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UWE ERIC LAUFENBERG
„Ich will die Musik sehen!“
Die „Elektra“-Premiere in der Wiener Staatsoper bringt erstmals Uwe Eric Laufenberg in das Haus, ein Mann mit einer abwechslungsreichen, vielseitigen und keinesfalls friktionsfreien Karriere. Er hat Renate Wagner einiges über sein „Elektra“-Konzept, über den geplanten „Parsifal“ 2016 in Bayreuth und mehr erzählt…
Herr Laufenberg, Sie haben nach Ihren Anfängen als Schauspieler 1988 begonnen zu inszenieren, seither sind es an die 80 Produktionen geworden, also drei bis vier pro Jahr. Wien hat dabei allerdings kaum eine Rolle gespielt?
Ich habe 1998, damals hat mich Hermann Beil an Peymanns Burgtheater geholt, eine wirklich unglückliche Uraufführung geleitet, ein Stück, dessen Autor anonym bleiben wollte und ein irisches Pseudonym wählte, da gab es alle möglichen Schwierigkeiten. Das war, wie meine Frau sagt, meine schlechteste Inszenierung, vielleicht hat sie Recht. Dann habe ich 2005 in der Volksoper „Die verkaufte Braut“ gemacht, Rudolf Berger hatte mich geholt, nachdem er meine „Ariadne“-Inszenierung in Straßburg gespielt hatte, aber die Arbeitsbedingungen waren für mich eigentlich kaum akzeptabel, es gab so viele Besetzungen, wobei das Paar, das dann die Premiere sang, gerade zweimal miteinander geprobt hat. So geht das nicht.
Nun sind Sie in der Staatsoper für die „Elektra“ für Sven Eric Bechtolf eingesprungen…
Ja, aber nicht von einem Tag zum anderen, da gab es schon einen längerer Vorlauf, ich konnte mich für diese meine erste „Elektra“-Inszenierung ordentlich vorbereiten. Erste Gespräche habe ich auch noch mit Franz Welser-Möst geführt, den ich in meiner Züricher Zeit auch oft in der Oper gehört habe. Für mich ist es großartig, hier in Wien eine Elektra zu machen, in der Nina Stemme, die ich bewundere, seit ich denken kann, ihr Rollendebut gibt. Ich kenne sie noch als Anfängerin in Köln, als sie Rollen wie Pamina sang, und war schon damals völlig begeistert von ihr. Die Rolle verlangt ja auch darstellerisch viel. Und dass die Besetzung – Anne Schwanewilms war eine meiner Ariadnen, Anna Larsson habe ich einmal mit höchster Bewunderung als Kundry gehört – fünf Wochen an einem Ort ist und man richtig proben kann, das sind natürlich ideale Voraussetzungen.
Sie haben in einem Interview angedeutet, dass das Wiener Publikum kritisch sei und jede Neuinszenierung ausbuhen würde. Nun hängen wir hier alle sehr an der Harry Kupfer-Inszenierung der „Elektra“, die, wie wir meinen, unter fadenscheinigen Gründen ausgetauscht wird – denn man könnte schließlich schadhafte Bühnenbild-Teile neu machen lassen…
Aber wissen Sie was? Auch die Harry Kupfer-Inszenierung wurde bei der Premiere ausgepfiffen! Ich weiß das ganz genau, weil sie damals im Fernsehen übertragen wurde und ich ganz gespannt vor dem Bildschirm saß, weil ich ein so großer Kupfer-Fan war – und bin. Ich werde nie seinen „Boris Godunow“ in der Komischen Oper vergessen, wo er plastisch gemacht hat, wie das Volk „eingesperrt“ ist. Seine Wiener „Elektra“ hat mich allerdings enttäuscht – nicht zuletzt, weil ich erwartet habe, dass die fragmentarische Agamemnon-Statue am Ende zusammen kracht… und nicht verstanden habe, warum das nicht geschieht.
Es gibt zahllose Wege, „Elektra“ zu interpretieren. Welche Geschichte werden Sie erzählen? Und woher beziehen Sie Ihre Inspiration?
