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Thomas Lau: MARIA THERESIA DIE KAISERIN

11.03.2017 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

BuchCover  Lau, Maria Theresia

Thomas Lau:
MARIA THERESIA
DIE KAISERIN
440 Seiten, Böhlau Verlag, 2017

Es ist „Maria-Theresia-Jahr“, neue Biographien stapeln sich bereits in den Buchhandlungen, kaum jemand wird jede davon lesen können und wollen, Interessenten müssen sich entscheiden. Wer es genau wissen will und den langen Atem für viele, intensive Lesestunden aufbringt, ist mit dem Historiker Thomas Lau gut bedient. Dieser ist Privatdozent in Fribourg in der Schweiz, und der Blick von außen hat sich bei der Betrachtung von „Ikonen“ immer als nützlich erwiesen – da fehlen dann glücklicherweise die Emotionen, mit denen die Österreicher „ihre“ Maria Theresia umspülen…

Thomas Lau ist, und das ist seine Stärke, ungemein anschaulich. Er fragt sich und erzählt uns, wie die Welt 1717 aussah, als die kleine Erzherzogin Maria Theresia zur Welt kam, und er behält diesen „nahen“ Blick auf die Verhältnisse bei. Die Gefahr, sich entweder nur in politisches Gerangel zu verstricken oder nur feulletonistisch in die Kinderzimmer zu schauen, besteht bei ihm nicht. Er fragt, wie sich die Geschehnisse für die damals Lebenden darstellten – und daraus ergibt sich dann das Handeln, daraus folgen die Entwicklungen, resultieren die historischen Ereignisse. Nicht das Hinstellen von Fakten, sondern der Blick hinter die Kulissen.

Da ist so viel Detailreiches von Anfang an interessant und informativ – was bedeutete etwa jeder einzelne Vorname, den man diesem kleinen Mädchen gab? Welche Rolle fiel ihr zu an einem Hof, wo sie im Moment das einzige Kind war (der kleine Bruder war ein halbes Jahr davor, nur sieben Monate alt, gestorben)? Wie sehr ihr Vater – zu Recht, wie die Geschichte zeigte – um die Nachfolge im Haus Habsburg besorgt war, zeigte ja die schon vor der Geburt des ersten Kindes erlassene „Pragmatische Sanktion“, die seiner Nachkommenschaft – ob männlich, ob weiblich – auf jeden Fall die Herrschaft sichern sollte: Hatte Karl VI. nicht selbst erlebt, wie in seiner Generation Spanien den Habsburgern verloren ging, weil nicht genügend Erben da waren…?

Lau zeichnet nun auf im ganzen 440 Seiten den Weg dieser Maria Theresia nach, die ihre Habsburgischen Erblande verteidigen konnte – nur die Krone des Heiligen Römischen Reichs war für eine Frau unerreichbar. Der Glücksfall war, dass man sie (nach einigen Umwegen) für ihren Gatten, dann ihren Sohn sichern konnte. Und weiterer Glücksfall, dass das „Reich“ mit seinen Querelen sie gar nicht interessierte: Sie hatte genügend mit den Ländern zu tun, die ihre Ahnen (voran Maximilian I.) zusammen erobert und vor allem erheiratet hatten…

Maria Theresia war gescheit und gut ausgebildet, später haben viele die Umsicht und Einsicht bewundert, mit der sie Regierungsgeschäfte tätigte, aber auch die Geschicklichkeit, mit der sie Menschen behandelt – oft schwierige, die sie mit weiblichem Charme besänftige, auch gerne zu Geschenken griff, wohl wissend, dass dies ein wirkungsvolles Element der Befriedung darstellte. Sie war, als ihr Vater starb, nicht unvorbereitet – obwohl sie es selbst gerne so darstellte.

