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Thomas Kielinger: DIE KÖNIGIN – Elisabeth I.

29.07.2019 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Thomas Kielinger:
DIE KÖNIGIN
Elisabeth I. und der Kampf um England
Biographie
375 Seiten, Verlag C. H. Beck, 2019

Jeder Autor, der auch nur den Hauch einer journalistischen Ader besitzt, wird nach jedem „Zeitbezug“ für sein Buch greifen, wenn sich dieser nicht ohnedies durch einen runden Jahrestag ergibt. Das ist für Englands erste Elisabeth, Elizabeth I. (1533-1603), derzeit nicht der Fall. Aber „Brexit“ ist das Schlagwort, das hier vorzüglich passt.

Denn unter Elisabeth wurde England erst so richtig eine Insel. In den Jahrhunderten davor hatte man sich weit nach Frankreich ausgedehnt, „Hundertjährig“ nennt man den Krieg, in dem die Briten vom Festland vertrieben wurden, erst unter Elisabeths Vorgängerin und Halbschwester Mary Tudor ging mit Calais die letzte Bastion auf französischem, europäischem Boden verloren.

Elisabeth musste ihr Land auch ideologisch neu erfinden, und sie tat es – die stolze, von Europa unabhängige und doch im allgemeinen Machtspiel nicht zu unterschätzende Insel. Das, was sich Boris Johnson und seine „Brexit“-Anhänger auch heute vorstellen. Nicht ein Teil des Ganzen, sondern eine Macht für sich.

Welch enorme Rolle Ideologie und Selbstrepräsentation im Leben dieser ersten Elisabeth spielten, macht dieses Buch von Thomas Kielinger klar. Er ist übrigens tatsächlich Journalist, berichtet seit zwei Jahrzehnten für die „Welt“ aus London und bekam dafür vom Buckingham Palast schon einen Orden angeheftet. Er bietet nun weniger eine klassische „politische“ Biographie als das Psychogramm dieser Frau, die Königin war, und das interessiert – wie alles Private – natürlich besonders. Vor allem, wenn man hinter das Image sieht, das Elisabeth sich selbst gegeben hat. Und wie alle klugen Leute, denen es wichtig war, ihr Bild in der Gegenwart und Zukunft zumindest großteils mitzubestimmen, überließ sie nichts dem Zufall…

Der aufregendste Teil ihres Lebens (und das nicht im positiven Sinn) war ihre Jugend. Vielleicht begreift ein dreijähriges Mädchen nicht ganz, wenn ihre Mutter auf dem Schafott stirbt, aber dass man sie als „Bastard“ bezeichnet, hat die Tochter von Heinrich VIII. und seiner zweiten Gattin Ann Boleyn lebenslang mit sich herumgetragen. Ihr Status am Hof war extrem unsicher, nach dem Tod des Vaters folgten ihm ein kurzlebiger Bruder, eine kurzlebige Verwandte, dann ihre Halbschwester Maria Tudor auf den Thron.

Nachdem Heinrich VIII. die Kirche Englands gegründet und sich von Rom losgelöst hatte, führte seine Tochter aus erster, legitimer Ehe, die „blutige“ Maria (eine Cousine von Kaiser Karl V.), den Katholizismus wieder ein. Als Elisabeth zur Regierung kam, tobten noch die Religionskämpfe, und sie hat es lebenslang vermieden, hier extrem zu agieren, was ihr die Protestanten übel genommen haben. Sie wusste, wie schnell das Geschick immer wieder umschlagen kann, und sie tat alles, ihre Untertanen nicht zu spalten.

Man kann die Klugheit und wohl auch die Verschlagenheit dieser Frau aus ihrer Jugend interpretieren, wo es gar nicht so leicht war, im Wirbel der jeweiligen politischen Umschwünge auch nur zu überleben. Sie wusste später, dass die „Liebe“ des Volks, die man sich auch trickreich erwerben musste (niemand ist so häufig durchs Land gereist wie sie, um eine Königin zum Anfassen zu sein), der verlässlichste Garant ihrer Herrschaft war. Sie wollte den Engländern Stabilität geben, und das gelang ihr. Sie ließ sich im Grunde nur in einen einzigen Krieg hetzen – dass dieser mit dem Triumph über die spanische „Armada“ endete, war ihr persönlicher Glücksfall.

Der Autor versucht klar zu machen, warum es Elisabeth I. den Beurteilern ihrer politischen Leistung so schwer macht. Die Verunsicherung der anderen Mächte, die sie lebenslang erfolgreich betrieb, war ihr Konzept – „Renaissance-Politik in Reinkultur“, wie Kielinger auf Seite 194 schreibt, „mit Verstellung, doppeltem Boden und Halbzusagen, wenn nicht Lügen“. Wer das als „amoralisch“ empfindet, versteht nichts von Politik.

