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Flensburg

FLENSBURG/ Zirkus Charles Knie

FLENSBURG/ Zirkus Charles Knie: 
100.000 Liter Emotionen … wenn Wasser zur Show wird !

8. Mai 2024

 

Wenn Sie denken, Sie haben in Sachen Zirkus schon alles gesehen, besuchen Sie in den Zirkus Charles Knie, der Sie schnell eines besseren belehrt. Direktor Sascha Melnjak vergleicht seine aktuelle Produktion gerne mit den großen stationären Musical Shows und kann da – und das auf Reisen durch die deutsche Provinz – absolut mithalten. Einzig am Sound ließe sich idealerweise noch optimieren, denn die Tonqualität lässt, zumindest von meinem Sitzplatz aus, Wünsche offen. 

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Die unvergleichliche Wassershow (Foto: Zirkus Charles Knie GmbH)

Es geht modern und rasant zu an diesem Premierenabend auf der Flensburger Exe. Statt auf eines Orchesters oder einer Band setzt der Zirkus Charles Knie auf ein Halbplayback mit exquisitem Live-Gesang (Liudmila Vrinceanu), einem brillant tanzenden Ballett und eine einzigartige Wassershow, die mit ihren bis zu 15 Meter hohen Fontänen und perfekt illuminierte einen eigenen künstlerischen Höhepunkt bildet. Der Font Màgica in Barcelona lässt grüßen. Alleine diese Performance wäre schon den Besuch wert, aber es gibt in der Show auch noch ganz ausgezeichnete Artisten. 

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Veronika mit der Water Bowl (Foto: Zirkus Charles Knie GmbH)

Nach dem Opener erleben wir Veronika in einem überdimensionalen Wasserglas und an den Strapaten. Sie versteht es, auch den letzten vielleicht vom verzögerten Einlass und der extrem langen Warteschlange noch leicht genervten Zuschauer in eine scheinbar unbeschwerte Welt zu entführen. Mit ihr erleben wir, musikalisch begleitet von einer Sängerin, einige sehr poetische Momente. Sergio Paolo begeistert beim Bounce-Juggling. Mit einer gehörigen Prise Humor hüpft, springt und tanzt er, während er Flummis auf den Boden wirft und diese gekonnt wieder auffängt. Das macht Laune! Nancy und Dimitri Stauberti gehören zu den wenigen Artisten, die sich an das extrem schwierige, gefährliche und kräftezehrende Genre der Perche-Artistik heran wagen. Dimitri balanciert dabei auf seinem Kopf eine bis zu fünf Meter lange Stange, auf welcher Nancy verschiedenste Kunststücke vollbringt. Für diese Performance erhielten die beiden 2018 den Silbernen Clown beim Zirkusfestival von Monte Carlo. Laura Urunova nutzt das spielerische Interesse ihrer Papageien für einige lustige Darbietung in der Manege und lässt die imposanten farbenfrohen Tiere auch mehrere Runden über den Köpfen der Zuschauer durch das Zirkuszelt kreisen. Im zweiten Teil sehen wir Laura später mit einer amüsanten Hundedressur wieder. Hoch unter der Kuppel präsentieren Julia und Kevin an roten Tüchern zum Livegesang der über dem Artisteneingang platzierten Sängerin eine Liebesgeschichte, bei der Kraft und Eleganz dominieren. Der Kontorsionist Lorenzo Bernardi versetzt das Publikum mit seiner extremen Beweglichkeit ins Staunen. Nur durch seine Bisskraft hält er sich schließlich mit den Zähnen in der Luft und hat dabei zwischen seine Zehen einen Bogen geklemmt. Mit dem anderen Fuß spannt er einen Pfeil und bringt mit einem gezielten Schuss einen Luftballon zum Platzen. Devin de Bianchi verzaubert mit seinen eleganten Meisterleistungen im permanenten Handstand und wird dabei optisch effektvoll von Wasserfontänen in Szene gesetzt. Die Gruppe Argendance fasziniert mit einer temperamentvollen südamerikanischen Tanzshow, bei der sie Trommeln und Bolas, einst Wurfgeschosse für die Jagd, effektvoll zum Einsatz bringt. Die Skating Ernestos sorgen mit ihrer rasanten Rollschuhdarbietung auf einen kleinen runden Podest für weiteren Schwung, bevor es beim Höhepunkt der Darbietung der Truppe Robles schließlich ganz still wird, denn für ihre einmalige 7-er Pyramide, in der sie das Hochseil in zehn Metern Höhe überqueren, können Störgeräusche und laute Musik die Kommunikation der Artisten beeinträchtigen. Ein sehr moderner Clown, der im Laufe des Abends immer wieder auftritt und auch das Publikum in seine Nummern mit einbezieht, ist Michael Cadima. Nicht zuletzt die verschiedenen Tanzeinlagen der Ballettgruppe in ihren prächtigen und äußerst phantasievollen Kostümen machen den Abend zu einem unvergleichlichen Erlebnis. 

