TAMPERE: TANNHÄUSER – NI am 4.3.2012
Elisabet Strid. Foto: Petri Nuutinen
TAMPERE: „TANNHÄUSER“ – NI 4.3.2012
Die Tampere Oper führt einmal pro Jahr im schneeweißen modernen Tampere Hall Congress and Concert Centre, dem größten seiner Art in Skandinavien in der südfinnischen Stadt eine Oper auf. In den letzten 15 Jahren waren immerhin zwei Wagner-Werke darunter, 1997 „Der Fliegende Holländer“ und 2010 „Lohengrin“. „Parsifal“ war bereits 1991 die erste Wagner-Produktion in Tampere, allerdings in einer Produktion der finnischen Nationaloper in Helsinki, deren neues Haus erst 1993 fertig wurde. Nun gab es eine Neuinszenierung des „Tannhäuser“. Man kann also schon von einer kleinen Wagner-Tradition hier im hohen Norden sprechen, abseits des Wagner-Mainstreams in den umliegenden Hauptstädten Helsinki, Stockholm, Kopenhagen, Oslo, Riga und Tallin. Der mit etwa 700 Mitgliedern bedeutendste und gleichzeitig reisefreudige Richard Wagner Verband Finnlands (Wagneriaani), mit Sitz in Turku an der Westküste, unternimmt natürlich regelmäßig Fahrten zu Wagner nach Tampere. Er schafft es mühelos, einen großen Bus mit Begeisterten zu füllen, den Rezensenten diesmal inklusive. Vor einigen Jahren – man hat in Turku unverständlicherweise weder ein Konzerthaus noch ein Musiktheater, um das sich Leif Segerstam nun kümmert – führte man im Hafen von Turku mit den historischen Segelschiffen „Suomen Joutsen“ und „Sigyn“, die wie der fliegende Holländer viele Jahre die Weltmeere kreuzten, Wagners Oper des ruhelosen Ahasvers auf. Juha Uusitalo war damals Holländer und Matti Salminen Daland. Es war wohl ein romantisches open air Erlebnis der Sonderklasse – noch heute schwärmt man in Turku davon. Die beiden Schiffe führen nun ihren ewigen Schlaf weiter in der Sonne des vereisten Aurajoki-Flusses vor der ehrwürdigen Burg Turun linna aus dem 13. Jahrhundert, die bestens erhalten ist und sehr einen Besuch lohnt.
In der Tampere Hall ging es bei „Tannhäuser“ wesentlich nüchterner zu als damals beim „Holländer“ unter Mondschein auf dem sommerlichen Aurajoki. Der Regisseur Vilppu Kiljunen wählte nicht nur die züchtige Zweite Dresdner Fassung, in der der Venusberg wie bei Philippe Arlaud einst in Bayreuth mit drei Grazien auskommt. Er schafft auf der Riesenbühne mit dem Visual-Designer Kimmo Viskari einen Kathedral-artig erhöhten geschwungenen Raum, der von großen konvexen und konkaven Versatzstücken begrenzt wird. Sie dienen zunächst als dramaturgische Projektionsflächen für den Venusberg mit blutroten Rosenblättern und „frischem Grün“ für die Wartburg-Ästhetik im 1. Akt. Konvexe Rampen bilden Aufmarsch-Plattformen für die Solisten, die so über das Geschehen erhoben werden – besonders effektvoll bei den zentralen Aktionen von Elisabeth im 2. Akt. Diese Rampen tragen aber auch zu einer guten Staffelung der Chöre in der Bühnentiefe bei.
Mit der Bebilderung der Projektionsflächen ab dem Moment, in dem Tannhäuser in den Bezirk der Wartburg kommt, schafft das Regieteam einen Raum von These und Antithese im Sinne des Konflikts Tannhäusers zwischen Venusberg und frommer Wartburgwelt. Man sieht auf mittelalterlichen christlichen Heiligenbild-Darstellungen und Ikonen – über allem schwebt ein Medaillon der heiligen Elisabeth – lange Schriftzeilen mit Wagner-Zitaten, die von allem anderen als frommer Gottergebenheit und Hoheitsgläubigkeit zeugen. Schon während der Ouvertüre erschienen diese Sprüche auf einem pupurroten Vorhang, auf dem sich langsam eine rote Rose entfaltete – Symbol des Venusbergs. „Ich will zerstören jeden Wahn, der Gewalt hat über den Menschen“, „Der eigne Wille sei der Herr des Menschen, die eigne Lust sein einzig Gesetz, die eigne Kraft sein ganzes Eigentum“ und „Das Glück des Menschen besteht aus Genuss: der Genuss ist die Befriedigung eines Verlangens“ ist da neben ähnlichen, an Klarheit kaum mangelnden Überzeugungen des Bayreuther Meisters zu lesen, die sicher der Venusberg-Sphäre zuzuordnen sind. Das schafft in allen Wartburg-Szenen ein Fluidum von Widerspruch und Konflikt, der sich auch in der guten Personenregie des Sängerkriegs im 2. Akt manifestiert. Leider finden solch drastische Überzeugungen von Verlangen und Befriedigung in Bühnenbild und Dramaturgie des Venusbergs nur harmlose Entsprechung. Die drei weitgehend bekleideten Grazien mit bunten Trinkhalmen im Afrolook-Haar geben sich zarten Bewegungen hin, und Venus räkelt sich zunächst ermüdet auf der Rampe, bevor sie sich an des Geliebten Abwanderungsgelüsten echauffiert. Einmal mehr lässt auch hier Arlaud grüßen, denn Tannhäuser sammelt seine Notenblätter ein und verstaut sie schließlich in einem Koffer, den er von nun an kaum noch aus der Hand gibt – ein déjà vu. Die junge Johanna Rusanen-Kartano, die einst Bayreuth-Stipendiatin von Wagneriaani in Turku war, singt eine stimmlich prägnante und engagierte Venus mit farbigem und zu großer Attacke fähigem Sopran. Glaubhaft intensiv gibt sie die enttäuschte, ja verzweifelte, aber immer noch hoffende Geliebte. Es ist ihre erste Wagner-Rolle überhaupt und ein blendender Einstieg, auch wenn sie an der Diktion noch arbeiten muss. Leider hat Richard Decker mit den schwierigen Höhen der Liedstrophen im Venusberg seine Mühe und keinen guten Start in den Abend. Sein an sich klangvoller dunkel gefärbter Tenor scheint etwas belegt, und man merkt ihm eine gewisse Spannung auch im Spiel an. Diese soll sich erst im Schlussakt legen, wo er eine ausdrucksstarke und stimmlich überzeugende Rom-Erzählung singt und gestaltet. Hier kommt er voll aus sich heraus, findet ganz in die Rolle hinein und setzt mit seiner ergreifenden Umarmung der toten Elisabeth ein berührendes Ende.
