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Thomas Medicus: HEINRICH UND GÖTZ GEORGE

19.01.2021 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Buchcover Medicus Heinerich Und Götz George

Thomas Medicus
HEINRICH UND GÖTZ GEORGE
Zwei Leben
414 Seiten, Rowohlt Verlag, 2020

Vater und Sohn – beide stark, beide bedeutend. Eine klassische Konstellation in der Geschichte und oft auch in der Kunst. Generationen kannten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Namen Heinrich George. Und von ähnlicher Präsenz war in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts Götz George. Vater und Sohn. Rivalität gab es nicht – der Sohn war 8 Jahre alt, als der Vater starb und nicht zuletzt die Mutter sorgte dafür, dass er ihn lebenslang verherrlichte.

Das derbe Gesicht des Vaters, das so eindrucksvoll von der Filmleinwand kam, war im Sohn verfeinert. Doch das gewissermaßen Kraftvoll-Bullige der Erscheinung hatte auch er (und forcierte später mit Schnauzbart die Ähnlichkeit). Und natürlich war da das Talent – von beiden Elternseiten: Heinrich George und Berta Drews, die bewiesen hatten, dass man nicht im konventionellen Sinn „schön“ sein musste, um die große Karriere zu machen, wenn man über so überzeugende darstellerische Präsenz verfügte.

Heinrich und Götz George – zwei Schauspieler, die jeweils ihre Zeit mitprägten. Thomas Medicus, Journalist und Sozialforscher, hat den beiden nun eine Doppelbiographie gewidmet. Schon 1939, in Nazi-Zeiten, waren „Der kleine und der große Götz“ den Zeitungen eine Homestory wert gewesen. Kurz, zwei deutsche Schicksale, denen in ihren Lebzeiten sehr viel Beachtung geschenkt wurde. Bewundernden Umgang mit ihnen kann man dem Autor allerdings nicht nachsagen – und war auch offensichtlich nicht die Intention des Buches.

Im Fall von Heinrich George, geboren 9. Oktober 1893 in Stettin, ist von einer übergroßen Karriere zu berichten, wobei er selbst klug genug war, seinen Geburtsnamen „Georg Schulz“ (so deutsch, so unbedeutend) zu ändern. Medicus fährt zuerst der Theaterkarriere nach, die sich ein theaterbesessener Junge in den Kopf setzte. Dass er noch 18jährig im Jahre 1912 an das Stadttheater Kolberg verpflichtet wurde und dass „Kolberg“ mehr als 30 Jahre später einer seiner letzten Filme und sein Karriere-Ende markierte, ist ein feuilletonistischer Effekt.

Dazwischen lag zuerst eine Wandlung – vom zarten, hübschen Jungen zu der auch körperlich so kraftvollen Erscheinung. Kriegsjahre mit Schockerlebnissen (er wurde wohl verschüttet) änderten auch seinen Charakter. Damit befasst sich der Autor immer wieder ausführlich – einen maßlosen Mann zu schildern, immer wieder auch disziplinlos, zeitlebens zu sehr von Alkohol abhängig, der wohl auch seine darstellerischen Exzesse berechnete und kontrollierte.

Von kleinen Bühnen (er hat das Tingeln in der Provinz für wichtig erachtet), kam er über Dresden (1917/18) und Frankfurt (eine wichtige Station für ihn) nach Berlin, Vertreter der jungen (vielfach nervenkranken, so wie er) „Frontgeneration“, die sich mit dem Expressionismus, der nun auch auf den Bühnen wütete, identifizierte. Der Österreicher Oskar Kokoschka, auch ein wilder Dramatiker, profitierte von seiner Kunst.

