Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

TYRANNEN. EINE GESCHICHTE VON CALLIGULA BIS PUTIN

30.10.2022 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

buch ryrannen~1

Hsg. André Krischer, Barbara Stollberg-Rilinger
TYRANNEN.
EINE GESCHICHTE VON CALLIGULA BIS PUTIN
352 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2022

Dieses Buch war schon vor dem Ukraine-Krieg konzipiert, auch wenn sein Thema (mit Putin, der sich das Titelbild mit Caligula und Richard III. teilt) wie maßgeschneidert auf die gegenwärtige Zeit und ihre Kriegs-Katastrophe wirkt. Tatsächlich haben die Herausgeber, (André Krischer und Barbara Stollberg-Rilinger) wie sie im Vorwort sagen, die Frage nach den Tyrannen nicht derart stellen wollen, dass man eins zu eins in biographischen Artikeln die stets überlieferten Missetaten nachbetet.

Es geht hier nicht nur um die Menschen selbst und ihre angeblichen oder wahren Taten, die der Quellenlage wegen oft historisch gar nicht so genau fixierbar sind. Es geht auch um die Frage, wann und warum sie in der Geschichte als Tyrannen festgeschrieben wurden.

Faktisch alle Autoren widmen sich dieser Frage in ihren Artikel in Ausführlichkeit, und es gibt immer – um nur ein paar Beispiele zu nennen – „Schuldige“. Caligula (Autor: Aloys Winterling) und Nero (Autor: Mischa Meier) waren schlimm genug, aber vielleicht nicht so schlimm, wie eine „senatorische“ Geschichtsschreibung sie verleumdet hat – mit diesem Argument treten ihre Autoren zur Verteidigung an. Es war schließlich der Senat, der von diesen (ja doch ziemlich ruchlosen) jungen Männern im Kaiserpurpur  weitestgehend entmachtet wurde, Und das haben sie später durch den Rufmord gerächt, denn Geschichtsschreibung lag im alten Rom gewissermaßen in Senatorenhänden…  und das Genre ist, wie jedes Schreiben, natürlich kein objektives. Tatsächlich hat man den Eindruck, absolut jede Geschichtsschreibung sei Propaganda, die eine Meinung oktroyieren will, und arbeite in diesem Sinn bewusst, um den zeitgeistigen  Ausdruck zu benützen, mit „Fake“…

Bei Richard III. (Autor: André Krischer) findet man natürlich Shakespeare als „Schuldigen“, der die Psychologie von Machtmissbrauch und Psychoterror an dieser Figur unnachahmlich festgemacht hat, aber auch die Geschichteschreiber der Nachfolger taten ihr Werk: Heinrich VII. Tudor, der nach den Plantagenets durch den Sieg über Richard III. auf den englischen Thron kam, wusste, dass sein Bild umso heller strahlt, je düsterer man den Vorgänger zeichnet.

Besonders schlimm traf es Frankreichs Königin Katharina von Medici (Autorin; Mona Garloff). Die „Bartholomäusnacht“, die in der Interpretation der Autorin eine „politische Notwendigkeit“ war, da ein Umsturz durch die Hugenotten drohte, hat sie in der protestantischen Geschichtsschreibung auf ewig verdammt und zur blutigen Verbrecherin gemacht. Dazu kam, dass man sie – obwohl ihre Mutter aus dem französischen Hochadel stammte –  immer als „Italienerin“ verunglimpfte, und diese wurden von den Franzosen ohnedies stets für Giftmörder und Verbrecher gehalten. Weiter zu berücksichtigen ist das ewige männliche Vorurteil gegen Frauen, die sich anmaßten, die Macht in die Hände zu nehmen – kurz gesagt, hier kam vieles zusammen, dass diese erstaunliche Frau tiefschwarz gemalt bis heute in der Geschichte steht.

