Thomas Fassbender:
WLADIMIR W. PUTIN
Eine politische Biographie
566 Seiten, Landt Verlag, 2022
Man hält diese neue Biographie über Wladimir Putin in der Hand, während dieser einen erschreckend brutalen Angriffskrieg auf die Ukraine führt. Das Buch von Autor Thomas Fassbender ist gerade eben erschienen, und das Nachwort , im November 2021 in Berlin verfasst, ging davon aus, dass Putin 2022, in dem Jahr, da er 70 wird, daran denken würde, die Weichen für seine Nachfolge zu stellen. Schlimmer hätte man sich nicht irren können.
Dennoch möchte man dem Autor, der auch viele einsichtige Analysen bietet (auch im Nachwort), Kompetenz nicht absprechen. Er ist ein Deutscher, der sich in seinem Leben nicht nur oberflächlich auf Russland eingelassen hat. Der gebürtige Hamburger, Dr. phil. (er sagt allerdings nicht, in welcher Sparte), Kaufmann und Journalist, zog mit Mitte 30 für einen internationalen Konzern nach Moskau. Hier hat er Geschäfte aller Art gemacht und auch gegründet (Weberei an der Wolga, Fuhrparkunternehmen in Moskau) und bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland 2015 die Ära Putin von innen, aus der Nähe erlebt.
Dennoch stützt er sich bei seiner Biographie stark auf die schon existierende und auch schon ausufernde Putin-Literatur und sucht zwischen dieser und eigenem Wissen nach „Narrativen“, die Geschichte dieses seltsamen Mannes zu erzählen. Dabei wird von Anfang an klar, dass Putin – der Mann aus der KGB-Schule, der Mann, den der Kalte Krieg für alle Zeit geprägt hat – lebenslang auf Verwirrung seiner Umwelt (seiner Gegner) gesetzt hat, grundsätzlich widersprüchliche Signale ausgesendet hat, sein „Poker-Face“ kultivierte. Jeder Versuch, ihn zu „verstehen“, muss angesichts der Masken scheitern, die er sich aufgesetzt hat – vom höflichen Politiker, der zu einer österreichischen Hochzeit kommt, bis zum knallharten Diktator, der nun, in Zeiten seines Krieges, auf keinerlei „staatsmännisches“ Image mehr achtet. Das Motto des Caligula fällt einem ein, mögen sie ihn hassen, wenn sie ihn nur fürchten…
Thomas Fassbender hat einen voluminösen Band über Putin verfasst, über 500 Seiten in klassischer Biographien-Manier, chronologisch erzählt. Dabei wird immer wieder – quasi mit dem Leser – diskutiert, wie viele Widersprüche und bereits schon Legendenhaftes in dieser Lebensgeschichte hausen, wie viel man in der Sekundärliteratur an Fakt und Fake findet. (Etwa über die seltsame Georgierin, die aufgetaucht ist und behauptet hat, seine Mutter zu sein…)
Dabei hütet Putin sein Privatleben, lässt wissen, dass er nichts von Leuten hält, die „mit ihren Schiefnasen und erotischen Phantasien im Leben fremder Menschen schnüffeln.“ Da Putin nie Zweifel daran gelassen hat, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen ist, weiß man wenig von der Gattin, die mit ihm die KGB-Zeit in Dresden teilte, zwei Töchter geboren hat und dann eher sang- und klanglos per Scheidung verschwunden ist. Affären mit einer Sportlerin (eine Tochter?), einer Ärztin werden unter dem Deckel gehalten. Putin, der gerne wie ein Mann ohne Eigenschaften schier bewegungslos durchs Leben zu schreiten scheint, darf einfach kein Privatleben haben.
Dabei gibt es ein Buch mit Putin-Interviews, aber wer meinen sollte, dieses „Putin-Original“ sei auch wirklich glaubhaft und aussagekräftig, der irrt. So kann Fassbender zum Beispiel absolut nicht herausbekommen, wie Putin sich in den drei Jahren als KGB-Mann in Dresden gefühlt hat, abgesehen davon, dass nicht zu durchschauen ist, wie wichtig seine Position damals war – oder nicht.
Von sechs großen biographischen Kapiteln in Fassbenders spartanischem Buch (keine Bilder, kein Register) ist Dresden das zweite, nach der Jugend in Leningrad, die bereits am meisten mystifiziert wurde (Schule des Lebens: die Hinterhöfe). Dass der KGB Putin mehr geprägt hat als alles andere, steht wohl außer Zweifel. Eine ganz große Abteilung war dort der „Desinformation“ gewidmet, der realen und psychologischen Unterminierung der Feinde (und das waren alle außerhalb der Sowjetunion) durch Verunsicherung – etwas, das der russische Präsident bis heute bis zur Perfektion beherrscht.
Die restlichen Kapitel zeichnen seinen politischen Aufstieg, oft in schwer durchschaubaren innerpolitischen Entwicklungen. Wie immer in der Politik musste man im Fahrwasser mächtiger Männer den eigenen Aufstieg planen. Bei Putin waren es Anatolij Sobtschak und Boris Jelzin, dem er nachfolgte. Tatsache ist, dass Putin nach all den Schwankungen von Führer-Persönlichkeiten, die letztlich den Zerfall der Sowjetunion herbei führten, das war, was die Russen (trotz ihrer grauenvollen schlechten Erfahrungen) nicht ungern mögen: ein starker Mann.
Sicher nicht unumstritten, aber immer der Stärkere. Mit Schwächen? Hat er sich die Krim „zurück geholt“, weil er – wenn man Putin private Gefühle zutraut – es nicht ertragen konnte, dass der wunderbare „weiße“ Liwadija-Palast vor Jalta, einst im Besitz des Zaren und so „russisch“, nun einem anderen Land gehörte? Sicher ist, dass es für ihn ein Zeichen war, wie wenig (mit Ausnahme einiger Sanktionen) die Welt gegen diese Annextion der Krim unternahm. Andererseits – was hätte sie tun sollen?
Einer der letzten Abschnitte des Buches gilt – mit spürbarer Bewunderung des Autors – jenem aktiven Putin-Gegner Alexej Nawalny, der nach Russland zurückkehrte, obwohl er wusste, dass sein Weg direkt vom Flughafen ins Gefängnis führen würde. Zuvor hatte er noch die fast zweistündige Dokumentation über „Putins Palast“ auf YouTube gepostet – und Millionen Menschen, nicht nur auf der ganzen Welt, sondern auch in Russland, haben diesen Beitrag gesehen. Gezeigt wird, wie Putin sich hier auf 75 Hektar Land an der Schwarzmeerküste seinen eigenen Palast bauen ließ, noch größer und prächtiger als Liwadija, undurchsichtig finanziert (von Reptilienfonds ist die Rede), und die Formulierung von „Zar Putin“ war wieder in aller Mund.
Was geschah? Nichts. Und dass es dabei bleiben würde, vermutete der Autor in seinem Nachwort, obwohl er wusste und auch schrieb, dass Putin die Ukraine und Weißrussland als in seinen Augen „ur-russisches“ Gebiet, wieder zu sich „heim ins Reich“ holen wollte. Dass er es so skrupellos tun würde – damit konnte niemand rechnen.
Womit der Autor klar gestellt hat, was er immer wusste – und alle anderen auch: Putin zu verstehen, ist nicht möglich. Dafür sorgt er schon selbst. Des Autors Erwartung als Resümee seines Buches, dass sich nun der Vorhang über Putin und seiner Epoche senken werde – die ist in der momentanen Situation wohl auf die sehr lange Bank geschoben.
Renate Wagner