Dass diese Maria Theresia keine naiv-weibliche Unschuld, sondern eine wohl taktierende Frau war: Der Autor analysiert es aus vielen ihrer Handlungen und Selbstdarstellungen (wo sie sorglich an ihrem eigenen Bild in der Öffentlichkeit feilte, nicht zuletzt als „Mutter ihrer Völker“). Sie „spielte je nach Bedarf die Rolle der schüchternen Schülerin, der schutzbedürftigen Mutter oder der häuslichen Ehefrau“. (Mundus vult decipi.) Lau meint auch beweisen zu können, dass sie zwar großen Wert auf das Image der Frau legte, die Krieg verabscheute – aber in den später „Siebenjährigen“ genannten ist sie offenen Auges und willig gegangen, längst wissend, dass man sich in einer Welt harter Männer und harter Gegner mit weiblichen Qualitäten nicht durchsetzen konnte…

Obwohl Lau chronologisch erzählt, was natürlich der einzig richtige Weg ist, ein Leben in den Griff zu bekommen, gibt er sich „Inseln“ des Verweilens, wo es um gewisse Menschen und Beziehungen geht: So widmet er sich etwa ausführlich der Persönlichkeit von Franz Stephan, der als Ehemann der besonderen Art für Maria Theresia so wichtig war. Wenn er dabei Berichte von Zeitgenossen zitiert, so tut er es nicht, um deren Urteile apodiktisch zu übernehmen, sondern fragt sich, wer wem was warum schrieb – was wollte Friedrich II. von Preußen von seinem Gesandten Podewlis hören und lesen, wenn ihn dieser nicht nur mit Fakten, sondern auch Klatsch vom Wiener Hof versorgte? Wie sind die Erinnerungen anderer Leute gefärbt, wie sind sie einzuschätzen? Allein durch diese Entschlossenheit, nichts ungefragt zu übernehmen, werden die Bilder, die Thomas Lau hinstellt, so schillernd und interessant.

1740: In Wien kommt die 23jährige Maria Theresia zur Herrschaft, in Berlin der 28jährige Friedrich, beide nach dem Tod der Väter. Ein klassischer Generationenwechsel, der völlig neue politische Verhältnisse schuf – plötzlich war Preußen dort im Norden nicht mehr der unauffällige Verbündete, sondern ein potentieller Feind, der sich überhaupt keine Zeit dabei ließ, seine Großmachtsbestrebungen auf Kosten von Habsburg zu postulieren. Lau schildert genau, wie Friedrich auf alle Friedensideen pfiff, als er meinte, in einer Frau einen leichten Gegner in Bezug auf seine Forderungen nach Schlesien zu finden: der „aufgeklärte“ Friedenskönig wurde zum entschlossenen Kriegsgott, und Maria Theresia hatte mehr oder minder zeitlebens ihre Nemesis im Norden.

Abgesehen davon, dass Friedrichs Attacke alle anderen Feinde auf den Plan rief (vor allem die Bayern und Sachsen, die meinten, durch ihre Ehen mit Maria Theresias Cousinen, Töchter von Karl VI. älterem Bruder, Rechte auf die Habsburgischen Länder zu haben – und diese auch erhoben).

Da musste also eine junge Herrscherin nicht nur alle Befürchtungen im eigenen Land beruhigen, ob sie auch fähig sein würde, das Schiff zu führen und zu lenken, sie bekam keine Atempause, bevor sie in Kriege verwickelt wurde, die sie nun damals wirklich (noch) nicht wollte. Wobei Lau durchaus auch Friedrichs Tücke ausbreitet, mit der er „Rechtsansprüche“ an Schlesien vorgab…

Zwischen Buchseiten liest es sich geradezu spannend, in der Realität muss es eine Zeit der Katastrophen gewesen sein, zumal Maria Theresia ja auch einen männlichen Erben brauchte – Joseph kam dann endlich 1741 nach drei Töchtern zur Welt. Maria Theresia brachte im Abstand von 20 Jahren 16 Kinder zur Welt, das bedeutet, dass sie sich die meiste Zeit im Zustand der Schwangerschaft befand (mit Kindbetten hielt sie sich nicht weiter auf) – auch das weitgehend unvorstellbar. Thomas Lau schätzt ihre Arbeitsleistung nie gering, man erfährt auch, dass sie sich selbst bei Spaziergängen im Park Akten mitnahm, die sie sich um die Taille schnürte…