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Eines von unzähligen höchst aufwendige Kostümen (Foto: Zirkus Charles Knie GmbH)

Noch bis November 2024 tourt diese Produktion durch die Lande. Weitere Informationen und Daten finden Sie hier: www.zirkus-charles-knie.de

 

Marc Rohde

FLENSBURG/ Stereo: DER SPELUNKENWIRT

FLENSBURG/ North German Performing Arts Youth Company: 
DER SPELUNKENWIRT
Ein getanzter Krimi nach einer Idee von Benjamin Kühn und Denison Pereira da Silva
3. Mai 2024

 

Schwülwarm ist es im Club Stereo am Flensburger Hafen. Nebenan hat erst am vergangenen Wochenende eine der letzten Spelunken der Stadt für immer geschlossen und soll nach einer aufwändigen Sanierung des historischen Gebäudes in ein Café umgewandelt werden. Doch die North German Performing Arts Youth Company lässt in ihrem neuesten Projekt authentisches südamerikanisches Spelunkenfeeling aufkommen. 

Aktuell zwölf Teilnehmende im Alter von zehn bis zwanzig Jahren aus fünf Nationen (Deutschland, Rumänien, England, Italien und Brasilien) werden in der NYC auf professionellem Niveau ausgebildet und erhalten so die Grundlage für eine berufliche Karriere in der Welt des Tanzes. Denison Pereira da Silva, Choreograph und künstlerischer Leiter, ist von der Motivation seiner jungen Kompagnie begeistert und findet es beeindruckend, mit welcher Hingabe und Freude die Jugendlichen trainieren und wie schnell sie sich weiterentwickeln. Sie alle haben einen ganz individuellen Background und harmonieren trotz der großen Altersunterschiede perfekt miteinander.

Ziel der als eingetragener Verein agierenden Organisation ist es, Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichsten sozialen und nationalen Hintergründen in ihrer persönlichen und künstlerischen Entwicklung zu fördern. Letztendlich geht es auch darum, den künstlerischen Nachwuchs in Schleswig-Holstein zu unterstützen. 

Die Veranstaltung ist bis auf den letzen Platz ausverkauft, denn die optisch schön gestalteten und mit ungewöhnlich wenig konkreten Informationen aufwartenden Plakate, die in der Stadt ausgehängt waren, machten neugierig. Mich ja auch. 

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Sänger Marius Rothe (links) mit dem begeisternden Ensemble (Foto: Grauton)

Immer öfter berichtet die Zeitung in einer Kleinstadt über mysteriöse Todesfälle (hinreißend: Louise Sitzwohl als kindlicher Zeitungsträger). Juwel Margot (Thea Nissen), eine attraktive argentinische Frau und ehemalige Tangotänzerin, zog vor Jahren in diese Stadt und eröffnete eine Bar mit dem Traum von finanzieller und persönlicher Unabhängigkeit. Doch nun ist ihr Geschäft zu einer Spelunke verkommen, zu deren Stammkundschaft auch der elegante, aber alkoholabhängige Typ (Allan Monti) gehört, der dort wiederholt seine streng religiöse Frau betrügt. Oder der Kellner Otto, höflich, zuvorkommend und seiner angebeteten Margot treu ergeben. Dass die Mordfälle auch immer wieder im Umfeld der Spelunke geschehen, ist wohl auch keine gute Werbung für das Lokal. Mit einer Cabaret-Show will Otto die Spelunke vor dem Bankrott retten: Sein Gesang, Margots Tanzdarbietungen und junge, hübsche Damen, die das Risiko dieses Arbeitsplatzes nicht scheuen, sollen Geld und neue Kundschaft bringen. Es wird eine turbulente Nacht, in der der Typ nicht nur der Bar-Chefin Margot Avancen macht, sondern auch der Tänzerin Ninette (Mette-Maria Jensen). Dies entfacht doppelte Konkurrenzgefühle: Zwischen den beiden Frauen, aber auch zwischen Margots Verehrer Otto und ihm selbst. Der Auftritt der eifersüchtigen Gattin des Typen, Hannelore (Majra Andresen, die auch mit einer Gesangsnummer aufwartet), sowie das Mädchen Löckchen (Alice Campelo), aufreizend, aber naiv, schaukeln das Geschehen zusätzlich hoch.

