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Ursula Prutsch: LEOPOLDINE VON HABSBURG

01.11.2022 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Ursula Prutsch  
LEOPOLDINE VON HABSBURG
KAISERIN VON BRASILIEN –
NATURFORSCHERIN –
IKONE DER UNABHÄNGIGKEIT
272 Seiten, Molden Verlag in Verlagsgruppe Styria, 2022 

In Brasilien stößt man allerorten auf sie, und ihr Andenken wird hoch gehalten. In Österreich lebt Erzherzogin Leopoldine, zweite  überlebende Tochter von Kaiser Franz II./I., nicht unbedingt im allgemeinen Bewusstsein, obwohl sie wie ihre Schwester Marie Louise selbst Kaiserin wurde – des fernen Brasilien, wo man sie (das Schicksal von Habsburger-Töchtern) aus dynastischen Überlegungen hingeschickt hat.

Dass Leopoldine eine in jeder Hinsicht bemerkenswerte Frau war, hat sich schon in der wenigen Literatur herumgesprochen, die es über sie gibt. Nun erschien in der Reihe historischer Frauenbiographien im Molden Verlag die ausführliche, kompetente und klug abwägende Schilderung ihres Lebens und ihrer Zeit aus der Feder von Ursula Prutsch, Professorin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, Fachgebiet Amerika, zumal Südamerika. Über Brasilien hat sie bereits eine Kulturgeschichte verfasst, was den breiten politischen Hintergrund erklärt, den sie ihrem Werk gibt. Es geht darin ebenso um die schwankende Geschichte Brasiliens (und Portugals) wie um Leopoldines Schicksal.

Es war, nehmt alles nur in allem, ein tragisches Leben, das der am 22. Jänner 1797 in Wien geborenen  Erzherzogin bevorstand, wenn auch die Autorin nicht den Fehler macht, das „bürgerliche“ Leben am Hof von Kaiser Franz II./I. verächtlich abzutun, wie es in der gegenwärtigen Literatur so gerne geschieht. Ihre Kindheit in Wien, ihrer um sechs Jahre älteren Schwester Marie Louise lebenslang eng verbunden, war sicher die beste Zeit in Leopoldines Leben. Ihre Ausbildung bezog sich sowohl auf Geisteswissenschaft und Künste (sie war eine exzellente Klavierspielerin) wie auf die Naturwissenschaft, die ihrem Vater so viel bedeutete. Niemand teilte diese seine Leidenschaft so sehr wie Leopoldine, und dass der Kaiser seine Tochter mit einem Pulk von Wissenschaftlern nach Brasilien sandte, hat die Wiener Naturwissenschaft (und das Naturhistorische Museum) ungeheuer bereichert.

Kanzler Metternich hatte Marie Louise an Napoleon verschachert, aber die Trennung von der Schwester dauerte nur von 1810, ihrer Hochzeit, bis 1814, als diese mit ihrem kleinen Sohn heimkehrte, nachdem Napoleons Kaisertraum ausgeträumt war. Metternich fädelte auch Leopoldines Ehe in das portugiesische Haus Braganza ein, obwohl deren Königsfamilie vor Napoleon Reißaus genommen hatte und nun in ihrer Kolonie Brasilien residierte. Allerdings war für Metternich gerade dieser überseeische Aspekt interessant – man würde mit einer Habsburgerin dort sozusagen den Fuß in der Türe haben.

Leopoldine, die wie alle Habsburgischen Töchter (wenige Ausnahmen!) nicht nach ihren Wünschen gefragt wurde, heiratete den um knapp zwei Jahre jüngeren portugiesischen Kronprinzen Dom Pedro (1798-1834) wie es bei den Habsburgern nicht unüblich war erst 1817 per procurationem in der Augustinerkirche, wurde dann mit einer österreichischen Delegation auf die lange Reise über den Atlantik geschickt. In Rio de Janeiro ehelichte sie dann endgültig den Mann, der sie nicht liebte und vice versa.

Einerseits zeichnet Ursula Prutsch eine zwar oft von nervösen Krankheiten geplagte, aber gewissenhafte junge Frau, die auch gelernt hatte, ihre Pflicht zu tun. So wie Napoleon Marie Louise auch deshalb geheiratet hatte, weil die Habsburgerinnen als „fruchtbar“ galten, so unterzog sich Leopoldine zwischen 1819 und 1826 jedes Jahr (!) einer Geburt, bis die letzte sie ihr Leben kostete.