Noch unglaublicher wird die Leistung dieser Maria Theresia, wenn man sich vom Autor schildern lässt, wie so ein Alltag in der „kaiserlichen Familie“ ablief (der Gatte war ab 1745 Kaiser, die Bezeichnung „Kaiserin“ für Maria Theresia ist völlig legitim, auch wenn sie unter Vorwänden auf die Krönung in Frankfurt an der Seite des Ehemannes verzichtete). Gewiss verbrachte man so viel Zeit wie möglich in Schönbrunn, weil es dort „gemütlicher“ war als in der Hofburg, Maria Theresia reiste auch sehr ungern (sie holte sich die ungarische und böhmische Krone ab, sonst bewegte sie sich nicht weit), aber dennoch war man in den umliegenden Schlössern unterwegs, von Hetzendorf bis Schlosshof, man besuchte auch die Esterhazy, und selbst wenn man für eine abendliche Aufführung „in der Burg“ von Schönbrunn in die Stadt hinein fuhr (das Schloß lag „am Land“, die Innere Stadt war klein und ummauert), brauchte dies damals Stunden…

Tägliche Messen, gemeinsame Essen (denen sich Maria Theresia aus Zeitgründen mehr und mehr entzog) kosteten viel Zeit, und lange Jahre ihres Lebens war sie auch nach dem „Pharao“-Spiel süchtig, einem Kartenspiel, wo einer die Bank hielt und die anderen auf Karten wetteten (wobei sich viele Aristokraten finanziell ruinierten), die täglichen Berichte über die Kinder und nebenbei noch pausenlos ein Riesenreich regieren … schwer vorzustellen, wie das überhaupt zu schaffen war, wie viel Kraft es brauchte (zumal im so häufig schwangeren Zustand). Es sind diese Schilderungen, die das Buch so lebendig machen – und die Frau, die man aus allen Blickwinkeln umkreist, erst recht.

Natürlich geht es ohne Außenpolitik, Innenpolitik nicht ab, und viele bewundernswerte Reformen gingen auf ihre Initiative zurück. Wobei Thomas Lau an Maria Theresias Eigenschaften nicht nur die Selbstdarstellung bewertet, sondern auch die nüchterne Einstellung zum Geld, das sie immer wieder benötigte: So hat sie (und man glaubt es gern) die „Keuschheitskommission“ nicht nur aus moralischen oder gar religiösen Gründen eingesetzt (sie war fromm, ja, aber mitzureden hatte der Klerus bei ihr nicht), sondern auch aus praktischen Erwägungen: Erstens wurde viel zu viel bürgerliches Geld in die Kanäle der Prostitution abgezogen – und zweitens waren die Geschlechtskrankheiten, die die ungetreuen Männer befielen, eine Plage…

Mit Geld konnte man auch ihren Antisemitismus besiegen: Damit, Prager Juden aus der Stadt zu weisen, hatte sie kein Problem, aber als klar wurde, wie sehr das der Stadt wirtschaftlich schadete, durften jene, die es sich erkaufen konnten, wieder zurück… Das war damals übrigens relativ typisches Verhalten, erst ihr Sohn hatte wirklich Sinn für den Pluralismus von Glauben und Ethnien. Apropos Geld: Wo Maria Theresia ihren Völkern die Herrscherin zeigen wollte, also vorspielen musste, scheute sie auch keine Kosten. Sie kannte das Spiel.

Interessant kurz hält Thomas Lau (wohl auch, weil diese Themen bereits so ausgeschlachtet wurden) die Geschichte der überlebenden Kinder und ihrer Ehen, nur die scharfen Gegensätze zwischen Maria Theresia und ihrem letztlich nicht zu bändigenden Sohn Joseph werden herausgearbeitet (wobei Joseph von ihr gelernt hatte, dass man sich als Herrscher auch vor der Umwelt als solcher zu zelebrieren hatte).

Am Ende erzählt der Autor ausführlich von ihrem Sterben – eine tapfere Christin, die an ein Jenseits glaubte, die den Doppelsarkophag in der Kapuzinergruft früh bestellt hatte, die ihrem Tod wissentlich entgegen gehen wollte.

Bewundernswert bis zuletzt, daran lässt auch ein Autor keinen Zweifel, der das Bild dieser Maria Theresia überaus differenziert, aber nie abwertend und gehässig zeichnet.

Renate Wagner

 

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