Manfred Tiemann
THE BIBLE COMES FROM HOLLYWOOD
125 JAHRE BIBELFILME: VOM STUMMFILM ZUM BLOCKBUSTER
352 Seiten, Verlag Böhlau, 2022
Ganz stimmt es natürlich nicht, dass die Bibel nur aus Hollywood auf uns zu kommen sollte. Jahrhunderte christlicher Kunst haben sich endlos aus Themenmotiven der Bibel bedient. Erst in der Neuzeit hat man sich so weit von der Religion abgesetzt, dass andere Interessen auch ohne religiösen Zusammenhang akzeptiert wurden. Aber wenn es um die Gegenwart geht – wer liest tatsächlich schon die Bibel, außer es besteht ein Spezialinteresse des Einzelnen?
Woher kennen wir also, wenn man kein braver Kirchgänger war und die Bibel in den Predigten vorkam, die einzelnen Geschichten dieses Buchs der Bücher? Der Autor Manfred Tiemann, dessen Interessen gleicherweise bei Theologie wie bei Film liegen, gibt in „The Bible comes from Hollywood:“ überraschend vielschichtige Antworten.
Ist es verwunderlich, dass das Thema Film / Bibel schon 125 Jahre alt ist? Nein, denn dass der ganz junge Film bei seiner Suche nach bedeutenden Ereignissen schon 1897 einige Sequenzen der Passionsspiele in Oberammergau mitfilmte, hat zweifellos schon damals großes Interesse hervorgerufen.
Aber mit dieser historischen Betrachtung geht es nicht weiter. Der Filmfreund darf nicht erwarten, nun die klassischen Bibelfilme „Die zehn Gebote“ oder „Ben Hur“ (wobei der Autor imeist die weniger gelungene Neuverfilmung nennt) und viele mehr ausführlich geschildert und bebildert bekäme (wobei die Bilder des Buches zwar reichlich und bunt, aber meist briefmarkenklein und folglich wenig wirksam sind).
Der Ansatz von Manfred Tiemann ist ein rein wissenschaftlicher, der weniger Einzelwerke als Strukturen freilegen will. Wobei fest steht, dass biblische Themen in Filmen auch heute noch (in einer Zeit, wo die Katholiken seltener werden) Kasse machen. Ob die Analyse nicht zu weit geht, wen der Autor etwa alle „Erlöser“-Gestalten im Action-Film (von Arnold Schwarzenegger in „End of Days“ bis Keanu Reeves in „Matrix“) als Jesus-Surrogate hinstellen will, sei dahin gestellt. Interessant, dass er mit dem Thema bis zur Fernsehwerbung geht, wo über christliche Elemente auch gespöttelt wird – der eben verstorbene Dietrich Mateschitz kommt hier wie Pontius ins Credo, wenn ein Werbefilmchen von Red Bull einst unter diesem Gesichtspunkt zurückgezogen werden musste.
Wenn der Autor gut 250 Filme mit Bibelthemen in der Filmgeschichte findet, so ist Jesus doch der unumstrittene Spitzenreiter – nicht weniger als 300mal ist er Held, mehr noch Titelheld von Filmen, wobei der Autor eine Vorliebe für Listen hat: Immer wieder wird er Filme nach einzelnen inhaltlichen oder formalen Gesichtspunkten ordnen, was jedenfalls nicht uninteressant ist. Was Jesus betrifft, so ging es von den Stummfilm-Anfängen ab 1930 in die Welt des Tonfilms, wo man die Leiden (ans Kreuz geschlagen werden usw.) dann auch hören konnte. Als Hollywood um 1950 die Cinemascope-Breitwand erfand, waren dem Thema nun auch als farbige Monumentalfilme Tür und Tor geöffnet (wozu man damals noch Tausende Statisten benötige, die man heute aus dem Computer hinzufügt). Nach den großen Kassenschlagern kamen allerdings die „kritischen“ Regisseure, deren Ansichten über Jesus der katholischen Kirche oft als Blasphemie erschienen, und es kamen auch die Jesus-Musicals, die die Figur in einen neuen Zeitgeist einschrieben.
Interessant sind auch die Vergleiche aus der Welt der Kunst, die der Autor heranzieht und bildlich (wenn auch mit zu kleinen Bildern) belegt. So haben sich die meisten Filme beim „Letzten Abendmahl“ an die Vorlage von Leonardo da Vinci gehalten (Kopie in Wien in der Minoritenkirche zu besichtigen), ebenso wie bei der Kreuzabnahme an die Pietà des Michelangelo.
Dass ein Film-Jesus „hübscher“ sein musste, als es die Historie vorgibt, versteht sich, und das Langhaar mit Mittelscheitel wurde fast zum Markenzeichen. Dass der wahre Jesus kurzes, dunkles Haar hatte, wahrscheinlich sehr dunkelhäutig war und eher klein – damit kann man auf der Leinwand nichts anfangen.
In Sachen Optik zeigen auch die Filmplakate (vor allem der fünfziger und sechziger Jahre), wie sehr man sich den Klischees der Zeit anpasste – Samson oder Goliath als gewaltige Muskelmänner, die Frauen verführerisch erotisch in grellen Farben gemalt.
Es gibt ungleich mehr Filme zu Bibel-Themen, als man je wahrgenommen hat und die kein Einzelner (außer dem Autor natürlich) je alle gesehen haben kann. Allerdings bewegt er sicih auch auf Abwegen, weil er das Thema in Filme hinein interpretiert, wo man es kaum finden könnte. Im Auf und Ab der Betrachtungen fergeben sich zweifellos viele interessante Aspekte, es wird überreiches Wissen ausgebreitet, aber für den Normal-Leser, der „Kino“ nicht als Wissenschaft betreibt, ist das Buch mit seinen vielen Detailbetrachtungen, die nur den Fachmann interessieren, wohl nicht geeignet. Schade. Gegebenenfalls hätte sich die Bibel zwischen Buchdeckeln so gut verkauft wie auf der Leinwand.
Renate Wagner