Auf die erste Tochter Maria de Gloria (deren abenteuerliches Leben als Königin von Portugal die Autorin am Ende des Buches noch anskizziert) folgten zwei Söhne, die starben, dann drei Töchter, bis 1825 mit Pedro der ersehnte Thronfolger zur Welt kam. Das letzte Kind wäre ein Sohn geworden, über die Gerüchte, dass Dom Pedro durch Gewalt Mutter und Kind getötet habe, lässt sich die Autorin nicht wirklich ein – das wäre wohl auch zu spekulativ.

Wichtig ist ihr, Leopoldines inneren und äußeren Weg zu zeichnen, an der Seite eines Gatten, mit dem sie nur die Musik verband (er spielte nicht nur mehrere Instrumente, er komponierte für Brasilien auch die Nationalhymne). Später zu lesen, wie Pedro sich mit seiner Geliebten, Dona Domitilia, eine Zweitfamilie hielt und die Gattin bewusst demütigte, ist geradezu schmerzlich. Die Freundin, die sie in einer englischen Reisenden gefunden hatte, mobbte der Hof hinweg. Und doch hatte Leopoldine gleich zu Beginn ihres Aufenthalts deutliche Zeichen von Selbständigkeit gezeigt – nicht nur, dass sie mit Hose, Stiefeln und  Sporen ausritt, statt sich damenhaft zurückzuziehen, sie war auch ungemein aktiv darin, die Natur  ihrer neuen Heimat zu erforschen und zu sammeln, was sie nur finden konnte.

Dass sie ihrem Vater nach Österreich nicht nur Pflanzen und Tiere schickte, sondern dreimal auch Menschen, interpretiert die Autorin glücklicherweise nicht als die hochmütige koloniale Überlegenheit der Weißen, sondern so gewissermaßen unschuldsvoll positiv, wie es von Leopoldine gemeint war – seht her, wir haben nicht nur schöne Tiere und Pflanzen, sondern auch schöne Menschen. Ein Indigenen-Paar und ein Afrobrasilianer kamen nach Wien. letzerer erhielt vom Kaiserhof die beste Ausbildung und half Kaiser Franz in seinem Garten…

Anfangs lebte die gesamte portugiesische Königsfamilie in Brasilien, aber nach der Entfernung von Napoleon  und Frieden in Europa konnte König João VI, so gerne er auch geblieben wäre, die Rückkehr nach Portugal nicht mehr aufschieben, zumal es in seinem Land brodelte. Nach 13 Jahren in Brasilien und der „Doppelherrschaft“ in beiden Ländern, ließ er Pedro als Regenten zurück. Die folgenden Jahre waren nun geprägt von den brasilianischen Bemühungen, die Kolonie von dem Mutterland zu lösen, was  damals (siehe USA) eine allgemeine Bewegung war.

 Leopoldine engagierte sich hier sehr und trieb ihren willensschwachen Gatten dazu an, weil sie die Lage weit besser überblickte und beurteilte als er  – wenn es auch bedeutete, dass es für sie nie eine Rückkehr nach Europa geben würde. Aber, so vermutet die Autorin, es mag Leopoldine befriedigt haben, als Tochter eines Kaisers, als Schwester einer (gewesenen) Kaiserin nun selbst Kaiserin von Brasilien zu sein… auch wenn sie 1822 nicht an der Seite ihres Gatten gekrönt wurde, weil das nicht vorgesehen war.

Bis zu ihrem Tod am 11. Dezember 1826 im Palast Boa Vista erlebte Leopoldine, so wie man es hier geschildert bekommt, nur noch die gezielten Bösartigkeiten ihres Gatten. An ihrem Sterbebett standen vier kleine Mädchen und der erst einjährige Thronfolger. Kaiser Franz in Wien war tief erschüttert über den frühen Tod der Tochter. Der Gatte wenig bis gar nicht.

Als Ausgleich für ein unglückliches Frauenleben lässt ihr die Nachwelt Gerechtigkeit widerfahren, wobei das Lob als anerkannte Naturforscherin sie vermutlich am meisten gefreut hätte. Oder doch noch mehr, dass sie Brasiliens Ikone der Unabhängigkeit war?

Das Buch ist sehr schön gemacht, mit vielen Abbildungen auf grün gehaltenen Extraseiten im Lauftext. Gelb und Grün waren die Farben Brasiliens, Gelb (Habsburger-Gelb) und Grün für die Natur – ideale Signale für Leopoldine.

Renate Wagner

 

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