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Uwe Wittstock: FEBRUAR 33 – DER WINTER DER LITERATUR

27.09.2021 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

buch februar 33~1

Uwe Wittstock
FEBRUAR 33:
DER WINTER DER LITERATUR
288 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2021 

Wo immer sie an die Macht kamen, haben die Nationalsozialisiten keine Zeit verloren, diese Macht auch rücksichtslos auszuüben. Das traf Juden, Linke, Regimegegner oder wer immer ihnen im Weg stand. Uwe Wittstock, als Journalist an Recherche gewöhnt, arbeitet in dem Buch „Februar 33: Der Winter der Literatur“ von Tag zu Tag die Geschehnisse in Deutschland auf. Dass er dabei Literaten ins Zentrum seiner Betrachtung stellte, hatte logische Gründe – von ihnen gibt es am meisten überliefertes Referenzmaterial, Tagebücher, Briefe, Erinnerungen, ihre Nachlässe sind vielfach zugänglich. So kann man ein dichtes Netz der Ereignisse knüpfen.

Wittstock beginnt seine Schilderung schon am 28. Jänner, als Berlin den Filmball feierte und zahlreiche Prominente noch nicht ahnen mochten, dass es ihr letzter – ohnedies nicht ganz unbeschwerter – Abend sein würde, wo sie sich noch völlig frei bewegen konnten. Carl Zuckmayer, Klaus Mann, Erich Maria Remarque aber auch Gründgens, Krauß, Schllings nimmt der Autor ins Visier, die bald Verfolgten, die baldigen Nutznießer.

Der 30. Jänner, der Tag der Machtübernahme, der Tag, an dem Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt wurde, steht unter der Überschrift „Die Hölle regiert“. Tatsächlich folgt  das Buch nicht nur den bedrohten Autoren, sondern auch dem offiziellen Geschehen rund um Adolf Hitler (der jeden Tag Entscheidungen setzte, jeden Tag bürgerliche Grundrechte beschnitt oder abschaffte), Goebbels, Göring, Übergriffe überall werden registriert.

Und dann folgte jener Februar 1933, wo viele Dichter und Journalisten (um sich einmal auf diese  zu beschränken) versuchen mußten, die Lage zu beurteilen, die Gefahr einzuschätzen, zwischen Gehen und Bleiben zu entscheiden. Wie man immer erst nachher weiß, behielten die Vorsichtigen Recht und ihr Leben, riskierten jene, die blieben, alles. Der Anhalter Bahnhof konnte, wenn man den richtigen Zug erwischte, Überleben bedeuten…

Von Tag zu Tag fielen Entscheidungen, stehen immer andere Personen im Fokus des Autors, wobei gewisse Persönlichkeiten immer wieder kehren, Klaus Mann beispielsweise, sein Vater Thomas Mann und sein Onkel Heinrich Mann, Else Lasker-Schüler, Bert Brecht (der sich mit Gattin Helene Weigel schnell in ihre Heimatstadt Wien absetzte), Ernst Toller, Alfred Kerr, Oskar Maria Graf, Alfred Döblin…

Mit unglaublicher Geschwindigkeit wurden Werke unerwünschter Autoren von den Bühnen verbannt und jene der Mitläufer gespielt, und Theaterdirektoren in Leipzig, Erfurt und Magdeburg, die versuchten, mutig zu sein und „Silbersee“ von Georg Kaiser / Kurt Weill zur Uraufführung brachten, waren ihre Posten schneller los, als sie denken konnten. Elegant und interessiert schritt Harry Graf Kessler durch die Ereignisse und suchte als Pazifist rechtzeitig das Weite.

Unglaublich beschämend verliefen Sitzungen in der Preußischen Akademie – die Vereinigung von Dichtern, Musikern, Malern -, wo unter der Führung von Max von  Schillings Juden und Missliebige schamlos hinaus gedrängt wurden und nur wenige Mitglieder der Institution, obgleich selbst bedroht, so etwas wie Widerstand kund taten. Und viele, die davor das Gefühl gehabt hatten, zu kurz gekommen zu sein (und möglicherweise jüdische Kollegen als Ursache gesehen hatten), schwenkten schnell die nationalsozialistische Fahne… Und für immer zwiespältig bleiben manche, Gottfried Benn ist ein Bespiel dafür.

Viele gingen, packten ihre Koffer, ohne viel Federlesens nahmen das Exil auf sich, andere blieben, und es gab keine Regel, wie es ausgehen würde: Carl von Ossitzky bezahlte es mit seinem Leben, Erich Kästner konnte sich unter dem System durchducken und überleben, Egon Erwin Kisch wunderte sich selbst, wie er plötzlich aus der Haft entlassen und als „Tscheche“ abgeschoben wurde… Es war eine Zeit ohne Gewissheiten.

Erwähnen muss man, dass es vor einem Jahr, ebenfalls im H.C.Beck Verlag, ein Buch ähnlichen Zuschnitts gegeben hat, nämlich „Jeder schreibt für sich allein“ von Anatole Regnier (dem Enkel von Frank Wedekind), worin er Schriftsteller im Nationalsozialismus behandelt. In manchem überschneiden sich die Bücher, vor allem in der Schilderung der beschämenden Vorgänge in der Preußischen Akademie. Allerdings hat Uwe Wittstock durch die fast Kriminaloroman-artige „Von Tag zu Tag“-Form viel von der gehetzten, todesschwangeren Atmosphäre dieser unseligen Zeit eingefangen.

Renate Wagner

 

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