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Thomas Zauner: AUF NAPOLEONS SPUREN

28.02.2021 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

buchcover auf napoleons spuren

Thomas Zauner
AUF NAPOLEONS SPUREN
Eine Reise durch Europa
408 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2021

Vieles wird uns heuer noch im Umfeld des Napoleon-Gedenkens (er starb vor 200 Jahren) begegnen. Er selbst ist als Thema weitestgehend ausgereizt, was nicht heißt, dass nicht noch viele weitere Bücher über ihn geschrieben werden. Neue Gesichtspunkte bezüglich des Umfeldes gibt es immer, wie der freiberufliche Historiker (Schwerpunkt: Napoleon) und Journalist Thomas Schuler zeigt. Und das ganz real – Umfeld im Sinn von Schauplätzen.

„Auf Napoleons Spuren“ hat der Autor „eine Reise durch Europa“ unternommen, und das nicht vom Schreibtisch aus, sondern selbst unterwegs – vom Großen St. Bernhard-Paß in der Schweiz bis zum Schlachtfeld von Waterloo, wo dann die Feldherren-Karriere, die Europa fast zwei Jahrzehnte durchwühlt hat, endete. Ein Foto aus den Schweizer Alpen beweist – der Autor ist selbst hier gewandert, das Wort „Ich“ kommt permanent vor, der Journalist in ihm recherchiert vor Ort, der Historiker befragt Quellen und interpretiert Geschehen – sowohl in Bezug auf Napoleon wie auch im Bezug auf die Orte, die er streift.

Das macht das Buch bunt bis kunterbunt, man erfährt Faktisches und das, was man als „Schmankerln“ bezeichnen kann, etwa die Unmasse von Nahrungsmitteln, die Napoleons Armee am Weg zu den Schlachtfeldern Oberitaliens in einer einwöchigen Pause im Hospitz am St. Bernhard bei den Augustiner-Mönchen verzehren: „3498 Pfund Käse, 1758 Pfund Fleisch, 400 Pfund Brot, 400 Pfund Reis, 3478 Pfund Salz und 21724 Flaschen Wein.“ Auch das ist Wissen, das letztendlich nötig ist, Geschichte besteht nicht aus gedanklichen Strategie-Spielen, sondern aus Leben, wie es täglich gemeistert werden musste. Übrigens versprach Napoleon brieflich (im Museum zu besichtigen), die Kosten von 40.000 Franken zu bezahlen. Beglichen wurde ein Drittel – und nicht von ihm, sondern Jahre später von König Ludwig XVIII. …

Hauptschauplatz auf Napoleons Spuren ist natürlich Paris, hier könnte man das „Reisetagebuch“ des Autors als einen Napoleon-Reiseführer verwenden, hätte man Lust darauf. Sowohl in Paris wie auch in Berlin zieht Thomas Schuler immer wieder Parallelen zu Hitler. Da fanden Wiederholungs-Rituale statt. Napoleon, ein großer Verehrer von Preußenkönig Friedrich II. (wäre dieser noch da, wäre er, Napoleon, wohl nicht in Berlin, anerkannte er die Feldherren-Qualitäten des anderen), salutierte nicht nur vor der Büste des Königs unter den Linden und befahl seinen Soldaten, dasselbe zu tun (was manchem Franzosen gar nicht passte), er zog am Grab von Friedrich II. auch ehrfurchtsvoll den Hut.

Ebenso nahm Hitler seine Mütze ab, als er vor Napoleons gewaltigem Sarkophag im Pariser Invalidendom stand und soll das ergriffen als „größten und schönsten Augenblick“ seines Lebens bezeichnet haben… Die Leiche von Napoleons Sohn aus der Wiener Kapuzinergruft nach Paris bringen zu lassen, wurde bei dieser Gelegenheit befohlen und wenige Monate später ausgeführt. (Die Franzosen haben dem unglücklichen jungen Mann im Mausoleum des Vaters allerdings nur eine leicht zu übersehende, vergessenswerte Grabplatte im untersten Geschoß gespendet…)

Parallelen zwischen Hitler und Napoleon sieht der Autor nicht gerne, ist sogar bereit, Napoleon als passives Opfer von Angriffskriegen zu zeichnen (!), die gegen ihn geführt wurden – das fällt in die Kategorie der glorifizierenden Napoleon-Literatur, die es offenbar ebenso noch gibt wie die kritische Blicke, die auf ihn geworfen werden.

