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Ursula Prokop: ZUM JÜDISCHEN ERBE IN DER WIENER ARCHITEKTUR

16.01.2017 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

BuchCover   Prokop, Jüd. Wiener Architektur

Ursula Prokop:
ZUM JÜDISCHEN ERBE IN DER WIENER ARCHITEKTUR
Der Beitrag jüdischer ArchitektInnen im Wiener Baugeschehen 1968-1936
276 Seiten, Verlag
Böhlau, 2016

Man ist sich immer bewusst, wie groß seit dem 19. Jahrhundert und bis zum Anschluss der Anteil jüdischer Künstler und Wissenschaftler am Kulturleben Wiens und Österreichs war. Und doch wird man manchmal überrascht, wie viel mehr von Juden Geschaffenes zu finden ist, als man im Bewusstsein trägt. Die Kunsthistorikerin Ursula Prokop, deren Buch über Margaret Stonborough-Wittgenstein man kennt und schätzt, macht beispielsweise auf dem Gebiet der Architektur darauf aufmerksam. Im Gegensatz zu Literatur und Musik, Theater und Film, wo der jüdische Anteil weitgehend aufgearbeitet ist, ist der Blick auf die Architektur unterrepräsentiert, „obwohl nicht wenige prominente und für das Stadtbild prägende Bauten jüdischen Österreichern zu verdanken sind“.

Mag es auch daran gelegen haben, dass viele Juden es seinerzeit vorzogen, ihr Judentum eher zu verstecken als öffentlich zu machen, um etwa bei Ausschreibungen nicht an – und sei es auch nur unterschwellige – Diskriminierungsschranken zu stoßen? Tatsache ist, dass das Buch überaus zahlreiche Namen und ebenso viele Gebäude aufarbeitet, von den Adelspalästen bis zu den Arbeiterwohnungen. Und etwa auch jenen Prunkbau im Renaissancestil hinter der Oper, den Wilhelm Fraenkel 1875 für Eduard Sacher errichtet hat und der das bis heute legendäre und höchst lebendige „Hotel Sacher“ ist, glanzvoll in Fernsehserien und in der Wirklichkeit.

Natürlich benötigten die Juden, deren Gemeinde in Wien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts rasant anwuchs, auch ihre Kultbauten: Max Fleischer, ein Friedrich-Schmidt-Schüler, wurde Fachmann für Synagogenbauten, ebenso wie sein Kollege Wilhelm Stiassny, der noch den Exotismus der jüdischen Tradition betonte. Beide Herren haben übrigens ihre Gräber am Jüdischen Teil des Zentralfriedhofs (1. Tor), Fleischer eine eigene Kapelle, Stiassny ein Grabmal, das an einen antiken Tempel gemahnt.

Im Schatten dieser beiden Künstler standen viele, hoch begabte Kollegen, die, wie Karl König, der Schöpfer des weggebombten, einst pompösen Philipp Hofes neben der Albertina oder des durchaus noch existenten Hauses der Industrie am Schwarzenbergplatz, weitgehend vergessen sind.

Eine Großstadt wie Wien, die nach dem Bau der Ringstraße gleichsam „explodierte“, hatte neben Palästen und Arbeiterwohnungen auch neue Aufgaben zu bewältigen, etwa die großen Warenhäuser, der einst glanzvolle Herzmansky (Maximilian Katscher) beispielsweise, oder großartige Wohn- und Geschäftshäuser, von denen Oskar Mamorek (Nestroy-Hof, Rüdiger-Hof) einige schuf, die noch heute als Gebäude ins Auge stechen. Auch Banken oder große Krankenhäuser wollten ihr äußeres Bild repräsentativ gestaltet und wandten sich nicht selten an jüdische Architekten. Und als der jüdische Teil des Zentralfriedhofs hinter dem Ersten Tor nicht mehr für die Masse jüdischer Bürger reichte, musste man natürlich auch den neuen Teil entsprechend gestalten: Die Eingangshalle von Ignaz Reiser beeindruckt noch heute.

Sie bauten Villen und Mietshäuser, und selten gingen jüdische Auftragsgeber zu nichtjüdischen Architekten wie jener Sigmund Goldmann, der vis à vis der Hofburg das provokante Loos-Haus von diesem Künstler gestalten ließ. Und auch was man die „Zweite Wiener Moderne“ der Zwischenkriegszeit im 20. Jahrhundert nannte, war noch stark jüdisch geprägt, etwa von Josef Frank (um den Erhalt von dessen „Villa Beer“ in Hietzing wird derzeit noch gekämpft!) oder Oskar Strnad, der nicht nur für Theater und Film, sondern auch für prominente Kunden, etwa Jakob Wassermann, arbeitete. Zu Unrecht im Schatten dieser prominenten Künstler stand wiederum Oskar Wlach, der Gemeindebauten mit besonderem Stilwillen schuf.

Viele Namen tauchen auf, viele Gebäude, an denen man vielleicht achtlos vorbeigeht, lenken mit Hilfe der Fotos des Buches den Blick auf sich: Wer weiß schon, dass das originelle Schokoladen-Haus in Hietzing, ein absoluter Blickfang des Bezirks, von Ernst Lichtblau stammt? Und die einzige Befriedigung, die das Buch in Bezug auf jüdische Künstler bereitet, sind die Karrieren jener, die emigrieren mussten und auch anderswo ihren Weg machten, ob Friedrich Kiesler, ob Richard Neutra, ob Victor Gruen.

Kurz, hier ist eine große Wissenslücke geschlossen worden, die endgültige „Ausrottung“ ist nicht geglückt – obwohl die Autorin der Stadt Wien, die viele Sünden auf sich geladen hat, auch beweisen kann, dass bis in unsere Tage jüdisch konnotierte, architektonisch wertvolle Bauten gnadenlos abgerissen wurden…

Renate Wagner

 

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