Nur gut, dass sich Kommissar Dudelsack (Alexandru Moldovan), auf der Suche nach dem psychopathischen Mörder, selbst unter die illustre Gesellschaft gemischt hat.

Doch auch er lässt sich von der charmanten Blumenverkäuferin Hanna (Ludovica Fano) von seiner Arbeit ablenken. Es wandern die Frauen, aber auch die Trinkgläser reihum und durcheinander. Als dann ausgerechnet die sogenannte „Diva der Nacht“ Juwel Margot selbst zum Opfer eines vergifteten Drinks wird, klicken endlich die Handschellen.

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Schlussapplaus (Foto: Marc Rohde)

Die Tänzerinnen und Tänzer begeistern in rasanten Ensembleszenen und glänzen immer wieder solistisch mit ihrer individuellen Klasse. Neben diesem bemerkenswert professionell auftretendem Ensemble begeistert insbesondere der Bariton Marius Rothe in seiner Rolle als Spelunkenwirt Otto mit seinen zahlreichen Gesangseinlagen. „Willkommen, Bienvenue, Welcome!“ aus dem Musical Cabaret zu Beginn der Tanzrevue weckt das Verlangen, auch dieses Bühnenwerk einmal mit so guten Sängern wie ihn erleben zu dürfen. Begleitet wird er am Klavier vom Korrepetitor des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters Peter Geilich.

Die Show entstand nach einer Idee von Benjamin Kühn und Denison Pereira da Silva und wurde von Julia Gollner und Daniela-Alexandra Pascu-Bruhn arrangiert. 

Das begeisterte Publikum feiert schließlich alle Akteure frenetisch und bezeugt, dass die North German Performing Arts Youth Company eine wertvolle Bereicherung des kulturellen Lebens für die Region darstellt. 

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Ungewöhnliche Location: Der Club Stereo in Flensburg (Foto: Marc Rohde)

Auch kann ich mir weitere kulturelle Veranstaltungen in dieser sonst zu später Stunde als Disco beliebten Location vorstellen. Ähnlich wie das hr-Sinfonieorchester in Frankfurt Kammerkonzerte in Bars und Clubs veranstaltet und auf diese Weise erfolgreich neue Publikumsschichten für seine Konzerte gewinnt, könnte ich mir auch in Flensburg und insbesondere in diesem Club in prominenter Hafenlage ähnliche Formate vorstellen. Die Organisatoren des Spelunkenwirts zeigen sich von der großartigen Unterstützung des Stereos in jedem Fall begeistert. 

Marc Rohde

FLENSBURG/ Landestheater: DER GOLDENE BRUNNEN

FLENSBURG/ Landestheater: DER GOLDENE BRUNNEN

2. Vorstellung am 5. April 2024

Im Oktober 2023 fand als Koproduktion des Theaters Erfurt und des Pfalztheaters Kaiserlautern die Uraufführung dieser Familienoper nach einem Märchenspiel von Otfried Preußler statt. Exakt 100 Jahre nach dessen Geburtstag. Die Librettistin Friederike Karig führte sowohl in Kaiserslautern als auch bei der jüngsten Produktion am Schleswig-Holsteinischen Landestheater in Flensburg Regie.