Auch sieht der Autor mit aller Gelassenheit, dass Napoleon als größter Plünderer aller Zeiten durch Europa zog und nicht alles nach dem Wiener Kongreß zurück gegeben wurde: Immerhin kamen die Markus-Löwen zurück nach Venedig (er hatte sie auf dem Arc de Triomphe platziert), und sobald er in Paris eingezogen war, ließ Fürst Blücher dringend die vom Brandenburger Tor gestohlene Quadriga suchen. Seine Leute fanden sie, sie kehrte nach Berlin zurück…

Für seinen Europa-Trip findet es der Autor nicht einmal für nötig, dass Napoleon in Person „hier“ war, wie etwa in London, wohin er nie einen Fuß gesetzt hat. Aber natürlich begegnet man ihm auf Umwegen, etwa im Apsley House, dem riesigen Anwesen des Duke of Wellington in der Nähe des Buckingham Palace: Hier sieht man schon im Treppenhaus, Stockwerke überragend, Napoleon riesig als Person – die Statue, die Canova von ihm anfertigte, und die als Triumph über den Besiegten nach London kam. (So wie die Engländer nach Napoleons missglücktem Ägypten-Feldzug auch den Rosetta-Stein für ihr Britisches Museum „erbten“, den die Franzosen gefunden und mit dessen Hilfe sie die Hieroglyphen-Schrift entziffert hatten.) Und von Lord Nelson lässt sich viel erzählen, überdimensional scheint die Nelson-Säule am Trafalgar Square den Sieg hinaus zu brüllen – nicht zuletzt, dass diese Schlacht von Trafalgar die mehr oder minder 700 Jahre währende Rivalität von England und Frankreich zugunsten erster entschieden hat und erst ungestört das Britische Weltreich ermöglichte…

Viel zu erzählen gibt es auch an anderen Schauplätzen, etwa Regensburg, wo Napoleon die Landkarte Deutschlands geradezu umdrehte, noch mehr in Venedig: wo er als wahrer „Attila“ fungierte (seine eigene Aussage), der nicht nur maßlos Kunstgegenstände der Serenissima raubte (das Veronese-Gemälde „Die Hochzeit zu Kanaa“ hängt noch heute im Louvre) und historische Schätze mutwillig zerstörte (Verbrennung der Insignien des Dogen und des „Goldenen Buchs“ der Stadt, Niederreißen einer Renaissance-Kirche), aber auch die Juden gleich stellte – ein kurzes Glück für die Betroffenen, denn als die Habsburger wieder die Herrschaft übernahmen, machten sie dies sofort rückgängig. Als dann wieder Napoleon siegte, wurde Venedig seiner Jahrhunderte alten, stolzen Unabhängigkeit entkleidet und dem von Napoleon gegründeten Königreich Italien eingegliedert… Man möchte nicht in dieser Zeit gelebt haben.

In Russland schließlich, wo es heute noch mühsam scheint, auf Napoleons Spuren zu reisen, kann der Autor beweisen, wie sehr das Bild Napoleons im Bewusstsein des Durchschnitts-Russen durch Tolstois „Krieg und Frieden“ geprägt ist. Und am Schlachtfeld von Waterloo fand Thomas Schuler als einsamer Wanderer einen Totenkopf, der ihm entgegen starrte und einen so effektvollen wie aussagestarken Schlusspunkt setzt…

Die Österreicher haben in dem Buch als Permanenz-Gegner Napoleons keine geringe Rolle gespielt, dem Autor waren sie offenbar (will man seine Formulierungen werten) nie sympathisch. Ist es darauf zurück zu führen, dass er in seinem Europa-Trip Wien nicht einmal erwähnt? Die Stadt hätte doch ein gutes Stück Napoleon-Geschichte zu bieten – von Schloß Schönbrunn, wo er im Triumph (und zur Demütigung des österreichischen Kaisers) zweimal einzog und wohnte, bis zur Schatzkammer, wo sich die Wiege seines Sohnes befindet, den man wahlweise „König von Rom“ oder „Herzog von Reichstadt“ nennen kann und dessen Mutter immerhin die Tochter des Kaisers war? Und von Wagram bis Aspern gibt es noch ein paar Schlachtfelder rundherum… Nein, Wien soll nicht mitspielen in diesem europäischen Napoleon-Gedächtniskonzert von Thomas Schuler – und es fehlt vielleicht nicht nur den österreichischen Lesern.

Renate Wagner

 

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