Ursula Prutsch
WER WAR FRITZ MANDL
Waffen, Nazis und Geheimdienste.
Die Biografie
304 Seiten, Molden Verlag, 2022
Es hat mittlerweile so viele Bücher über Hedy Lamarr gegeben, dass es fast unmöglich ist, nicht über ihren ersten Gatten Fritz Mandl gestolpert zu sein. Der hat sich am Rande der Biographie der wienerischen späteren Hollywood-Schönheit aber als so interessant erwiesen, dass man wirklich mehr über ihn wissen will – ob er nun ein sympathischer Zeitgenosse war oder nicht. Das Buch von Ursula Prutsch erfüllt diesen Wunsch. Und, um es gleich zu vorweg zu nehmen – man hat lange kein so spannendes, packendes Sachbuch gelesen, das wie ein Parforceritt durch das 20. Jahrhundert wirkt.
Dabei hat die Autorin, die an der Ludwig-Maximilians-Universität in München US-amerikanische und lateinamerikanische Geschichte mit Forschungsschwerpunkt Argentinien lehrt, unendlich viel Material verwertet, das private Archiv der Familie, wo offenbar alles aufgehoben wurde, darüber hinaus noch viele öffentliche Archive in Österreich und im Ausland (Mandls argentinisches Exil war der Ausgangspunkt ihrer Recherche). Und dennoch ist es nie eine trockene Aufzählung von Fakten geworden, sondern sprüht gewissermaßen vor Lebendigkeit – wie der Mann, um den es geht.
Voraus geschickt: Fritz Mandl ist keine Vorbild-Persönlichkeit, er handelte skrupellos sein Leben lang mit Waffen und Munition, überrundete dabei österreichische und internationale Gesetze, belieferte um des Gewinns willen auch verbrecherische Regimes. Er war auch nicht zimperlich, wenn es ums Akquirieren von Aufträgen ging, und ebenso wenig, wenn er Konkurrenten ausschalten (oder aus den eigenen Firmen verdrängen) wollte. Aber es sind ja selten die „Guten“, die ein so spannendes Leben aufzuweisen haben wie dieser Fritz Mandl, von dem seine zweite Gattin Hedy Lamarr sagte, seine Biographie ergäbe ein Buch. Womit sie recht hatte.
Da ist zuerst die Familie. Die Mandls kamen aus Mähren, Leopold Mandl zog zu Beginn des 19. Jahrhunderts nach Wien und wurde reich. Fünf Söhne machten Karriere und gehörten zum assimilierten Wiener Großbürgertum (Leopolds Sohn Ludwig, ein Getreidegroßhändler, heiratete in die angehsehene Famile Markbreiter,der auch Arthur Schnitzlers Mutter entstammte, und Schnitzler selbst war dann mit Mandl-Cpusins befreundet). Ein besonders bunter Vogel war Leopold Sohn Ignatz, der unter dem Namen Joe May eine nicht unbedeutende Karriere in der Filmbranche machte.
Fritz Mandl, geboren 9. Februar 1900 in Wien, war der Sohn von Alexander Mandl, der von seinen Onkeln jene Hirtenberger Patronenfabrik übernahm, die 1861 von einem Schwaben gegründet worden war und florierte. Zwei Mandl-Brüder haben das Unternehmen dann gekauft. Fritz war ein uneheliches Kind, die Mutter war Katholikin (die Nazis bezeichneten ihn immer als „Juden“, tatsächlich war er nach ihrer Terminologie ein Mischling), die Eltern heirateten erst später.
Die Autorin versucht den Geltungsdrang von Fritz Mandl, sich in die „feine Gesellschaft“ einzugliedern, mit diesem Schock der „Unehelichkeit“ zu erklären. Darüber hinaus gibt sie aus Gesprächen mit Zeitgenossen (Fritz Mandl starb am 8. September 1977, es gibt also noch alte Leute, die sich an ihn erinnern) auch ein Charakterporträt dieses seltsamen Mannes zu zeichnen, der zweifellos ein Kontrollfreak war, sein Leben nach genauen, peniblen Vorschriften ordnete – aber im Berufsleben wie ein Spieler, wie ein Hasardeur agierte. Und meist (nicht immer) mit Erfolg.
