Tom Holland
PAX
Krieg und Frieden im Goldenen Zeitalter Roms
448 Seiten, Verlag Klett-Cotta, 2024
Kopfüber in die Vergangenheit
Wer sich mit dem „Alten Rom“ befasst, kennt den Autor Tom Holland, denn er ist dieser Welt von einst schon längere Zeit auf der Spur. In dem Buch „Rubikon“ schilderte er die Geschichte der Römischen Republik von Anfang an – bis Caesar 49 v. Chr. den Rubikon überschritt und die Republik in die Diktatur des Einzelnen überging. Im nächsten Band, „Dynastie“, behandelte er die Geschichte des Julisch-Claudischen Kaiserhauses, das mit Augustus, dem Großneffen, von Caesar, begann, und die Macht über Generationen in der Familie behielt. Von Tiberius über Caligula und Claudius bis zu Nero, der im Jahre 68 n. Chr. starb.
Nun wird unter dem Titel „Pax“ weiter erzählt, bis 138, das Todesjahr von Kaiser Hadrian. Eine bewegte Zeit mit großen Namen – nach den Drei-Kaiser-Jahr kamen die Flavier (Vespasian und seine Söhne Titus und Domitian), dann Trajan und Hadrian. (Bei Marc Aurel kann der Autor dann im nächsten Buch weiter machen.)
„Pax“ ist ein Titel, der gerade in unserer Zeit, mit zwei virulenten Kriegen, aufhorchen lasst. „Frieden“ ist das, was jeder wünscht und was so schwer zu erreichen scheint. Und tatsächlich berichtet auch Tom Holland nicht von Friedenszeiten – schon der Untertitel des Buches revidiert das mit der Einschränkung „Krieg und Frieden im Goldenen Zeitalter Roms“, wobei der Autor den Begriff des „Goldenen Zeitalters“ (der im allgemeinen eher auf die Ägide des Augustus angewendet wird) übernommen hat – und selbst daran zweifelt… (Bibliographie und Anmerkungen des Buches sind, hier sei es schnell vermerkt, beeindruckend, dankenswert auch die vielen Karten, die den riesigen Raum ausmessen, um den es hier geht).
Der Gegensatz zu unserer Welt ist übrigens evident. Damals gab es rund um das Mittelmeer nur eine Großmacht: Rom. „Das Imperium war der reichste, der gewaltigste, der furchterregendste Staat, den es je gegeben hatte: ein Staat, der im Laufe der in Pax beschriebenen Jahrzehnte immer wieder seine Unbesiegbarkeit zur Schau stellte, so dass selbst seine Feinde zu der Überzeugung gelangten, er könne niemals besiegt werden“, schreibt Holland.
In unserer Zeit sind „alte“ Weltmächte (USA und Rußland) ebenso im Spiel wie neue, die Übersichtlichkeit von einst ist in unserer Welt verloren gegangen. Gewaltsame Parallelen sind nicht zu ziehen, also stellt der Autor auch fest: „Ich habe versucht, die Römer in der Blütezeit ihres Imperiums zu porträtieren, nicht als unsere Zeitgenossen, nicht als Strohmänner, die man entweder nachahmen oder verdammen sollte, sondern als ein Volk, das uns vor allem deshalb fasziniert, weil es anders ist – beunruhigend, bezwingend anders.“ Und mit dieser Faszination, die das alte Rom ausstrahlt und auf viele Menschen immer noch ausübt, hat er natürlich recht.
Das Vorwort hebt mit dem Ende an – mit jenem Kaiser Hadrian, der seinen „Wall“ durch Britannien ziehen ließ, ein Bauwerk, um das die Aura des Geheimnisvollen weht. Holland beginnt das Buch deshalb an diesem Punkt, weil es die Briten waren, die vor allem in Gestalt des Historikers Edward Gibbon (in seinem legendären Werk Verfall und Untergang des römischen Imperiums) jene Periode rund um Hadrian (und Trajan davor) als das „Goldene Zeitalter“ Roms priesen, wo der Römische Erdkreis „mit Tugend und Weisheit regiert“ wurde. Der Autor benützt die Präambel, um dem großen Historiker-Vorgänger in vielen Punkten zu widersprechen, und er tut es im Grunde auch im Rest des Buches. So ideal war es nämlich nicht.
