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Uli Jürgens: LOUISE, LICHT UND SCHATTEN

27.03.2019 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Uli Jürgens:
LOUISE, LICHT UND SCHATTEN
Die Filmpionierin Louse-Kolm-Fleck
244 Seiten, Mandelbaum Verlag, 2019

Man kann nicht sagen, dass die Frühzeit des österreichischen Films in der Forschung vernachlässigt worden wäre. Aber der Name, um den meist alles kreist, ist der von „Sascha“ Kolowrat, „Graf“, anno dazumal eine glitzernde Medienerscheinung und offenbar ein Allround-Naturtalent im Filmemachen, wie es sich in seinen Anfängen anbot. Erst unsere Zeit sieht sich nach den Vernachlässigten um – und das sind in diesem Fall die Frauen. Dass Österreich nach der Französin Alice Guy-Blaché (die später auch in Hollywood arbeitete) die erst zweite Filmregisseurin der Welt (!) zu bieten hat – das zeigt Autorin Uli Jürgens am Beispiel jener Louise, geborene Veltée, verheiratete Kolm, verheiratete Fleck. Wenn der Name „Kolm-Veltée“ ein Erinnerungsglöckchen in Gang setzt, bezieht es sich allerdings nicht auf Louise, sondern auf ihren jüngeren Sohn Walter Kolm-Veltée, dessen Regie- und Produzenten-Name manchen Nachkriegsfilm zierte, vor allem natürlich „Eroica“ mit Ewald Balser als Beethoven…

Aber die Leistungen der Mutter sind noch um einiges höher einzustufen, vor allem ihrer „Pionier“-Funktion wegen. Sie kam aus der Familie Veltée, Schausteller, die aus Lyon eingewandert waren und in Wien zu Ende des 19. Jahrhunderts ein breites Betätigungsfeld fanden. Was mit Feuerwerken und Spektakeln begann, setzte sich – immer am Puls der Zeit – mit „lebenden Bildern“ fort, und Louise, geboren am 1. August 1873 in Wien, wuchs voll in das „Geschäft“ der Familie hinein, während die neue Kunstform des Films das Gehen lernte.

Dass sie 1893 den Fotografen Anton Kolm (1865-1922) heiratete, sollte sich als Glücksfall erweisen – dieselben Interessen, dieselben Begabungen und offenbar die Fähigkeit, friktionsfrei miteinander zusammen zu arbeiten, als „echte“ Filme aufkamen und sich die beiden in die neue Welt stürzten. Schon früh gesellte sich der Dritte im Bunde dazu: der aus Czernowitz stammende, jüdische Jakob Fleck (1881-1953), der ideale Mitarbeiter, später Louises zweiter Gatte (wobei sich das Buch auf eine „Arbeitsgeschichte“ des Trios beschränkt und keinerlei privaten Spekulationen nachgeht).

Das erste Kino, das in Wien eröffnet wurde, stand 1902 im Prater und widmete sich Pornofilmen. Aber Louise Kolm wollte mehr und Besseres: Sie schrieb Drehbücher, Fleck stand hinter der Kamera, Kolm produzierte, und wahrscheinlich führten alle drei Regie bei den anfangs nur minutenlangen „echten“ Filmen. Dokumentarisches hatten sie schon davor erstellt, auch den Kaiser bei seinen öffentlichen Auftritten gefilmt. 1910 gründeten die Veltée-Kolm-Flecks die erste Produktionsfirma, es sollten noch weitere eigene folgen. Louise liebte Literatur-Verfilmungen, man produzierte Grillparzers „Ahnfrau“ und das Allerseelenstück „Der Müller und sein Kind“, mit Arthur Schnitzlers „Liebelei“ klappte es allerdings (noch) nicht (mit lebenden Dichtern war schwerer zu verhandeln als mit toten).

Die Autorin betont, und das ist interessant, dass man die Persönlichkeit von Louise Kolm nicht festlegen kann – treue Monarchistin (bis in den Ersten Weltkrieg hinein), drehte sie nicht nur werterhaltend Monarchisches, sondern auch durchaus Provokantes, vom (frühen!) Spiel mit den Geschlechterrollen über scharf sozialkritische Themen bis zu Fragen wie jener der Abtreibung (!). Fest steht, dass alle Beteiligten ihr Handwerk schnell und offenbar sehr gut lernten (obwohl nur weniges aus dieser Frühzeit erhalten ist, das man wirklich überprüfen kann).

Interessant auch aus den Anfangsjahren die heftigen Auseinandersetzungen mit dem Theater – Direktoren wollten ihren Schauspielern verbieten, in Filmen mitzuwirken, man hängte dem Genre „Film“ schnell einen schlechten, verdächtigen Ruf an, aber all das bügelte sich mit der Zeit und der Erfolgsgeschichte des neuen Mediums aus. Und die Kolms arbeiteten später mit Stars aller Art (etwa Liane Haid, die sie entdeckt hatten).

Es ist ein Auf und Ab zwischen dem Herstellen zahlreicher Filme, dem Wechsel der Firmen (auch aus finanziellen Gründen), dem Druck durch die Konkurrenz (ab 1912 Kolowrat und seine Sascha-Film, die der „Kunstfilm“ und später der „Vita-Film“ der Kolms Probleme bereiteten). Immerhin – Louise Kolm war die einzige Regisseurin weit und breit. Anerkennung bekam sie dafür damals wenig. Das Buch führt gewissenhaft von Film zu Film (1918 sind es schon hundert, die Louise Kolm und Jakob Fleck gemeinsam inszeniert haben), durch den Ersten Weltkrieg, aus dem der jüngere Sohn Walter unversehrt heimkehrte, bis zum Tod von Anton Kolm 1922.

Schon bis dahin war nicht alles problemlos gelaufen, die Finanzen, die Kämpfe – jedenfalls heiratete Louise Jakob Fleck im Jahr 1924, und zwei Jahre später verließen sie Wien in Richtung Berlin, wo sie auch recht gut als Regisseure arbeiten konnten, oftmals Wiener Themen behandelnd und trotz anfanglichem Zögerns voll in die Welt des Tonfilms einsteigend. Sie drehten nicht mehr eine so überwältigende Menge wie früher, aber immer noch gut ein halbes Dutzend Spielfilme im Jahr – bis im Nationalsozialismus für Juden wie Jakob Fleck kein Platz mehr war.

Es ist eine dramatische Geschichte, wie es Louise gelang, ihren Mann aus den Konzentrationslagern (erst Buchwald, dann Dachau) freizukaufen (!!!), wie die beiden zufällig frei gewordene Schiffspassagen nach Shanghai erhielten, wie ihnen ihr Ruf dorthin vorausgeeilt waren und sie auch für einen chinesischen Produzenten einen Film machten.

Freilich – zweite oder dritte Karriere wurde es keine mehr, nach der Rückkehr nach Wien war es Sohn Walter, der den Namen in der Filmbranche aufrecht hielt, Mutter und Stiefvater waren vergessen. Ein Versäumnis, dem dieses Buch überzeugend und auch noch als stellenweise hoch spannende Lektüre entgegenwirkt.

Renate Wagner

 

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