George spielte ab 1922 in Berlin sowohl bei Piscator und Brecht (was ihm leicht den Ruf eines Kommunisten eintrug) wie bei Reinhardt (was Breite und Popularität bedeutete), und er wurde – nun ein Arbeitstier mit unerschöpflicher Energie – ein Star, der als Ernst Tollers „Hinkemann“ ebenso faszinierte wie später als Goethes Götz von Berlichingen, die „Rolle seines Lebens“. Kein Verwandlungsschauspieler, charakterisiert ihn der Autor, sondern ein Ausdruckskünstler, der sich selbst mit Macht ins Geschehen warf. Gemalt von den Größen dieser Zeit wie Otto Dix und Max Beckmann, stand er in einer Stadt wie Berlin, die in größter Dichte über die aufregendsten Schauspieler der Zeit verfügte, in der ersten Reihe.

Gleichzeitig stieg er in die Welt des Films ein, war groß im Stummfilm vertreten und schaffte mit seiner Stimme mühelos den Umstieg zum Tonfilm. Hätte er nur 1931 „Berlin Alexanderplatz“ gedreht (seine Studie des von der Großstadt verschlungenen kleinen Mannes in dem Döblin-Roman fasziniert bis heute), und wäre nachher alles anders gekommen – das Bild Heinrich Georges stünde leuchtend in der deutschen Theater- und Filmgeschichte.

Aber das Dritte Reich kam, und wohl niemand hat Heinrich George die (auch bei Kollegen in ähnlicher Situation typische) Erklärung geglaubt, er habe sich nur aus Zwang, um Familie (Gattin Berta Drews und zwei Söhne) und Karriere zu retten, dem Regime zur Verfügung gestellt. Mit nicht enden wollendem Schwung stellt Medicus nun Heinrich George und auch seine Gattin als willige Aushängeschilder des Regimes dar, die sich von Goebbels mit Geld und Privilegien kaufen ließen und immer bereit waren, dafür ihre Begeisterung für das Nationalsozialistische Deutschland auszusprechen.

George ist, anders als Emil Jannings, der zwar ein differenzierterer, „zarterer“ Darsteller war, aber in manchem mit ihm zu vergleichen ist, aus Hollywood gleich wieder nach Deutschland zurückgekehrt und blieb. Er wurde als Intendant des Schiller Theaters, als Vorzeige-„Götz“ auf der Bühne, als der kraftvolle Deutsche, den er im Film immer wieder verkörperte („Der Postmeister“ ist ein Meisterstück, wenn auch die Propaganda darin steckte) ein Künstler mit Signalwirkung, schrieb selbst Propagandatexte, hielt Vorlesungen mit solchen, live und im Radio. Man gewinnt durchaus den Eindruck, er und Berta Drews hätten sich in dieser Welt sehr wohl gefühlt, und ob sie sich über die vertriebenen jüdischen Kollegen den Kopf zerbrochen haben, ist kaum festzustellen. Behauptet haben sie es nachher jedenfalls.

Nachher, als der Traum vorbei war, traf es Heinrich George besonders hart. Im Gegensatz etwa zu Jannings, bei dem es „nur“ Berufsverbot gab, landete er im Lager Sachsenhausen, wo er am 25. September 1946 angeblich an den Folgen einer Operation starb.

Wenn der Autor nun zwar zu Sohn Götz George übergeht, so hat er doch Berta Drews scharf im Blick, die nach dem Krieg mehrere Bücher schrieb, in denen sie den Gatten und auch sich reinzuwaschen suchte (auch sie war in dem „Heimkehr“-Propaganda-Film besetzt, der Hauptdarstellerin Paula Wessely nach dem Krieg moralisch das Genick brach). Sie hat in diesen Memoiren einiges an Beschönigung und bequemem Vergessen geleistet (etwa Georges Mitwirkung in dem „Jud Süß“-Film gar nicht erwähnt).

Was immer man von Heinrich George persönlich hält, nachdem man den ersten Teil der Biographie gelesen hat, Tatsache ist wohl, dass er eine besondere Erscheinung und ein außerordentliches Talent war. Götz George, geboren am 23. Juli 1938 in Berlin, hatte nur einmal in seiner Karriere wirklich überdimensionales Glück, als er zur rechten Zeit die rechte Rolle fand. Sonst wäre er wohl in der Masse von vielen guten deutschen Schauspieler untergegangen, an die man sich nur vage erinnert.

