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TANJA ARIANE BAUMGARTNER: „Ich verteidige meine Figuren!“

21.06.2021 | INTERVIEWS, Sänger

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Foto: Website

TANJA ARIANE BAUMGARTNER

„Ich verteidige meine Figuren!“

Wir haben Tanja Ariane Baumgartner bisher vor allem im Theater an der Wien gehört, nun kam es mit der Ortrud endlich zu ihrem definitiven Staatsopern-Debut. Die deutsche Sängerin ist mittlerweile in der Riege der ersten Wagner-Mezzos aufgestiegen. Sie hat uns ein Gespräch in der Online Merker-Galerie gegeben.
Von Renate Wagner

Frau Baumgartner, nach einem Einspringen als Brangäne vor sechs Jahren und einem geplanten Herodias-Debut, das Covid zum Opfer gefallen ist, haben Sie gestern nun endlich Ihren „richtigen“ Einstieg in die Wiener Staatsoper gefeiert, als Ortrud im „Lohengrin“. Wie war’s?

Es ist Gott sei Dank gut gegangen.

Haben Sie die Homoki-Inszenierung gekannt?

Man hat mir ein Video geschickt. Das ist überhaupt üblich geworden, dass man Videoaufzeichnungen von Inszenierungen bekommt, in die man „einsteigt“, ich werde mir auch vom Münchner „Holländer“ ein Video ansehen, bevor ich Anfang Juli dort singe. In Wien  hatten wir ´für den „Lohengrin“ zwei Orchesterproben, wir hatten eine Bühnenprobe, Regieproben, und wir haben das Stück durchgesungen. Das war eine sehr gute Probenzeit, absolut richtig und auch ausreichend.

Die Ortrud ist in meiner Vorstellung eine wirklich majestätische Persönlichkeit. Und die singt man dann mit Dirndl und „Gretelfrisur“, wie wir sagen. Tut man sich da nicht viel schwerer, als wenn man ein spektakuläres Mittelalter-Gewand trüge?

Ich habe schon das Gefühl, dass die Inszenierung sie als erste Dame des Dorfes charakterisiert. Das passt zu ihr, sie ist eine Machtfrau, die Frau eines einflussreichen Mannes. Und das Dirndl ist ja eigentlich chic, und wenn ich an einem Abend die innere Emotion einer Figur in den Griff bekomme, kommt es bei mir auf das Äußere nicht so an.

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Als Ortrud in der Wiener Staatsoper / Foto: Michael Pöhn

Sie haben ja auch schon „Ortrud-Erfahrung“?

Ich habe die Rolle für Frankfurt geprobt, wurde dann leider krank und konnte sie dort nicht singen. Dann habe ich eine konzertante Aufführung in Lettland gesungen, und dann in Hamburg die Konwitschny-Inszenierung. Ich habe einen hohen Respekt vor der Ortrud, es ist eine herausfordernde Partie, an die Stimme und auch an die Psyche. Ich muss ehrlich sagen, dass ich Probleme hatte, als ich begann, mich mit dieser Frau zu beschäftigen, dieses Überdimensionale, dieses Wünschen und Verfluchen. Erst als mir klar wurde, dass sie wirklich die alte Ordnung vertritt, da bekam ich besseren Zugang. Denn ich möchte meine Figuren auch verteidigen. Ich möchte verstehen, wenn jemand böse ist – und ich habe ja viele böse Frauen zu singen und zu spielen -, warum es so ist.

Da drängt sich ja auch die Klytämnestra auf, die Sie diesen Sommer wieder in Salzburg singen werden. Die eine, Ortrud, wird zerfressen von Haß, die andere, Klytämnestra, von schlechtem Gewissen. Wie wird man diese Frauen eigentlich los? Ich kann mir nicht vorstellen, dass man sich nach einer Vorstellung abbeutelt und sagt, das war’s, ist nur eine Rolle.

Nein, man wird sie wirklich schwer wieder los. Meine erste dieser „starken“ Figuren war die Penthesilea von Schoeck, da fingen sechs Wochen danach Alpträume an, und ich hatte wirklich Schwierigkeiten, das zu verarbeiten. Mittlerweile hat man mehr Erfahrung im Umgang mit diesen Frauen. Und bei Klytämnestra versuche ich dann festzuhalten, dass der Gatte ja doch ihre Tochter geopfert hat, sicher aus für ihn guten Gründen, aber der Mutter ein Kind umbringen – da kann ich nachvollziehen, dass man sich rächt. Das ist natürlich moralisch nicht einwandfrei, aber ein Ansatz, die Frau zu verstehen

Wie lange vor einer Aufführung bereiten Sie sich vor?