Es ist eine Familiengeschichte, es sollen glaubhafte Menschen auf der Bühne stehen, auch wenn es so entsetzlich viel explodierenden Haß hier gibt – aber Haß ist ja auch umgekehrte Liebe, und das Schwierige ist, dass die Gefühle in den oft sehr langen Szenen – 20 Minuten Elektra / Klytämnestra! – immer wieder kippen. Ich werde also versuchen, dass die Sängerdarsteller all die Schwankungen spielen können, die in diesem Libretto von Hofmannsthal vorgegeben sind, und wenn Elektra am Ende in ihren Tanz ausbricht, soll das auch eine Art von Erlösung sein… Ausgangspunkt für meine Überlegungen ist dabei ebenso Hofmannsthals Text wie die Musik. Man muss bedenken, wann das geschrieben wurde, 1909, zu Beginn des Jahrhunderts – so wie Puccinis „Tosca“, die aus dem Jahr 1900 stammt: Ich habe immer das Gefühl, in diesen beiden Opern sind die ganzen Schrecknisse des 20. Jahrhunderts voraus geahnt. Die musikalische Energie-Zusammenballung von Strauss hat aber viel mit dem Text von Hofmannsthal zu tun, der ja nicht antikisierend gemeint war, sondern auf die damalige Zeit gezielt, wo Freud ebenso präsent war wie der Expressionismus und wo ein genialer Theatermann wie Max Reinhardt, der mich als erster „Regisseur“ in unserem Sinn so fasziniert, entscheidend mitgewirkt hat.
Sehen Sie sich eigentlich, wenn Sie ein Werk inszenieren, DVDs mit anderen Interpretationen an?
Ich wollte nach Aix en Provence fahren, um die „Elektra“ von Patrice Chereau zu sehen, den ich so bewundert habe – mit seinem Bayreuther „Ring“ hat Entscheidendes für mich begonnen, er hat meines Erachtens Wagner dem Theater wieder gegeben. Als ich dann nicht nach Aix kam, habe ich mir natürlich die DVD angesehen, aber man kennt ja auch andere Inszenierungen. Die überzeugendste war für mich vielleicht die von Ruth Berghaus in Mannheim, weil sie so eng an der Musik war. Das ist für mich eine Voraussetzung einer gelungenen Umsetzung: Ich will die Musik sehen.
Ich nehme an, Sie gehören zu den Regisseuren, die eine Partitur lesen können? Es gibt ja auch Kollegen, die offen zugeben, nicht einmal Noten lesen zu können…
Ja, ich kann in Partituren lesen, aber ich glaube, das Entscheidende ist, die Musik wirklich zu hören. Es gibt auch unmusikalische Menschen, die Partituren lesen können… Man muss auf die Musik reagieren, und da ist „Elektra“ natürlich das Gewaltsamste, was Strauss je geschrieben hat.
Wie entscheiden Sie sich für den szenischen Rahmen einer Inszenierung? Er ist es schließlich, der dem Publikum den ersten Hinweis gibt, wo Sie ein Werk „hinstellen“?
Nun, wir sind bei „Elektra“ zweifellos in einem Palast, aber eben in einem Hinterhof, dort, wo die Herrschenden normalerweise nicht hinkommen, dort, wo auch der Müll abgeladen wird. Ich hatte drei Ideen, was ich mir vorstellen könnte, und auf eine ist Bühnenbildner Rolf Glittenberg total abgefahren. Und die Kostüme von Marianne Glittenberg stammen aus der Entstehungszeit des Stücks, reichen aber bis in die Dreißiger Jahre. Und trotzdem soll auch Archaisches dabei sein, denn natürlich geht es in der „Elektra“ auch um die Mythen.
Richard Strauss ist gewiß ein sehr wichtiger Komponist für den Regisseur Uwe Eric Laufenberg, aber ich könnte mir vorstellen, dass Richard Wagner für Sie im Moment mindestens ebenso wichtig ist – den „Ring“ hinter sich, den „Parsifal“ in Bayreuth vor sich…
Ja, ich habe den „Ring des Nibelungen“ in Linz, in dem schönen neuen Haus gemacht, und die Probleme für mich lagen eigentlich nur darin, dass der Betrieb für die Proben eines solchen Monsterunternehmens noch nicht völlig bereit war. Ich werde diese Inszenierung 16/17 nach Wiesbaden übernehmen, wo ich ja Intendant bin, und noch einmal gründlich überarbeiten. Mein Grundkonzept steht allerdings fest – mir ging es nicht so sehr um die Macht-Problematik oder die Kapitalismus-Kritik, sondern um den Gegensatz des männlichen und weiblichen Prinzips, man kann auch „Natur und Geist“ sagen oder „Yin und Yang“. Ich glaube auch, dass es in meiner Inszenierung Elemente gibt, die man noch nirgends gesehen hat – und natürlich anderes, das schon da war. Wenn man über Jahre, ja Jahrzehnte Ideen zu dem „Ring“ mit sich umherschleppt, dann kommen natürlich auch andere Kollegen auf dieselben Ideen – und soll man dann darauf verzichten, wenn man sie gut findet? Auch wenn man mich dann einen Epigonen nennt. Was hat man mich schon nicht alles genannt!