Am Beispiel Napoleons (Autor: Daniel Schönpflug), der schon im Titel des Beitrags vom Despotismus freigesprochen wird, ermisst man dann auch, wie sehr man in der Sprache und in Definitionsfragen stecken bleiben kann. Zu seinen Lebzeiten von vielen, nicht nur seinen Landsleuten, bewundert, haben seine Feinde Napoleon stets alles Erdenkliche genannt – Tyrann, Despot, Usurpator, Diktator, ohne dass je klar wurde, was man eigentlich gemeint hat. Da Napoleon immer Wert auf eine „Verfassung“ legte, was man von keinem absoluten Herrscher sagen kann, treffen die negativen Bezeichnungen wohl nicht zu, obwohl er, wie der Autor meint, in seinem übertriebenen Hang zur Selbstdarstellung (in Bezug auf die römischen Kaiser) die „gefährlichsten Mechanismen der modernen Politik“ bediente…

Um bei den genannten  Beispielen zu bleiben – auch wenn die Autoren Zweifel wecken wollen, die Übeltaten der Genannten bleiben bestehen, Caligula ließ lustvoll morden, Nero seine Mutter umbringen, Richard III. Mitglieder seiner Familie töten, um an die Macht zu kommen, und Katharina von Medici wusste, dass sie Tausende Menschen hinmetzeln ließ. Sie alle waren Mörder – aber sind sie dadurch per definitionem Tyrannen? Waren sie nicht eher einfach schlechte Herrscher?

Denn Tyrannen müssen (wie etwa die gegenwärtigen Machthaber im Iran) ihr Volk wissentlich quälen, unterdrücken, willkürlich und böswillig vernichten wollen. Und im übrigen ist ein „Tyrann“ ein Einzelmensch mit absoluter Macht, die er mit Rücksichtslosigkeit, Zerstörungswut, Haß, Gnadenlosigkeit und Menschenverachtung zur  Unterdrückung des ihm anvertrauten Volkes einsetzt…

Die Herausgeber erklären im Vorwort, dass ihre Auswahl „willkürlich“ war, sie hätten Pol Pot statt Mao wählen können, Mussolini statt Franco und andere Beispiele mehr. Dass sie Hitler und Stalin „bewusst“ ausgelassen haben, weil die Verbrechen beider nicht in einem Atemzug mit den übrigen zu nennen sei, scheint eine sehr vage Begründung, zumal beide für den  „Tyrannen“-Mythos unwiderlegbare, unhinterfragbare Beispiele abgegeben hätten. So bleibt nach einem historischen Spaziergang, bei dem man beispielsweise einen Preußenkönig neben Iwan dem Schrecklichen findet, der Blick in die  Gegenwart, und man ist bei  Assad, den Kims, ErdogAn und Trump.

Von den beiden Letztgenannten passt Recep Tayyip Erdogan (Autor: Kader Konuk. gebürtige Türkin) unhinterfragt in das Tyrannenschema, denn seit seiner Machtergreifung versucht er diese zu verabsolutieren, dem Volk aufzuzwingen und jede andere Meinung mit Gewalt zu unterdrücken. Bei Donald Trump (Autor: Michael Hochgeschwender). dem ein besonders lebhaftes Psychogramm gewidmet ist, liegt die Sache nicht so einfach – weil er nicht so viel Schaden anrichten konnte, wie er es vielleicht gewollt hätte. Auch ist hier das intellektuelle Niveau zu niedrig, andererseits besteht laut dem Autor die Befürchtung, dass Trump tatsächlich Schlimmes anstellen könnte, sollte er wieder gewählt werden.

„In Trump erkannte er sofort den Kumpel, mit dem sich über Deals reden ließ“, heißt es in dem Kapitel, das vermutlich die meisten Leser am meisten interessieren wird, nämlich jenes über Wladimir Putin (Autor: Karl Schlögel). Hier wird der schrankenlose Wille zur Macht, gepaart mit Selbstinszenierung vorgeführt, und man findet alle jene Eigenschaften, die mit Macht verbunden Destruktion nach sich ziehen – Haß, Wut und Maßlosigkeit, die Grimasse der Verachtung, gehässige und niederträchtige Rhetorik, Komplexe, die ausgelebt werden wollen, und die Bereitschaft, „das wilde Tier des Krieges loszulasssen“, wie der Autor formuliert, Putins Haß gegen Europa bringt ihn dazu, das alte russische Imperium wieder errichten zu wollen, egal, um welchen Preis, selbst wenn er sein eigenes Volk in den Abgrund stürzt. Ja, so sehen Tyrannen aus.

Es ist ein Professorenbuch, alles hoch geachtete Damen und Herren der Wissenschaft, was aber auch bedeutet, dass ihre Stile unterschiedlich sind – die einen nähern sich dem Leser an, die anderen schweifen ausführlich durch ihre Theorien. Aber dass man über Formen der Gewaltherrschaft nachgedacht hat, das erreicht dieses Buch zweifellos – und bedauerlicherweise ist das ein Thema, das die Welt schließlich ganz aktuell bewegt.

Renate Wagner

 

Diese Seite drucken