Der Brunnen eines russischen Dorfes ist ausgetrocknet. Die Mädchen schleppen Wasser von weither herbei, während die Jungen versuchen, den Brunnen tiefer auszugraben, um an Wasser zu kommen. Die Großmutter ermahnt die jungen Leute, den Brunnen in Ruhe zu lassen. Er sei krank und brauche seine Zeit, um gesund zu werden. Sie weiß, wie der Brunnen geheilt werden kann: Jemand muss ihm eine Kanne Wasser vom goldenen Brunnen holen, doch der Weg dorthin ist voller Gefahren. Nur das Mädchen Maschenka ist bereit, diese auf sich zu nehmen. Die Großmutter gibt ihr drei Wunschhölzchen mit, die ihr in Gefahr helfen sollen.

In den schwarzen Wäldern nehmen die Häscher des Wolfskönigs zunächst Mischa Holzbein, einen alten Soldaten, und dann das Mädchen Maschenka in Gefangenschaft. Maschenka entzündet eines der Wunschhölzchen und wünscht sich, dass Mischa und sie das Reich des Wolfskönigs ungehindert verlassen können. Der Wunsch geht in Erfüllung! Bei einer Rast legt sich die erschöpfte Maschenka schlafen, während Mischa mit seinem Hunger kämpft. Er kann der Versuchung nicht widerstehen und spielt heimlich mit einem von Maschenkas Wunschhölzchen und entzündet versehentlich das Hölzchen. Stattdessen legt er ein ganz normales Streichholz in die Schachtel.

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Im Nebelwald lauern schaurige Gestalten auf Mischa und Maschenka (Foto: Thore Nilsson)

Am nächsten Morgen ziehen die beiden weiter in den Nebelwald. Schrätzel, Onkelchen und Tantchen, drei böse Schrate, locken Maschenka und Mischa in eine Waldhütte, wo sie erfrieren sollen. Maschenka muss ein weiteres Wunschhölzchen entzünden, um Mischa und sich aus dem Nebelwald zu befreien.

Schließlich kommen Maschenka und Mischa zum goldenen Brunnen, der von einem Drachen mit zwei Köpfen namens Pimpusch und Pampusch bewacht wird. Im Angesicht des Ungeheuers möchte Maschenka das letzte Wunschhölzchen entzünden, doch es bleibt wirkungslos – Mischa gesteht und ist bereit, sich vom Drachen fressen zu lassen, damit Maschenka zum Brunnen gehen kann. Pimpusch und Pampusch stürzen sich schließlich auf Mischa. In diesem Moment gelingt es der mutigen Maschenka, den Drachen niederzustrecken. Der Weg zum goldenen Brunnen ist nun frei und schließlich gelingt es auch, den Brunnen um Dorf wieder zum Sprudeln zu bringen.

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Dieser schreckliche Drache muss besiegt werden (Foto: Thore Nilsson)

Der 1987 geborene Komponist Peter Leipold hat eine authentische lautmalerische Tonsprache im Stil der Spätromantik gefunden. Seine Melodien erinnern an Engelbert Humperdinck und Leoš Janáček, vereinzelt musste ich auch an Philip Glass und Johann Strauß denken. Mit etwa 65 Minuten Spieldauer ist das Werk dabei kompakt und kindertauglich. Martynas Stakionis am Pult des Schleswig-Holsteinischen Sinfonieorchesters sorgt für teils Filmmusik-artigen Sound und Spannung bis zum Schlussapplaus.  

Gesanglich stechen aus dem spielerisch bestens aufgelegten Ensemble vor allem Małgorzata Rocławska mit ihrem klaren, beweglichen Sopran als Maschenka und Kai-Moritz von Blanckenburg mit seinem beeindruckenden Bariton als leicht einfältiger, aber liebenswerter Mischa heraus. Dabei glänzt dieser noch mit sehr guter Textverständlichkeit. Auch Evelyn Krahe als Großmutter vermag mit ihrem profunden Alt zu faszinieren. Optisch wirkt sie für eine Großmutter etwas zu frisch. In jeweils mehreren Rollen sind Anna Avdalyan (Nina/Schrätzel), die vor allem als Schrat komödiantisch in den Vordergrund tritt, Nadia Steinhardt als Njura / Tantchen, Timo Hannig als Kostja / Wolko / Onkelchen, Dritan Angoni als Petja / 1. Häscher / Pimpusch und Philipp Franke als Mitja / 2. Häscher / Pampusch im Einsatz. 