Jonathan Meese ist sehr, sehr böse auf Sie…
Ja, aber dagegen kann ich gar nichts tun, und ich kann auch nichts dafür. Ich kannte Katharina Wagner von früher, wir haben uns schon unterhalten, als sie öfter in Mainz inszenierte, und sie wusste, dass ich einen „Parsifal“ für Köln vorbereitet hatte, der dann nicht zustande kam, als ich meine Intendanz frühzeitig abbrach. Als ihr dann klar wurde, dass sie einen Meese-„Parsifal“ nicht finanzieren konnte und relativ schnell einen für 2016 brauchte, bat sie mich, ihr mein Konzept vorzustellen. Und das hat sie sehr überzeugt.
Warum?
Ich denke, weil ich einen realen Aspekt gefunden habe, um dieses Werk, in dem Wagner ja eigentlich die Sinnhaftigkeit von Religionen hinterfragt, zu realisieren. Dazu muss ich ein wenig ausholen. Ich habe für meine Inszenierung der „Entführung aus dem Serail“ 2011 in Köln einen kurdischen Darsteller als Bassa Selim gewählt. Als wir damit zu einem Gastspiel in die Kurdenregion flogen, las ich in der Zeitung zweierlei – über die Zerstörung einer katholischen Kirche in Mossul und über den Film „Von Menschen und Göttern“, in dem es um die Ermordung von christlichen Mönchen in Algerien ging. Und da fiel mir ein, dass man „Parsifal“ und die Gralsritter in einer Welt ansiedeln könnte, wo sie von allen Seiten in ihrer Existenz bedroht sind, und Katharina Wagner hielt das für einen aktuellen Ansatz, dem sie nur zustimmen konnte. Und ich freue mich auf Bayreuth, es ist ein wunderbares Theater, eine wunderbare kleine Stadt, und Klaus Florian Vogt wird ein wunderbarer Parsifal sein, diese Rolle ist neben dem Lohengrin einfach ideal für ihn.
Herr Laufenberg, Sie sind erst 54 Jahre alt und haben eine Karriere hinter sich, mit der man viele Biographien füllen könnte – als Schauspieler, Regisseur, Intendant. Sind Sie familiär vorbelastet?
Überhaupt nicht. In der Familie meines Großvaters väterlicherseits soll es gerüchteweise Leute am Theater gegeben haben, aber ich hatte noch keine Zeit, mich damit zu beschäftigen. Mein Vater ist Bauunternehmer und Erfinder ohne musische Interessen, meine Mutter hörte wenigstens gerne Operettenplatten mit Rudolf Schock, und Lehar führt ja zu Puccini und weiter in die Opernwelt hinein. Und dann gibt es in meiner Geburtsstadt Köln noch die Tradition der Puppenspiele von Tünnes und Schäl, und es gab das Volkstheater des Willy Millowitsch – das waren eine Menge Eindrücke. Ich wollte dann ein Instrument lernen, eigentlich Cello, dafür waren meine Hände zu groß, man riet mir zu Kontrabaß, das wollte ich nicht, und dann schickte mich mein Lehrer in die Statisterie der Oper, da standen bei uns in Köln noch Kiri Te Kanawa oder Lucia Popp auf der Bühne, und ich war fasziniert für alle Zeit.
Begonnen haben Sie Ihr Berufsleben dann als Schauspieler?
Ja, ich wäre schrecklich gerne ins Reinhardt-Seminar gegangen, aber da bin ich an Susi Nicoletti gescheitert. Ich kam an und wollte ihr – was für einen Jungen aus Köln vielleicht nicht ganz gescheit war – den Kari Bühl, also Hofmannsthals „Schwierigen“, vorsprechen, und da standen ihr die Haare zu Berge: „Nein, das geht nicht!“ Dann ging ich in die Folkwang Hochschule in Essen, und begann als Schauspieler erst in Darmstadt, dann in Frankfurt, wo Günther Rühle mich mit 27 meine erste Inszenierung machen ließ, das war „Pfingstläuten“ von Harald Kuhlmann.
Sie haben in Darmstadt, Frankfurt und Köln Rollen wie den Max Piccolomini und den Just gespielt – ein ganz schöner Spagat im Rollenfach – und sehr viel mehr zwischen Ibsen und Turrini, Hauptmann und Oscar Wilde. Das klingt nach einer erfolgreichen Schauspieler-Karriere. Warum reißt man sich darum, Regisseur zu werden?
Das begann bei mir schon in der Schauspielschule, dass ich das dringende Bedürfnis hatte, meinen Kollegen zu sagen, was sie tun sollten. Und ich habe dann bei vielen großen Regisseuren nicht wirklich assistiert, aber zugesehen und hospitiert und viel gelernt, von Ponnelle bis Berghaus, und unter Peter Stein durfte ich auch spielen, habe aber immer mit wachen Augen den Regisseuren zugesehen.