Zurück zum Beginn dieser Geschichte, in das Rom Neros (mit der Person von Augustus angefangen, gewissermaßen im „schnellen Durchlauf“ als Vorgeschichte, die zu verstehen ist). Nero, der zum Selbstmord gezwungen wurde und nach dem kein Julisch-Claudisches Familienmitglied zur Verfügung stand, hinterließ Chaos und Vakuum, was auf den ersten Blick von niemandem aufzufangen war. Die Suche nach dem neuen Kaiser geriet zum sagenhaften Durcheinander , in dem die Macht der Legionen eine wichtige Rolle spielten. Galba, Otho (der Ex-Gatte von Neros zweiter Frau Poppea) und Vitellitus kamen nacheinander grausam ums Leben, und mit Vespasian setzte sich die stärkste Persönlichkeit durch, ein Herrscher, der das von Nero ratlos hinterlassene Reich befriedete.. Seine „Flavier“-Dynastie ging aber mit ihm und seinen beiden Söhnen nur über zwei Generationen.
Nun kann der Autor chronologisch an einer Reihe durchaus spektakulärer Persönlichkeiten, alle schillernd genug, entlang schreiben, Wir haben sie schon erwähnt – Vespasian, Titus, Domitian, Nerva, Trajan, Hadrian. Eine Epoche, in der das Römische Reich kurzfristig seine weiteste Ausdehnung in den Osten hinein erreichte, eine Periode, wo sich Krieg und Frieden abwechselten.
Vieles spielt in den immer plastischen Bericht von Tom Holland, der mit großer Ausführlichkeit vorgeht, hinein – Alltagsschilderungen und -Probleme im römischen Leben ebenso wie Politisches aller Art, wütende unterdrückte Juden etwa (die übrigens damals schon nach denselben Gesetzen lebten wie die Orthodoxen noch heute…), die im Jahre 70 ihren Aufstand gegen Rom unsagbar blutig bezahlten (Masada), Dennoch wird Titus, der sie besiegte, in unzähligen Opern als der „Milde“ gefeiert. Mit dem Bar Kokhba-Aufstand musste sich dann Hadrian herumschlagen…
Die Charaktere der einzelnen Männer an der Spitze unterschieden sich gewaltig, wobei immer auch die Quellenlage hinterfragt wird – wie das Bild der einzelnen Persönlichkeiten auf die Nachwelt kommt, ist auch eine Frage der Chronisten und deren Agenda… Der gute Titus, sein „böser“ Bruder Domitian, der viel gelobte Trajan, der umstrittene Hadrian. Viele von ihnen haben sich mit ihren erhaltenen Bauten in die Erinnerung geschrieben – Vespasian mit dem Kolosseum, dem „Flavischen Amphitheater“, Titus mit seinem berühmten (von seinem Bruder errichteten!) Bogen, der die Zerstörung Jerusalems „feiert“. Trajan mit seiner Säule, den Marktanlagen und dem opulenten Thermen, Hadrian mit seinem Mausoleum, als „Engelburg“ bekannt, mit seiner Villa bei Tivoli in der Nähe Roms und natürlich mit dem Hadrianswall…
Einmal fragt der Autor ganz richtig „Was haben die Römer eigentlich für uns getan?“ und gibt erst die positiven zivilisatorischen Antworten: „Abwasserentsorgung, Medizin, Schulwesen, Wein, öffentliche Ordnung, Bewässerung, Straßen, Trinkwasserversorgung und öffentliches Gesundheitswesen.“
Aber die blutige Kehrseite der Medaille ist nicht nur die Brutalität, mit der durchgesetzt wurde, was als politische Notwendigkeit erachtet wurde (wir nennen es koloniale Gewaltanwendung), sondern auch der Blutdurst, der sich in dem manifestierte, was in den Arenen geschah. Es ist natürlich ein beflecktes Bild. Aber eben immer fesselnd.
Man hat hier ein breit und ausführlich erzähltes Buch vor sich, das Interessenten, die es genau wissen wollen, kopfüber in die Vergangenheit katapultiert.
Renate Wagner