So hielt sie sich alle fürstlichen ausländischen Bewerber um ihre Hand vom Leib, die es zahlreich gab. (Der österreichische Erzherzog Karl, den Kaiser Ferdinand I. als möglichen Gatten schickte, war übrigens keinesfalls, wie hier behauptet, ein „Kronprinz“ – nie hätte man einen solchen um eine königliche Hand werben lassen; er war der dritte der überlebenden Söhne des Kaisers. Ebenso falsch ist die Behauptung, Papst Clemens VII. konnte 1527 die Ehe von Heinrich VIII. zugunsten von Ann Boleyn nicht annullieren, um nicht den Zorn der Katholischen Könige heraufzubeschwören, denn die beiden waren längst tot – Isabella von Kastilien 1504, Ferdinand von Aragon 1516…)

Elisabeth hat ihr Privatleben so geschickt taktiert wie sie es mit ihrem persönlichen Image tat, das sie in zahlreichen Gemälden festhalten ließ, nicht weniger als 80 Einzelporträts (!), dazu jede Menge weiterer Darstellungen – das Bild einer nie alternden, mit den kostbarsten Juwelen und Roben geschmückten Frau. Fest steht, dass Elisabeth „die politische Regisseurin ihrer Lebensleistung“ war. Dass den Huldigungen der Höflinge kritischere Berichte (etwa der Gesandten ausländischer Mächte an ihre Herrscher) gegenüber stehen, macht die Suche nach ihrem Wesen noch facettenreicher.

In hohem Maße erhellend ist Kielingers Darstellung vom Tod der Maria Stuart. Da merkt man erst, wie sehr unsere Vorstellung hier von Schillers Drama geprägt ist (der ja in seiner Eigenschaft als Historiker sehr korrekt war und im Grunde nur die Begegnung der Königinnen erfunden hat). Auf der Bühne geht es dann ja doch um die Konkurrenz auf der weiblichen Ebene – die jüngere, schönere, mehrfach verheiratete, mit einem Sohn beglückte Maria Stuart gegen die alternde Elisabeth (sie war nur neun Jahre älter), weniger schön, unvermählt, unfruchtbar, wie die Gerüchte sagten. Tatsächlich war diese Maria Stuart, die die elementare Dummheit begangen hatte, sich in die „Obhut“ der „Cousine“ zu begeben (Marias Großmutter und Elisabeths Vater waren Geschwister), tatsächlich eine politische Gefahr, es gab einen katholischen „Untergrund“ in England selbst, der sich um Maria Stuart scharte, die mit Frankreich (sie war in erster Ehe Königin von Frankreich gewesen) und dem Papst enge Verbindungen hatte. Das war explosiv.

Nicht weibliche Rivalität, sondern eine echte politische Gefahr ließ Elisabeth schließlich den letalen Schlussstrich ziehen – was ihr, laut dem Autor des Buchs, nicht leicht gefallen sei. Immerhin hat sie auch ihren verbürgten Liebhaber Nr. 2, Robert Devereux, Graf Essex, 33 Jahre jünger als sie, Stiefsohn des verbürgten Liebhabers Nr. 1, Robert Dudley, Graf Leicester, hinrichten lassen, als er ihr den Respekt verweigerte – und sich als Feldherr in Irland nicht bewährte.

Irland, die rebellische Insel, war eines der gravierenden politischen Probleme Elisabeths, andere hielt sie sich erfolgreich vom Leib. Obwohl zu ihren Lebzeiten die Schiffe auf den Meeren nach neuen Welten suchten und Sir Walter Raleigh in Amerika „Virginia“ nach ihr, der „Jungfrau“, benannte, kam das koloniale britische Weltreich erst später, ebenso wie die Vereinigung mit Schottland – ausgerechnet durch den Sohn Maria Stuarts, der ihr Nachfolger wurde, eine der grausamen Pointen der Weltgeschichte.

Elisabeth I. regierte über 40 Jahre, von 1558 bis zu ihrem Tod 1603 im siebzigsten Lebensjahr, das „Elisabethanische Zeitalter“ der „Gloriana“ hat das Image eines Glanzes, den die Geschichtsschreibung nicht gänzlich nachvollziehen kann. Es war eine blutrünstige Welt, die sich auch in vielen von Shakespeares Stücken spiegelt, und dennoch hat Elisabeth – selbst vermutlich eine unsichere Zweiflerin – ihr Land nach Möglichkeiten aus Problemen herausgehalten. Letztendlich setzte sie sich in jeder Hinsicht durch, auch als Frau, was damals (und nie) keine leichte Sache war.

Interessant auch eine Theorie des Autors: Nachdem man den Engländern mit dem Katholizismus auch Bilder und farbigen Glanz und Marienverehrung genommen hatte, bot Elisabeth sich selbst als prunkvolle Heiligenfigur an, verheiratet mit England. Und das Volk trug ihre prächtig geschmückte Statue in Umzügen herum… das muss man einmal konzipieren und realisieren!

Renate Wagner

 

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