Denn eine große Theaterkarriere machte er nicht, wandte sich schon als Jungspund dem Film zu (wo er mit der gleichaltrigen Romy Schneider vor der Kamera stand, auch sie hatte berühmte Eltern aus der Zeit des Dritten Reichs, allerdings keinesfalls in der Größenordnung von George). Nach netten Nebenrollen konnte er in den sechziger Jahren in einigen Karl-May-Filmen etwas von der „Körperlichkeit“ und auch Präsenz zeigen, die vage an den Vater erinnerte und ihm zugute kam, als er ab 1981 als Tatort-Kommissar Schimanski auf die Fernsehschirme kam. Das prägte in den folgenden Jahrzehnten sein Bild lebenslang, ruppig, unangepasst, gegen den Strich gebürstet, man liebte damals solche Typen, er war bei Umfragen der beliebteste Fernseh-Kommissar.

Glück hatte er noch mit Helmut Dietl, weil dessen Deutschland-Satiren „Schtonk“ und „Rossini“ so viel Publikum fanden. Dass er dann mehrfach abgründige, erschreckende Charaktere spielte (u.a. einen Serienmörder in „Der Sandmann“, einen Massenmörder in „Der Todmacher“ und einen Nazi-Kommandanten in „Aus einem deutschen Leben“, ein Film, der es kaum in das Bewusstsein der Öffentlichkeit schaffte), brachte mehr Ehre als wirklichen breiten Ruhm, den der Vater so reich genossen hatte.

Götz George, in erster Ehe mit Schauspielerin-Kollegin Loni von Friedel verheiratet, geriet immer wieder in das Netz der Boulevard-Presse und zog sich privat mehr und mehr nach Sardinien zurück. Seine Leistungen als Charakterdarsteller im Film und sein gelegentliches Erscheinen auf Bühnenbrettern wurde stets von dem Schimanski-Klischee überschattet.

Wenn ein Leben eine „Dramaturgie“ aufweist (was auch erst der Biograph im Rückblick erkennen kann), so besteht wahrscheinlich das Wesentliche im Leben des Götz George darin, dass er gerade noch rechtzeitig, nämlich drei Jahre vor seinem Tod am 19. Juni 2016 77 jährig in Hamburg (sein Vater, der früh „alt“ wirkte, war nur 53 geworden), das Projekte „George“ verwirklichen konnte Götz als Heinrich, der Sohn verkörpert den Vater, eine Mischung aus Dokumentar- und Spielszenen, und natürlich eine Auseinandersetzung mit Heinrich George im Dritten Reich.

Es wurde keine, bedauert Autor Thomas Medicus: So wie (das Foto ist im Buch enthalten) Berta Drews dafür sorgte, dass der Bub Götz vor dem Gemälde des Vaters, seinen eisernen „Götz“-Handschuh in der Hand, verewigt wurde, so lebte Götz George mit dem Mythos seines Vaters, den er weder hinterfragt noch angekratzt sehen wollte (dem stellt der Autor den Veit-Harlan-Sohn gegenüber, der dem Vater gegenüber eine durchaus kritische Haltung einnahm).

Tatsächlich ist Heinrich George ein Mythos, immer wieder aus zahlreichen Filmen abrufbar, und tragisch ist einzig und allein, dass Götz George in Zeiten lebte, wo die Theater- und Filmwelten weit verwässerter waren als früher und es kaum mehr möglich war, sich in so exemplarische Höhen zu schwingen, wie es Heinrich George ja doch gelungen ist. Der Vater war in Theater und Film einer der Größten seiner Zeit. Der Sohn war der beliebteste Fernseh-Kommissar. Jedes Zeitalter prägt seine Menschen.

Renate Wagner

 

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