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Thomas Hofmann: ES GESCHAH IM ALTEN WIEN

30.12.2023 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Thomas Hofmann
ES GESCHAH IM ALTEN WIEN
NEUIGKEITEN UND BILDER AUS DER KAISERZEIT
124 Seiten, Edition Winkler-Hermaden, 2023 

Die Buchserie „Es geschah in…“ der Edition Winkler-Hermaden, die an seinen fast ausschließlich breitformatigen Büchern erkennbar ist (so muss kein großes Foto den Falz der Doppelseite ertragen), hat sich zur Aufgabe gestellt, die Welt von gestern aus ihren direkten Dokumenten zu erforschen. Nun mögen manche auf historische Zeitungsartikel und Fotos im Internet verweisen. Aber wer altmodisch genug ist, sich ein Thema auf Buchseiten aufbereitet zu wünschen, statt sich mühevoll durch Massen von ungeordneten Informationen zu klicken, für den werden Bücher – zumal jene wie dieses – unverzichtbar sein.

Man kann, so heißt es im Vorwort, heute auf unvorstellbare 16 Millionen gescanter Zeitungsseiten zurückgreifen, die die Österreichische Nationalbibliothek in dem Portal ANNO zur Verfügung stellt. Und das Wien Museum erlaubt, unter 140.000 Bildmotiven zu surfen. Da ist man froh, wenn jemand anderer die Vorauswahl getroffen hat.

Autor Thomas Hofmann ist im Hauptberuf Leiter der GeoSphere Austria, die sich mit Geologie, Geophysik, Klimatologie und Meteorologie befasst, hier allerdings sind Kultur- und Lokalgeschichte seine Themen, wenn er das „alte Wien“ (wie die meisten) in der „Kaiserzeit“ verortet. Und wenn sich auch einmal Kaiser Franz II / I  bildlich in die Geschichte verirrt, so ist es doch sein Enkel, Kaiser Franz Joseph, der für das Habsburgerreich die „Kaiserfigur“ schlechthin war.

Entsprechend groß war das Interesse der Untertanen an einem Mann, der von 1848 bis zu seinem Tod 1916 die Integrationsfigur aller Bürger der Kronländer war. Man sah ihm zu, wie er vom jungen zum alten Mann wurde, und das Buch begleitet ihn (wie es die seinerzeitigen Untertanen taten) auf den entscheidenden Stationen seines Lebens. Dabei konfrontiert der Autor die ausgewählten Bilder vielfach mit Originalzitaten aus den Zeitungen, die natürlich, wenn es um den Kaiser ging, einen entsprechend devoten Ton anschlugen.

Franz Joseph heiratet seine entzückende bayerische Cousine Sisi, die offenbar mit gewaltigem Pomp in Wien einzog; es gab (große  Aufregung!) ein Attentat auf den jungen Kaiser; Sprung zur Weltausstellung. Seine spätere Anordnung, die Stadtmauern zu schleifen, die Ringstraße errichten zu lassen und aus Wien eine damals moderne Stadt zu machen, sieht man auf der Titelseite der Wiener Zeitung (die es so lange gegeben hat und heute nicht mehr gibt) abgedruckt.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ergaben sich gewaltige Veränderungen, vor allem für die Medien – die sorgfältig gezeichneten Illustrationen wurden von den Fotos abgelöst, die realistischer waren, weniger beschönigend. Aber auch Fotos bezeugen den ungeheuren Prunk und Aufwand des Makart-Festzugs für das Kaiserpaar. Und einzelne Mitglieder der „Aufführung“ fanden sich in ihren Kostümen auch in den Fotoateliers ein und zeigen uns, mit welcher Akribie und Üppigkeit ihre Gewänder gestaltet waren.

Topographische Details sind interessant, verschaffen Einsichten, wie die Stadt anders aussah – ein Foto vom Leichenbegängnis des Bürgermeisters Lueger zeigt eine breite Straße, die vom Rathaus zum Ring (und dem Burgtheater) führte – heute ist dort auf dem abgesperrten Platz der Christkindlmarkt zuhause. Ein Begräbnis war ein Ereignis, ebenso wie der Zeppelin, der auch über Wien flog. Und besonders interessant erscheint uns, dass die Cholera, die periodisch immer wieder über Europa hereinbrach, offenbar ein (noch) besseres Geschäft war als Corona – der Autor hat eine ganze Seite mit Inseraten von damals zusammen gestellt, wo für  Cholera-Leibbinden, eigene Cholera-Klos, für eine Schutztinktur oder auch eine informativen Broschüre geworben wurde…

Damit die Kaiserzeit nicht ganz einseitig beleuchtet wird, finden sich auch Blicke in die Vorstadt und linkes Propaganda-Material, wo der Spruch „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“ ausgesprochen schön geschmückt auf einer Schärpe neben einem Bildnis von Karl Marx erscheint…was uns dann ein Lächeln abnötigt.

Jedebfalls  war viel los im „alten Wien“ der Kaiserzeit.

Renate Wagner

 

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