Ich bin so vier Stunden vor der Vorstellung im Haus. Da singe ich mich erst einmal ein, dann geh ich in die Maske, und bei Ortrud singe ich mich vor den zweiten Akt noch einmal ein. Und nachher versucht man, los zu lassen. Ich schlafe meist wenig nach einer großen Vorstellung, und es geht erst die nächsten zwei, drei Tage „runter“.

Aus Ihrer persönlichen Erfahrung und aus dem, was Sie von Kollegen wissen: Ist es für einen Sänger noch immer das Ziel der Wünsche, an der Wiener Staatsoper zu singen?

Für mich auf jeden Fall, und ich glaube, für meine Kollegen auch. Ich würde die Wiener Staatsoper wirklich jedem Haus vorziehen, es gibt die Wiener Philharmoniker, und alles ist voll von Tradition. Ich kenne das Haus ja seit meiner Studienzeit in Wien, ich war oft und oft am Stehplatz,, da ist sehr viel Herzblut für mich dabei.

Gibt es weitere Pläne am Haus?

Nächste Saison ist nichts vorgesehen, aber es gibt Gespräche, auch über Rollen und Termine, mehr darf man ja bekanntlich noch nicht sagen.

Ihr Terminkalender ist ja wirklich voll. Nach der Wiener „Lohengrin“-Serie geht es nach München, zum „Fliegenden Holländer“, wobei Sie selten Partien singen, die so klein sind wie die „Frau Mary“…

Es ist auch mal schön, eine „relaxtere“ Partie zu machen, wo man die Stimme entspannt. Außerdem ist dieser Abend für mich wichtig, denn es wird mein Debut in München sein, und es sind die Opernfestspiele, da freut man sich dabei zu sein. Nächstes Jahr wird es ja eine größere Sache dort werden, bei einer Neuinszenierung von „Capriccio“ mit Diana Damrau.

Nun sind Sie ja bei Wagner gelandet und haben fast alles gesungen, was in Ihr Mezzo-Fach fällt. Venus, Ortrud, Fricka, Brangäne und als Höhepunkt die Kundry. Werden Sie es dabei belassen? Das letzte Beispiel dafür, dass eine Brangäne zur Isolde wurde, war ja Petra Lang, und im Hintergrund wäre ja, wie Kolleginnen gezeigt haben, die Brühnnhilde ja nicht unmöglich…

Nein, ich glaube, ich bleibe bei diesen Rollen, die ich derzeit singe. Ich bin ein Mezzo, ich kann einen Ausflug nach oben machen, das geht sehr gut, aber ich möchte meine tiefen Partien nicht verlieren, das wäre zu schade.

Von München geht es nach Salzburg, und dafür, dass Sie so gar keine Mozart-Sängerin sind, sind Sie mit Salzburg ja eng verbunden.

Zu Mozart kann ich nur sagen, dass Dorabella, Marcellina und Dritte Dame wirklich nicht viel sind, aber es liegt nicht an mir, dass ich nicht mehr von ihm gesungen habe. Ich glaube, heutzutage wird Mozart mit schlankeren Stimmen besetzt. Mir tut leid darum, auch, dass Bach nicht auf mich zugekommen ist. In Salzburg bin ich trotzdem seit 2010, und die Geschwitz damals war ein Glücksfall. Erst war ich für eine Magd in „Elektra“ angefragt, und das ging sich mit Frankfurt, wo ich fix im Engagement war, überhaupt nicht aus. Da musste ich blutenden Herzens mein erstes Angebot von den Salzburger Festspielen absagen, weil in Frankfurt die Gora in Reimanns „Medea“ anstand. Und dann kam für diesen Sommer das Angebot für „Lulu“, die später Premiere hatte, und das ging sich aus.

Und seither haben Sie sich in Salzburg als „Spezialistin“ für die Moderne erwiesen mit „Soldaten“ und „Bassariden“. Viele Sänger scheuen vor den zeitgenössischen Komponisten zurück, weil sie an die Stimme doch ganz andere und oft extreme Anforderungen stellen.

Es ist interessant mit den Zeitgenossen, weil man Sachen mit der Stimme macht, wo es auch keine Vorbilder gibt. Dadurch geht man mit weniger Respekt vor anderen Künstlern heran – eine Amneris hat die Simionato gesungen, und man kann es sich auf Platten anhören, man weiß, wie die Damen geklungen haben, und denkt sich: O Gott, wie mache ich das jetzt! Das Problem hat man bei der Moderne nicht, weil es keine Vorbilder gibt. Außerdem bin ich von Haus aus Geigerin, und das hilft schon sehr – auch, weil man solcherart mit dieser Art von Musik ja schon zu tun hatte. Die Erarbeitungsmechanismen sind andere. Auch bin ich durchaus experimentierfreudig, das hilft.