Und es damit nicht bewenden lassen, sondern auch noch die Nase in die Direktionen gesteckt?
Ja, Gerd Leo Kuck holte mich nach Zürich, wo ich erfolgreich mitgearbeitet habe. Damals hat mich übrigens Alexander Pereira gefragt, ob ich ihm in zwei Wochen „André Chenier“ inszenieren könnte, die Sänger der Hauptrollen hätten ihre Partien schon gesungen, und ich sagte: Leider nein, sechs Wochen mindestens, und da wurde nichts daraus. Ich glaube, ich werde auch nicht an die Scala eingeladen, solange Herr Pereira dort Intendant ist… Aber irgendwann ging es in Zürich nicht weiter, wie ich es mir vorgestellt habe, und als die Möglichkeit da war, als Oberspielleiter an das Maxim Gorki-Theater in Berlin zu gehen, habe ich das angenommen, ich konnte auch sehr gut mit den „Ossis“ umgehen, die da noch am Haus waren. Als ich dann Intendant des Hans Otto Theaters in Potsdam wurde, habe ich das auch als „Berlin“ betrachtet. In dieser Zeit habe ich noch viel mehr Schauspiel als Oper inszeniert.
Das änderte sich, als Sie nach Köln gingen? Ihre Heimatstadt, eine Millionenstadt, Ihre erste Opernintendanz?
Das war fast sentimental, in die Geburtsstadt zu kommen und diese Stellung einzunehmen, zumal man mir das Blaue vom Himmel versprochen hat, vor allem, dass man finanziell mit den Häusern von Frankfurt und Stuttgart gleichziehen würde, was natürlich nicht geschehen ist. Dann wechselten auch die in der Stadt „machthabenden“ Politiker, und ich machte von meiner Möglichkeit Gebrauch, meinen Vertrag vorzeitig zu lösen. Da hängt man aber dann ganz schön in der Luft – und da habe ich die Gelegenheit benützt, in der freien Zeit, die ich plötzlich besaß, die ganze Geschichte als Schlüsselroman mit dem Titel „Palermo“ niederzuschreiben. Das war gesünder, als Prozesse zu führen wie Hartmann, und das hat mir wirklich geholfen, diese vielen unerquicklichen Kölner Erfahrungen abzuschließen und zu bewältigen.
Seit Anfang dieser Spielzeit leiten Sie das Hessische Staatstheater Wiesbaden – das erste Drei-Spartenhaus, wobei Sie doch zumindest von zwei Sparten viel verstehen?
Ach, die einen nennen mich Opern-Hampel, die anderen Theater-Fuzzi, wie es ihnen gerade passt. Aber ich muss sagen, dass ich jetzt in Wiesbaden so glücklich bin, dass ich meinetwegen immer da bleiben könnte. Ich habe mich mit Darmstadt zusammen getan, was das Ballett betrifft, mein Kollege und ich haben Tim Plegge als Leiter engagiert und sind sehr glücklich damit. Das Schauspiel leite ich zusammen mit Andrea Vilter, und die Oper leite ich mit meinen Mitarbeitern, Besetzen macht ja am allermeisten Spaß. Und wenn wir unser Mai-Festspiele haben, dann kommen nicht nur tolle Gastspiele aus aller Welt, sondern auch große Besetzungen.
Keinen Ehrgeiz mehr? Keine Bewerbung um das Burgtheater?
Ich habe beschlossen, mich nie wieder woanders zu bewerben und einfach zu schauen, was der Tag bringt. Ich lebe in dem Wiesbadener Stadtteil Biebrich in der Rheingaustrasse 138 – was soll ich sagen, in der Villa Annica in der Rheingaustrasse 137 hat Richard Wagner eine zeitlang gewohnt, mit genau demselben prachtvollen Blick auf den Rhein, wie ich ihn heute habe – und ich glaube auch, er hat wahrscheinlich in Bayreuth für mich interveniert… Was soll ich mir mehr wünschen, als gute, spannende, lebendige Aufführungen in Theater und Oper zu machen, die Herz und Verstand der Zuschauer erreichen, dafür ist die Kunst da. Und ich werde mir auch noch eine private Freude machen – 2009 habe ich mich als Lord Goring als Schauspieler in Potsdam verabschiedet, und nächstes Jahr möchte ich in meinem Haus wieder als Schauspieler auf der Bühne stehen… Welches Stück und welche Rolle, das werde ich bei der Programm-Pressekonferenz in Wiesbaden bekannt geben.
Uwe Eric Laufenberg und Renate Wagner vor der Richard Strauss-Büste
in der Wiener Staatsoper / Foto: Barbara Zeininger