Thomas Kielinger:
ELIZABETH II.
Das Leben der Queen
304 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2022
Am 6. Februar 1952 erfuhr die 25jährige Prinzessin Elizabeth, dass ihr Vater, König George VI., gestorben war – und von diesem Tag an, war sie Königin. 70 Jahre lang „verwaltet“ sie nun in wirklich vorbildlicher Manier „die Firma“, wie sie das englische Königshaus selbst nennt, und geht damit als die längst regierende Queen ins Buch der Rekorde ein.
Die Briten hätten sich wahrlich keine bessere, verlässlichere, stabilere royale Repräsentantin wünschen können als Elizabeth II. Dabei war sie, als sie geboren wurde, nur eine Prinzessin am Rande. Ihr Großvater, König George V., hatte vier überlebende Söhne, und niemand bezweifelte, dass der erste unter ihnen, David (als König kurzfristig Edward VIII.), ihm auf den Thron folgen, standesgemäß heiraten und Kinder bekommen würde.
Wie man weiß, wollte dieser exzentrische Mann lieber ein Playboy mit amerikanischer Frau sein, statt die anstrengende Rolle des Königs auszufüllen, und so wurde dieses Jahr 1936 zwischen seiner Thronbesteigung und Abdankung für die damals 10jährige Elizabeth das negative Beispiel dafür, wie Könige sich nicht zu verhalten haben. Ihr Vater, der nervöse, sprechgestörte Albert, bestieg nach seinem Bruder als George VI. den Thron, womit Elizabeth die Thronfolgerin war.
Der Büchermarkt über Queen Elizabeth II. ist reich bestückt, dennoch kommen zu ihrem 70jährigen Thronjubiläum natürlich unvermeidlich neue Bücher heraus. Bei Beck schreibt Autor Thomas Kielinger, langjähriger England-Korrespondent und Inside-Kenner der Insel-Nation. Sein Buch über die Queen bewegt sich nicht auf der Linie der bunten Blätter, sondern der Analyse – mit dem Effekt, dass manches, wie etwa das Kapitel Diana, fast zu kurz zu kommen scheint.
Kielinger wählt den klassischen Weg der chronologischen Schilderung, wobei er manchen interessanten Schwerpunkt setzt – etwa bei der Schilderung der Rolle von Elizabeths Mutter. Später, als „Queen Mum“, schien sie der drollige Liebling der Nation, tatsächlich war sie eine stockkonservative, hoch ehrgeizige, medienaffine Frau, die die Erziehung der Tochter (die nie eine normale „Schule“ besucht hat) zur Queen in feste Hände nahm. Und ihr nicht zuletzt Haltung und eisernes Pflichtbewusstsein beibrachte. (Der Autor erwähnt nicht die in der Literatur immer wieder zu findende Ansicht, Queen Mum hätte mit ihren Freundinnen – darunter einer Großmutter von Prinzessin Diana – die standesgemäße Braut für Prinz Charles ausgesucht und das in die Wege geleitet, was man durchaus auch eine Zwangsehe hätte nennen können, wie in vergangenen Zeiten.)
Zu berichten ist, wie die königliche Familie in vorbildlicher Haltung durch den Krieg kam, zu berichten ist über die Hochzeit 1947 mit Philip, den der Schwiegervater bei diesem Anlass zum Herzog von Edinburgh machte. Der so durch und durch deutsche Prinz, der – wie sein Verwandter, Lord Mountbatten – kein Battenberg mehr sein wollte, hatte im Krieg in der Royal Navy gekämpft. Er war ein gut aussehender Mann, hart gemacht durch das Leben, ruppig und geradeaus. Er erwies sich, wie sich herausstellte, nicht zuletzt deshalb als ideale Wahl für Elizabeth, weil er lebenslang bereit war, die geforderten Schritte hinter ihr zu gehen, ohne sich zu beschweren (wie etwa der Gatte der dänischen Königin). Philip verzichtete später, wenn auch zähneknirschend, darauf, dass die Familie „Mountbatten“ hieß – es waren die Windsors (den Namen, den sich die deutschen Herrscher Britanniens 1917 gegeben hatten). Schließlich hat auch das Haus Habsburg-Lothringen regelmäßig auf das „Lothringen“ vergessen…
Elizabeth und Philip waren, einander vielleicht nicht in überströmend romantischer Liebe, aber in dauerhafter Zuneigung verbunden, bis zu seinem Tod ein loyales und ideales Paar, mit vier Kindern, denen sie allerdings keine idealen Eltern waren – Elizabeth ließ sich durch ihre Mutterrolle nie von den königlichen Pflichten ablenken.
Zu berichten ist vom Problemfall Margaret, Elizabeths Schwester, die sich mit der Rolle der „Zweiten“ ganz schlecht abfinden konnte und alles tat, um mit einem exzentrischen Leben Aufmerksamkeit zu erregen. Sie zwang Elizabeth die Zustimmung zu einer „unstandesgemäßen“ Ehe ab (die sie später allen ihrer Kinder auch gewähren musste).