Salzburg 2020 war eine Welt für sich, während andere gleich aufgegeben haben, hat Helga Rabl-Stadler ja das Festival durchgezogen, trotz aller Schwierigkeiten.

Eine großartige Frau! Für mich ist sie die Jeanne d’Arc der Operwelt. Sie hat gegen jegliche Widerstände auf die Festspiele bestanden. Und es wurden tolle Präventionskonzepte gebastelt, letzten Sommer wusste man ja noch viel weniger, wie man mit dem Virus umgehen soll, und das war alles so hervorragend geplant – es war ein unglaublich schöner Sommer. Und ich freue mich auf diesen Sommer heuer, der hoffentlich auch so schön wird, und meine Eltern werden kommen, und in der Freizeit werden wir in der Umgebung wandern, wenn der Schnürlregen ein  Einsehen hat…

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Salzburger Festspiele 2018 *The Bassarids* / Foto Salzburger Festspiele

Sie sind seit zwölf Jahren Ensemblemitglied der Oper Frankfurt…

Nicht mehr. Ich habe das, in Frieden und Harmonie, im Sommer 2020 beendet, aber es wurde abgemacht, dass ich immer wieder als Gast zurück kommen werde. Und es war eine unglaublich schöne Zeit. Ich verdanke Frankfurt zum Beispiel meine ganzen italienischen Partien, die auch für die Stimme so wichtig sind, für die Entwicklung, und die ich so liebe. Eine großartige Zeit, weil sie mir auch ein so breites Repertoire geboten hat, Carmen und Händel, Strauss und die Modernen. Und die Fürstin von Bouillon, eine toll geschriebene Rolle. Diese Jahre haben sich für mich gelohnt.

Wird Ihr Zeitplan auch enger, seit Sie zu unterrichten begonnen haben?

Ja, ich habe ein Angebot angenommen, an der Universität in Bern zu unterrichten, weil ich finde, alles, was ich kann, muss für eine jüngere Generation weiter gegeben werden. Und wenn wir das nicht machen, wer macht es dann? Ich hatte das Glück, von den Alten lernen zu dürfen. Als ich in Frankfurt ins Ensemble kam, gab es Leute, die waren 40 Jahre am Theater, Und ich saß in der Kantine und hörte mir die Geschichten an. Oder was ich von Heinz Zednik lernen konnte, den ich in Salzburg kennen gelernt habe, als er gleichzeitig mit mir in der „Lulu“ sang! Im übrigen kann man unendlich viel auch von den Schallplatten und CDs der Künstler früherer Zeiten lernen. ich sage auch immer meinen Studenten: Hört Euch die Alten an!

Also haben Sie sich entschlossen, frei schaffend zu werden.

Ja, da ist die Arbeit in Bern, und es kommen immer mehr Angebote, die mit der Ensemble-Präsenz in Frankfurt nicht  zu vereinbaren waren. Aber noch einmal: Wir sind sehr gut auseinander gegangen.

Wenn Sie jetzt in die Schweiz zurück kehren… die war Ihnen ja schon immer sehr nahe?

Das deutsche Rheinfelden, wo ich geboren wurde, liegt ganz an der Grenze. Fünf Minuten. Mein Vater war Lehrer, dirigierte den Kirchenchor, bei uns gab es immer Musik, sehr viel Sakralmusik, meine Eltern sangen im Chor, und ich saß da und hörte zu. Und als ich mit neun Jahren kam und sagte, ich will singen, war das in einer so kleinen Stadt nicht einfach. Da fand mein Vater, es sei gescheiter, es erst einmal mit der Geige zu versuchen. Dabei war es noch nicht klar, dass das einmal der Berufswunsch wird, das kam erst später. Aber die Geige liegt sehr nahe bei der Stimme. Ich hatte mein Geigenstudium in Freiburg schon beendet und konnte damit Geld verdienen, als ich in Karlsruhe Gesang studierte. Und dann hörte ich von Helena Lazarska, der berühmten Pädagogin, und ich bin zu ihr nach Santiago de Compostela zu einem Kurs gefahren. Da habe ich sie näher kennen gelernt und habe beschlossen, das Studium bei ihr in Wien fort zu setzen.