Die Elisabeth war wie schon 2010 in der Herheim-Inszenierung in Oslo Elisabet Strid und ebenso wie damals wurde sie auch in Tampere zur zentralen Figur des 2. Aktes. Die Schwedin ist mittlerweile zu einer guten Wagnersängerin gereift. Ihr emphatisches Spiel mit einer natürlichen und überzeugenden Mimik zieht den Betrachter sofort in den Bann. Sie verkörpert hier die junge gläubige Frau, die begeistert mit der Bibel im Arm die teure Halle begrüßt. Strid lässt dabei einen ebenso ausdrucksstarken wie leuchtenden Sopran erklingen, der den geforderten Höhen mühelos gewachsen ist. Berührend ist ihr totaler Einsatz mit flehenden Gesten zur Rettung Tannhäusers. Mika Kares singt mit würdevoller großer Erscheinung den Landgrafen mit einem hellen, gut geführten Bass, der auch über eine gute Tiefe verfügt. Ville Rusanen verkörpert den Biterolf mit Nachdruck und einem klaren, ausdrucksstarken Bass bei bester Diktion. Dan Karlström lässt es als Walther von der Vogelweide etwas an tenoralem Glanz vermissen. Petri Bäckström als Heinrich der Schreiber und Petri Lindroos als Reinmar von Zweter agieren unauffällig. Gabriel Suovanen beginnt mit seinem lyrisch geprägten klangvollen Bariton-Timbre als Wolfram von Eschenbach zunächst gut. Mit der Zeit zeigt sich aber, dass die Stimme Probleme hat, insbesondere wenn sie belastet wird. Es kommt zu Intonationsschwankungen und Klangverlusten in der Höhe, obwohl gutes Material zu hören ist. Offenbar liegt eine Stimmkrise vor. Er spielt die Rolle bestens. Der junge Hirte ist mit Aaapo Savisaari vom Pirkapojat Knabenchor praktisch fehlbesetzt, er schafft kaum eine Höhe. Diese Rolle besetzt man besser mit einem Sopran.
Sehr gut singt der Pilgerchor im 1. Akt (Choreinstudierung des Tampere Opernchores Heikki Liimola), während der Einzug der Gäste im 2. Akt zwar wirkungsvoll choreografiert wird, es aber sängerisch zu kleineren Koordinationsproblemen kommt. Sehr bewegend singt im Finale der Chor von der Erlösung aus Rom. Immer wieder ist die exzellente Lichtregie von Jussi Kamunen zu bewundern, die u.a. mit Punktstrahlern aus der Höhe farblich nuancierte Akzente in Pastelltönen setzt. Die Kostüme passen mit ihrem mondänen Schnitt gut zu dieser Farb-Ästhetik. Allerdings hätte man mit dem Outfit der Ritter und Sänger im 2. Akt nicht betonen müssen, dass Finnland derzeit Eishockey-Weltmeister ist und bei Wolfram auch das alberne Mikrophon weglassen können. Ebenso wie den Camcorder, mit dem er die leidende Elisabeth im 3. Akt filmt – glatte Ausrutscher eines ansonsten auch optisch ansehnlichen Regiekonzepts.
Hannu Lintu, der zukünftige Chefdirigent des Finnischen Rundfunk-Sinfonieorchesters, dirigierte das Tampere Philharmonic Ochestra mit ruhiger Hand und ebensolchen Tempi. Es lag ihm wohl vor allem daran, die kontemplativen Momente der Partitur auszugestalten und jegliches Pathos zu vermeiden, welches auch nicht zur dieser Inszenierung gepasst hätte. Das war besonders bei der Ouvertüre und im Vorspiel zum 3. Akt zu hören, in welchem die folgenden Crescendi umso intensiver klangen. Hervorragend spielten die Fanfaren. Bemerkenswert ist schließlich die Bühnenmusik und der langsam stärker werdende Gesang der aus der Bühnentiefe kommenden Pilgerchöre. Hier entstand ein wunderbar homogener Klangraum. Tampere hat seine junge Wagner-Tradition mit einem guten „Tannhäuser“ fortgesetzt.
(Fotos in der Bildergalerie)
Klaus Billand