Die Inszenierung von Friederike Karig setzt auf märchenhafte erzählerische Momente, die in historisch ländlichen und den teils sehr phantasievollen Kostümen und im stilisierten Bühnenbild von Stephan Anton Testi eine erfrischende Wirkung erzielen. Die zahlreichen Kinder im Publikum gehen ihrerseits auf die Handlung ein und rufen den Sängern schon mal gute Ratschläge auf die Bühne oder beginnen spontan zu applaudieren, als Maschenka den Drachen besiegt. Tatsächlich scheinen mit dieser Produktion einige Kinder zum ersten Mal ins Theater gelockt worden zu sein, wie die Frage eines kleinen Jungen an seine Mutter vermuten lässt. „Haben wir Plätze reserviert?“ erübrigt sich im Stadttheater ja zum Glück. 

Ob die begleitenden Erwachsenen den Kindern einfach das schöne Märchenerlebnis gönnen, den ausgetrockneten Brunnen im Kontext mit aktuellen Klimadebatten thematisieren wollen oder neueste politische Ereignisse in Zusammenhang mit dem Ort der Handlung diskutieren mögen, bleibt ihnen überlassen.

Marc Rohde

FLENSBURG/ Stadttheater: OLGA SCHEPS

Bereits seit 1965 gastieren in Flensburg auf Einladung der Musikfreunde Flensburg e.V. regelmäßig namhafte Künstlerinnen und Künstler. So passiert es, dass die gefeierte Pianistin Olga Scheps ihr Recital mit Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven und Frédéric Chopin nicht nur im Prinzregententheater in München und in der Kölner Philharmonie zu Gehör bringt, sondern auch im beschaulichen Stadttheater Flensburg. Obwohl das Haus nur etwa 500 Plätze fasst, der Steinway Flügel offenbar aus dem 230 Kilometer entfernten Schwerin ausgeliehen wurde, und die Anreise der Künstlerin in Deutschlands Norden auch etwas beschwerlicher ist, gestalten sich die Eintrittspreise in Flensburg deutlich günstiger als in den größeren Städten. Großer Dank an den Veranstalter.

© Marc Rohde
Ruhe vor dem Sturm: Pianistin Olga Scheps begeistert in Flensburg – © Marc Rohde

Im Zentrum der Romantik fühle sich Scheps immer besonders wohl, heißt es. Dementsprechend sorgt die Programmauswahl hoffentlich nicht nur für eine Wohlfühlatmosphäre beim Publikum, sondern auch bei der Künstlerin selbst, die in Flensburg allerdings auch mit allerlei Unruhe (Husten, Niesen, Bonbonpapierknistern, zuschlagende Türen) im Auditorium konfrontiert wird. Dies ließ ihre Konzentration zum Glück nicht erkennbar leiden. 

Das Programm beginnt mit Ludwig van Beethovens Klaviersonate Nr. 8 c-Moll op. 13 „Pathétique“. Olga Scheps begeistert durch dramatische Intensität und Ausdruckskraft. Die düstere Atmosphäre, die durch den Einsatz von starken Dynamiken, kontrastierenden Abschnitten und leidenschaftlichen Ausdrucksmitteln erzielt wird, kommt exzellent zur Geltung. Leider ist während dieser Interpretation ein permanentes, von mir nicht eindeutig identifizierbares Störgeräusch (Lüftung?) im Saal präsent. In der folgenden, ebenfalls von Beethoven stammenden Klaviersonate Nr. 31 As-Dur, op. 110 besticht die Pianistin durch emotionale Tiefe und das intensive Ausloten tiefer spiritueller Dimensionen. Ob die Welt außerhalb dieses Theatersaales noch existiert, spielt in diesem Moment keine Rolle, so intensiv gelingen die Momente, die die Zuhörer mit der Kölner Musikerin erleben dürfen.

Auch die Werke von Chopin sind für die Künstlerin attraktiv, da sie ihr Klavier bei diesen ebenfalls wie eine menschliche Stimme erklingen lassen könne. Die vier Balladen bilden keinen zusammenhängenden Zyklus und doch gehören sie irgendwie zusammen, zumal sie zu den bedeutendsten Kompositionen Chopins zählen. Ich möchte das Programm, das ich sehr genossen habe, nicht sezieren und nenne daher kurz die Abfolge: Ballade Nr. 1, g-Moll, op. 23, Ballade Nr. 2, F-Dur, op. 38, Ballade Nr. 3, As-Dur, op. 47, Ballade Nr. 4, f-Moll, op. 52. Hierbei zeigt Olga Scheps immer wieder, dass sie nicht nur technisch in höchsten Maße versiert ist, sondern am Klavier wahrlich eine große Bandbreite an Emotionen durchlebt und jederzeit dazu fähig ist, musikalisch eine bewegende Geschichte zu erzählen. Von sanften und träumerischen Momenten erleben wir dabei eine dramatische Entwicklung bis hin zu triumphierenden Momenten, die dann alsbald in melancholische Reflexion übergehen.