Das heißt, dass Wien Ihnen schon seit Ihrer Jugend vertraut ist?

Ja, da war ich andauernd am Stehplatz der Oper, und da sangen Domingo und Carreras… Und dann habe ich ja eigentlich in Wien debutiert. Vieles kommt so seltsam zustande. Ich habe damals in Passau für irgendwelche Konzerte vorgesungen, und dort war ein Musikjournalist in der Jury, der mir sagte: An der Wiener Kammeroper suchen sie eine Rosina. Geh doch mal vorsingen! Und dann habe ich dort vorgesungen, es hat geklappt, und so stand ich auf der Bühne des Schönbrunner Schloßtheaters. Und die Rosina ist eine schöne Partie. Ja, und wenn ich heute längere Zeit in Wien bin, kenne ich mich aus, gehe in Museen, und weiß, wie schön es ist, im Park von Schönbrunn zu spazieren.

Und dann ging es in die Schweiz. Wie kam es zu Ihrem Engagement in Luzern?

Durch ein Vorsingen, das eine Wiener Agentur vermittelt hatte. 2003 hatte ich noch einen Residenzvertrag, ab 2004 war ich fest dort, Direktor war Dominique Mentha, der ja vorher an der Wiener Volksoper gewesen war. Ich bin auch gastweise immer wieder nach Basel, weil es dort einen so phantastischen Korrepetitor gab, der mir ein Vorsingen für die Eboli vermittelte. Und in Basel habe ich dann in der Regie von Hans Neuenfels 2008 erstmals die „Penthesilea“ gesungen, und als die „Opernwelt“ das zur „Inszenierung der Jahres“ wählte, war das wichtig, denn das bringt einen doch in den Fokus. Und darauf kam ich nach Frankfurt und habe es nicht bereut.

Im Herbst werden Sie wieder in Österreich sein und zwar in Linz, beim Bruckner-Fest mit dem Bruckner Orchester Linz  unter Markus Poschner. Was werden Sie dann singen?

„Das klagende Lied“ von Mahler. Ich hatte ja schon einmal einen Linzer Vertrag für „La betulia liberata“, und ich habe mich so gefreut, weil es endlich einmal Mozart gewesen wäre, aber dann kam Covid dazwischen. Das wird dann mein verspätetes Linz-Debut.

Welche Partien würden Sie sich noch wünschen?

Na, ein Mezzo-Traum ist natürlich die Dalila, aber im Moment habe ich das meiste gesungen, was ich wollte.

Wie navigieren Sie eigentlich Ihre Karriere? Überlassen Sie das einer Agentur, oder machen Sie das selbst?

Die Angebote kommen von den Häusern eigentlich direkt zu mir, die Verträge lasse ich dann die anderen machen, das könnte und wollte ich nicht. Man wird auch immer wieder empfohlen, die persönlichen Beziehungen sind sehr wichtig. Und inzwischen besetzen auch sehr viele Regisseure und holen sich Sänger, mit denen sie gut zusammen arbeiten. Im Kreis der Wagner-Sänger begegnet man auch immer denselben Leuten, man kennt sich, und jeder weiß, es wird ein schwerer Abend, jeder muss sehen, wie man am besten durchkommt. Es gibt keine Rivalitäten, es ist schwer genug, wir müssen alle durch.

Derzeit leben Sie wieder in der Schweiz?

Ja, in Biel. Das ist klein, aber sehr schön, liegt an einem See, hat Gebirge im Hintergrund – ich wohne am Land. Wenn ich zwischendurch „daheim“ bin, muss ich ehrlich zugeben, dass mich das Singen Tag und Nacht beschäftigt. Das heißt nicht, dass es fast nichts daneben gibt, aber es ist so ein großes Glück, dass ich diesen Beruf ausüben darf, und auch ein Privileg, auf einer Bühne stehen zu dürfen. Wie viele wollen das, und wie wenigen gelingt es. Und ich denke, es ist eine Verpflichtung, dem Beruf etwas zurück zu geben. Es ist eine Freude für mich, kein Karrieredruck quält mich. Ich wollte immer Musik machen mit den Besten.

Noch eine letzte persönliche Frage: Tanja Ariane – was haben sich Ihre Eltern dabei gedacht?

Das ist einzig und allein mein Werk. Ich heiße Tanja Baumgartner, Tanja ist auch mein Rufname, und die Ariane steht gewissermaßen „stumm“ dazwischen. Aber ich dachte, als Künstlername gibt das mehr her, es gefällt mir einfach so. Es ist nichts Falsches dabei, alles echt!

 

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