wie „verstaubte Leichen“ in der Kulisse, die Thaïs’ zerstörtes Theater zu sein schien. Unwillkürlich kam so die Assoziation auf, die Mönche würden dort aus und ein gehen! Das ergab auf alle Fälle Diskussionsstoff! Das Erscheinungsbild Athanaëls – „ungewaschen“ und mit zerzausten Haaren – war wohl als Resultat seines wochenlangen Herumirrens zu sehen. Sein langer Mantel über langem Hemd und Hose wurde immer zerfetzter.

Ohne gute und vor allem auch attraktive Sopranistin kann man diese Oper nicht aufführen. Mit der jungen Schwedin Malin Byström hatte man einen ziemlichen Treffer gelandet. Die Stimme verfügt über den großen Umfang, der hier verlangt wird, klingt vielleicht ein wenig sehr metallisch und in der Extremlage nicht immer ganz lupenrein. Die Sängerin konnte aber als Darstellerin überzeugen, wobei ihr das Tragische mehr lag als das Verführerische. Byström ist sicher nicht so „lieblich“ wie René Fleming, die Frage ist, ob das nicht sogar passender ist, denn Thaïs ist kein liebliches Wesen!

Ihre packendsten Szenen hatte Byström in den Duetten mit Athanaël in ihrem Gemach sowie auf dem Weg durch die Wüste, wo Athanaël sie mit eiserner Härte antrieb. Da stimmten Ausdruck und Stimme, um ein Haar hätte Athanaël seine Beherrschung verloren! Immer wieder wurde ziemlich deutlich, dass er sie liebt, ein Kuss von ihr brachte ihn sichtlich aus dem Konzept, obwohl sie an dieser Stelle schon längst bekehrt war, bereit, ihren Palast zu verbrennen. Nur die Eros-Büste sollte nicht zerstört werden, da sie die Gedanken an die Liebe fördern würde. Als Athanaël jedoch erfuhr, dass sie ein Geschenk von Nicias war, schleuderte er die Büste voll Entrüstung – wohl eher Eifersucht (?) –  zu Boden.
Einen interpretatorischen Überraschungseffekt gab es bei Thaïs’ Eintritt ins Kloster: Sie fuhr – mit ihrem „Flügelgewand“ in grau – hinauf in den Himmel. Offenbar starb in diesem Moment die „alte“ Thais, die „neue“ begann ihr Leben. Als sie dann tatsächlich starb, erschien sie – offenbar als Vision Athanaëls – im Brautkleid. War sie nun die Braut Jesu, wie Athanaël es ihr versprochen hatte? Oder sah er sie als SEINE Braut? Letzteres wurde vor allem auch durch seine Verzweiflung, sie nie mehr zu sehen, suggeriert.

Dass Plácido Domingo sich für diese Partie interessierte, war sicher neben dem Jubiläum von Massenets 100. Todestag vor allem die Tatsache, dass er darin einige sehr eindrucksvolle Szenen haben würde, der Schluss schien überhaupt für ihn gemacht. Die Konfliktsituation Athanaëls gibt ihm hervorragende Möglichkeiten der Darstellung. Domingo erfüllte die Rolle mit so viel Dramatik und Leben, dass die Oper eigentlich „Athanaël“ heißen hätte müssen. Stimmlich war er in Top-Form! Der Beginn liegt zwar etwas tiefer, danach kann Domingo aber in seiner schönsten Mittellage, wo ihm buchstäblich keine Grenzen gesetzt sind, beeindrucken. Somit hat er sich eine weitere Partie erarbeitet, die ihm in seinem jetzigen Karrierestadium perfekt liegt. Ich beschäftige mich nicht mit dem „Problem“, ob er, wo er doch kein „echter“ Bariton ist, diese Rolle(n) überhaupt singen dürfe. Ich glaube, Massenet hätte (wie vorher schon Gluck oder Verdi) eine echte Freude daran, die Partie so intensiv, so überzeugend, so erfüllt zu hören. Domingo hat immer schon „Fachgrenzen“ ignoriert, Kritiker blamiert und das gesungen, wozu er sich stimmlich in der Lage fühlte. Auch hier zeigte seine Interpretation berührende Zwischentöne und die Intensität, die er aus sich herausholte, war oft fast unheimlich. Was ich vorher eher als Nebenrolle empfunden hatte, wurde plötzlich DIE dominierende Partie dieser Oper. An seiner Seite, durch seine Darstellungskraft inspiriert, wurde auch die junge Sängerin in jeder Szene mit ihm intensiver und packender.

Als Nicias hörte man den jungen italienischen Tenor Paolo Fanale. Er besitzt eine helle, recht angenehme Stimme, die zwar in der Höhe noch etwas flackert und an Volumen verliert, sonst aber der Rolle gut entspricht. Auch als Typ passte er hervorragend.
Als auffallend schönstimmig beeindruckte der Bariton Gianluca Buratto als Palémon, Anführer der Zenobiten. Auch seine Mitstreiter – allesamt Chormitglieder – ließen durchwegs gute Stimmen hören. Die weibliche Riege erfüllte ihre Aufgaben ebenfalls rollendeckend: Die Sopranistin Micaëla Oeste als Crobyle, die beiden Mezzos Marina Rodríguez-Cusí als Myrtale und María José Suárez als Albine.

Der Cor de la Generalitat Valenciana sowie das Orquestra de la Comunitat Valenciana standen unter der Stabführung von Maestro Patrick Fournillier, der besonders für dieses Fach bestens geeignet ist. Transparent, mit vielen Farben, sehr aufmerksam den Sängern gegenüber und vor allem jede Sentimentalität vermeidend, leitete er das Orchester durch die Partitur, wobei die „Méditation“ – Solovioline Stefan Eperjesi – wirklich besonders schön gelang! Großer, sehr verdienter Zwischenapplaus für ihn und das gesamte Orchester!

Am Schluss erlebte man an beiden Abenden einen für spanische Verhältnisse sehr stürmischen und langen Applaus mit Standing Ovations für alle, den Löwenanteil heimste aber doch Plácido Domingo ein!

Margit Rihl

 

 

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