Fritz Mandl war 24, als er die Firma leitete, die ihm den Spitznamen „Patronenkönig“ einbrachte, denn in Hirtenberg (30 Kilometer südlich von Wien, Bezirk Baden) wurden tatsächlich „nur“ Patronen hergestellt, allerdings alles, was benötigt wurde, auf technisch höchstem Niveau und in millionenfacher Anzahl. Das hieß nicht, dass Mandl nicht auch Waffen herstellte und lieferte (die Nachfrage ließ niemals nach), er war an Fabriken in Steyr und in Solothurn beteiligt und immer ein Meister darin, undurchsichtige Firmenverknüpfungen herzustellen.
Er war jung seine erste Ehe eingegangen, die bald scheiterte, und er war bereits reich, mächtig und ein geschätztes Mitglied der Society, als er 1933 in der Wiener Karlskirche Hedwig Kiesler heiratet, ein bildschönes Filmsternchen, bekannt durch ihre Nacktszenen in „Ekstase“. Sie war der klassische Fall einer Repräsentationsfrau, wozu sie auf die Dauer keine Lust hatte.
Die Autorin vertraut übrigens im Hedy Lamarr-Kapitel den Aussagen des Stars nicht, deren in Hollywood geschriebene Memoiren von Fehlern und Angebereien strotzen (in Amerika verkaufte es sich am besten, wenn man behauptet, Hitler habe einem die Hand geküsst). Auch die immer wieder tradierte Geschichte, sie habe bei Mandl „gelernt“, wie Waffen funktionierten und dieses Wissen dann für das Abwehrsystem verwendet, das sie in den USA erfand, scheint völlig unwahrscheinlich. Alles, was mit Waffen und seinen Geschäften zusammen hing, hielt Mandl selbstverständlich auch vor seinen Frauen geheim – und dass Hedy Lamarrs Erfindung so bedeutend war, dass sie die Grundlage für Bluetooth lieferte, bezweifelt die Autorin auch. Aber eines steht fest – Hedys Hollywood Filmruhm und Nachruhm haben Fritz Mandl in den Blick der Öffentlichkeit gerückt.
Das Buch folgt einem abenteuerlichen Leben – als „bester Freund“ von Ernst Rüdiger von Starhemberg wurde Mandl einer der aktivsten Förderer der austrofaschistischen Heimwehr und verwickelte sich dermaßen in verbotene Waffenlieferungen nach Italien und Ungarn, dass die kommunistische Presse die „Hirtenberger Waffenaffäre“ auf die Titelseite stellte.
Mandl, der sein Luxusleben zwischen Wiener Partys und seinem Landhaus in Schwarzau, zwischen Luxushotels in der Schweiz und Villen an der Riviera bis zum Kriegsausbruch führte, verhandelte mit den Nazis so hart, dass er nicht nur seinen Vater aus Österreich heraus holen, sondern auch noch eine beträchtliche Ablöse für seine Besitztümer bekam. Als reicher Mann ging er nach Argentinien, schon mit seiner dritten Frau Hertha Schneider, die ihm den ersehnten Sohn Fritz schenkte. Die Ehe ging allerdings so schief, dass seine Frau ihn in aller Öffentlichkeit bloßstellte. Es gab weitere Ehefrauen und Kinder, sowohl im argentinischen Exil, wo er weiter unermüdlich als Unternehmer tätig war, und nach seiner Rückkehr nach Österreich. (Dazwischen hatten ihn die Amerikaner, für die ein Mann wie er die Pest war, kurzfristig ins Gefängnis gesteckt…)
In Österreich bekam Fritz Mandl die Fabrik in Hirtenberg zurück und machte weiter seine Geschäfte, teils unter den kritischen, aber dann auch halb zugedrückten Augen der Regierung Kreisky. Als Mandl starb, hatten zwei seiner Söhne „die Waffen gestreckt“ und die Leitung der Fabrik abgelehnt, die von seiner Witwe dann verkauft wurde. 2019 hat man die Herstellung von Patronen eingestellt. Die Autorin schließt mit einer Pointe. Enkel Fritz, der Lebensmittelchemie studiert, hat heute auch mit Kugeln zu tun. Allerdings mit solchen aus Schokolade…
Gerprägt von der Monarchie, ritt Fritz Mandl in der Zwischenkriegszeit den Tiger und brachte sich über Nazi-Gefahr in die Emigration. Für Staatsmänner wie Mussolini oder Juan Peron war er nützlich, wenn auch nicht wirklich beliebt. Er war ein begabter Mitläufer der Geschichte, und seine geschäftlichen Fähigkeiten waren so groß wie seine Skrupellosigkeit.
Wer war Fritz Mandl? Man hat es erfahren. Und eine Biographie gelesen, als wäre es ein Abenteuerroman.
Renate Wagner