Die Welt wandelte sich von der Nachkriegszeit zu einer Fernsehgesellschaft, die von der Familie neue Strategien im Umgang mit der Öffentlichkeit verlangte, zu einer Mediengesellschaft, wobei die englische Presse die königliche Familie ganz scharf im Auge behielt (und die Zweifel über die Sinnhaftigkeit der Monarchie immer wieder auftauchten – bis heute, aber nie bis zur echten Gefährdung). Dass man Familienangehörige nicht bändigen kann und sich die Windsors nicht ideal verhielten, das konnte die Queen nicht verhindern.
Es ist kein „politisches“ Buch, die Königin ist eine Repräsentationsfigur und hat diese gewissermaßen schauspielerische Aufgabe perfekt gemeistert, immer wissend, dass jede Kleinigkeit ihres Handelns und Auftretens kommentiert würde. Auf dem Titelbild des Buches hält sie durchaus anmutig ihren Hut fest – ein Symbol für den metaphorischen Wind, dem sie immer ausgesetzt war. Bewirken konnte sie Dinge immer nur innerhalb ihres gar nicht so breit gestreckten Rahmens – ob sie Margaret Thatcher mochte oder nicht, nützte ihr gar nichts, die Dame war die eigentliche Regentin.
Kielinger betont besonders ein Phänomen der britischen Royals unter der immer so „beherrschten“ Queen Elizabeth II., das in den letzten Jahrzehnten zum Problem geworden ist. Schon König Georg V. hat, wie der Autor ausführt, mit seiner Härte den Söhnen gegenüber nur erreicht, dass sowohl David wie Albert (die Könige Edward VIII. und George VI.) total verkorkste Persönlichkeiten wurden. Elizabeth musste man Haltung (und Härte) nicht anerziehen, sie brachte sie mit. Gefühle auszustellen, war in ihrer Welt stets tabu, und sie fand in Prinz Philip einen adäquaten Partner. Nie wäre er auf die Idee gekommen, seine extrem schwere Jugend zu erwähnen oder sich gar darüber zu beklagen (während sein Enkel Harry seie Gefühle triefend der Öffentlichkeit vorlegt). Von ihrem Sohn Charles bemerkte die Queen einmal, er müsse „härter“ werden, und das ist auch gelungen – jedenfalls ließ er sich pflichtbewusst in eine Ehe zwingen, die er nicht wollte.
Prinzessin Diana, deren Schicksal Kielinger bemerkenswert kurz und kursorisch referiert, war dann der „menschliche Faktor“ in der Geschichte der Royals, der sich nicht berechnen lässt. Eine Prinzessin, die im vorgesehenen Rahmen ihrer Rolle nicht funktionierte, sondern sich individuell verweigerte. Mit ihr brach die Welle einer „Gefühlskultur“, die im britischen Königshaus fremd gewesen war, über die „Firma“ herein und stürzte sie in ihre schlimmste Krise. Die Queen musste sich zu Sätzen von Empathie zwingen lassen, die ihr sicher nicht aus dem Herzen kamen.
Das Problem verlängert sich in die Gegenwart, die der Autor so weit herauf führt, wie es für das gegebene Erscheinungsdatum des Buches möglich war. Dass Prinz Harry, wohl angeführt von seiner medien-geeichten Frau, versucht, diese Emotions-Welle weiter zu reiten, hat ihm allerdings nicht den gewünschten Erfolg gebracht. Obwohl man so weit ging, mit dem Reizbegriff des Rassismus zu spielen und ihn der königlichen Familie anzukleben, erzielte man nur einen belanglosen Kommentar – und nichts weiter geschah. Dennoch bleibt Harry ein Risikofaktor, ebenso wie Prinz Andrew, dessen Verhalten der Familie alles andere als Ehre bereitet. In unserer Welt ist ein Vergewaltigungsvorwurf (sprich: ein typisches Playboy-Leben auf Kosten der Bevölkerung) so schlimm wie einst das Kokettieren des Herzogs von Windsor mit den Nazis…
Die Queen, die die Scheidungen ihrer Schwester, zweier ihrer Söhne und ihrer Tochter hinnehmen musste, bleibt von den Erschütterungen ihrer Familie nicht verschont – und trägt sie mit immer derselben Würde.
Immerhin: Der Autor ist überzeugt, dass Charles ein guter König sein wird und dass William und Kate ihre Sache sehr gut machen. In der richtigen Mischung aus Haltung und Privatheit, die im Zeitalter der Sozialen Medien auch von den Royals verlangt wird. Mit Elizabeth II. wird einmal auch eine andere Epoche der Würde abtreten, die sie so vollendet in die Gegenwart getragen hat.
Renate Wagner