Uli Jürgens
DER FÄDENZIEHER
Das ungewöhnliche Leben des Arthur Gottlein oder: Wie Raimund und Nestroy nach Shanghai kamen
180 Seiten, Mandelbaum Verlag, 2021
Nur ausgewiesenen Kennern der österreichischen Filmgeschichte wird der Name von Arthur Gottlein (1895-1977) ein Begriff sein. Er war in den zwanziger und dreißiger Jahren häufig im österreichischen Film tätig, meist als Regieassistent, Aufnahmeleiter, Produktionsleiter, und einige Male hat er auch selbst Regie geführt, nachdem es mit der ursprünglich angestrebten Schauspieler-Karriere nicht geklappt hatte.
Aber der Mann, der hinter der Kamera stand und wie so viele, die kaum beachtet werden, unabdingbar zum Werden von Filmen beitrug, hatte auch ein nicht alltägliches Schicksal. Die Wissenschaftsjournalistin Uli Jürgens, die vor zwei Jahren die Lebensgeschichte der österreichischen Filmpionierin Louise Fleck biographisch verarbeitet hat, mag im Lauf dieser Arbeit auf Gottlein gestoßen sein. Dessen Schicksal traf nicht nur ihren Interessenschwerpunkt zu Flucht, Vertreibung und Exil, sondern auch ihre Affinität zum Puppenspiel (sie hat dieses selbst aktiv betrieben).
Das Schicksal von Arthur Gottlein, das sie nicht filmhistorisch behandelt (dazu war sein Stellenwert nicht hoch genug)., konnte so facettenreich erzählt werden, weil Gottlein ein großer Sammler war, auch ein gewissenhafter Schreiber von Notizbüchern, die über Jahrzehnte erhalten sind, außerdem hat er immer wieder aus seinem Leben berichtet. Dieser Nachlass ging an das Filmarchiv Austria, und die Autorin hat reichlich und lebendig daraus geschöpft.
Erzählt wird die Geschichte eines Wiener Juden, der nicht in das Gemischtwarengeschäft des Vaters eintreten wollte, sondern den es von Anfang an zum Film zog. Dort hatte er kaum Fuß gefasst, als den 19jährigen der Krieg erwischte, den er gut überstand. 1920 heiratete er die um drei Jahre ältere Hermine Knöpfmacher, und es wurde eine glückliche Ehe bis zu seinem Tod, ein (kinderloses) Paar, das gemeinsam durch dick und dünn ging und das schwere Schicksal bewältigte, das ihnen als Juden auferlegt wurde.
Bis zum „Anschluß“ war Arthur Gottlein beim damals blühenden österreichischen Film (vor allem für die „Sascha“-Gesellschaft) laufend tätig. In die Emigration gezwungen, wählte er Manila als Ort, wo es ebenfalls eine Filmindustrie gab, die ihm Arbeit bot. Die Gattin folgte ihm auf abenteuerlichen Wegen erst zwei Jahre später, nachdem sie die Schwiegermutter bis zum Ende gepflegt hatte.
„Die“ Emigrationsstadt im Fernen Osten war damals Shanghai, international, mit einer schnell wachsenden jüdischen Gemeinde, mit Kaffeehäusern und Clubs. Allerdings fand Arthur Gottlein dort nicht so einfach Arbeit. Und da er nie ohne Tätigkeit sein konnte, „erfand“ er etwas, das dem Titel seiner Biographie den Untertitel „Wie Raimund und Nestroy nach Shanghai kamen“ verleiht und was so neugierig macht.
Tatsächlich gelang es ihm mit viel Mühe, ein Puppentheater zu etablieren (schon in Wien hatte es diesbezüglich eine reiche Tradition gegeben), die Puppen herstellen zu lassen, und tatsächlich spielte er – in gekürzter, aber erkennbarer Form – Raimunds „Bauer als Millionär“ und Nestroys „Lumpazivagabundus“ für das deutsche, englische und chinesische Publikum, wobei letzteres besonders begeistert reagierte…
Die Biographie schreibt nie über die enormen alltäglichen Schwierigkeiten dieses ungewöhnlichen und so anstrengenden Lebens hinweg. Die Gottleins bekamen zwar nach dem Krieg noch in Shanghai ihre österreichischen Pässe, aber es dauerte bis 1949, bis das Ehepaar nach Wien zurück kehren konnte. Für Gottlein, der damals Mitte 50 war, ergab sich kein Comeback beim Film, aber als Kenner, Sammler und Dokumentierer der Branche genoß er großes Ansehen bei den nunmehrigen Zeitgenossen . Gottlein starb 1977, die treue Gattin überlebte ihn um fünf Jahre.
Arthur Gottlein steht nicht nur in seiner Betriebsamkeit und in seiner unerschöpflichen Ideenfülle vor dem Leser, sondern auch als Mann, der jede Herausforderung des Lebens meisterte – und der dabei nie auf den eigenen Ruhm sah. Immer waren ihm andere wichtiger als er selbst, vom Gewerkschafter bis zum Organisator von Hilfe für ungarische Flüchtlinge (1956) war er stets aktiv.
Und was den österreichischen Film betrifft – die Schilderung dessen, was in der Zwischenkriegszeit geschah (wo auch viele ausgesprochen „jüdische“ Filme entstanden), ist doch auch ein spannendes Stück Filmgeschichte.
Renate Wagner