Als Zugabe erklatscht sich das Flensburger Publikum das Precipato aus Sergej Prokowjews Sonate für Klavier Nr. 7 B-Dur op. 83. Die schnellen und rythmisch herausfordernden Passagen verlangen der Pianistin höchste technische Virtuosität ab. Die Musik treibt voran, oft mit einer pulsierenden Motorik, die den Eindruck von Geschwindigkeit und Dringlichkeit vermittelt.

Die harmonische Sprache ist charakteristisch für Prokofjews Stil, wobei dissonante Klänge und unerwartete Modulationen eine wichtige Rolle spielen und durch Olgas Hände zur akustischen Ekstase führen.

Marc Rohde

FLENSBURG/ Landestheater: DER FEUERVOGEL / FANTAISIE SYMPHONIQUE

Vergangene Spielzeit bekam ich von einem Freund im etwa 900 Kilometer entfernten Augsburg den Hinweis, dass es bei uns in Flensburg eine sehr sehenswerte Ballettaufführung gäbe. Terminlich hatte es damals bei mir nicht gepasst, aber zumindest das tänzerische Highlight dieser Saison wollte ich mir nicht entgehen lassen.

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Das Ballettensemble des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters in „Fantaisie Symphonique“ (Foto: Henrik Matzen)

Im ersten Teil des choreografischen Doppelabends übersetzt Emil Wedervang Bruland Kurt Weills 2. Sinfonie („Fantaisie Symphonique“) in eine zeitgenössische Choreografie. Weills bedeutendstes, viel zu selten gespieltes Orchesterwerk wird von Sarkasmus, Wut, Angst, schwermütiger Lyrik und auch Traurigkeit geprägt, die klar und brillant in der Partitur zum Ausdruck kommen. Bruland schafft ein etwa halbstündiges abstraktes Tanztheater für sein kleines aber feines Ballettensemble, das unglaublich gut mit der Musik harmoniert und in der jede Szene harmonisch in die nächste übergeht. Im ersten Satz dienen den elf Tänzern zwei Tische als Bühnenbild und Requisiten. Diese werden teilweise aktiv ins Geschehen eingebunden und wecken so auch schon mal kurz Assoziationen an einen OP-Tisch, auf dem zwei Menschen untersucht und dann weggekippt werden. Ob dies eine persönliche Assoziation des Rezensenten mit dem heutigen Umgang von Lebewesen ist, oder so gedacht war, bleibt ein Geheimnis. Im zweiten Satz hatte ich in einer Szene Gedanken ans ‚in sich gefangen sein und nicht vorankommen können“ und in einer anderen Sequenz an ein Strategiespiel, in dem Menschen wie Schachfiguren aufgestellt (und somit also manipuliert) werden. Dabei war die Darbietung auf der Bühne äusserst ansprechend und ästhetisch. Im dritten und letzten Satz schließlich meinte ich etwas wie Gottesanbetung und Ekstase wahrgenommen zu haben, was ich für mich als Happy End deute. Die Kostüme von Ausstatter Stephan Anton Testi bestehen für die gesamte Company aus kurzen schwarzen Hosen und schwarzen Shirts mit einem weißen Sakko, welches für jeden Tänzer und jede Tänzerin individuell durch mehr oder weniger starke schwarze Elemente bemalt ist.

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Szene aus Emil Wedervang Brulands „Der Feuervogel“ in Flensburg – alternierende Besetzung (Foto: Henrik Matzen)

 

Nach der Pause kommt schließlich Igor Strawinskis „Der Feuervogel“ in der reduzierten Orchesterfassung von Henning Brauel zur Aufführung. Dieses Werk habe ich zuletzt vor dreißig Jahren im St. Petersburger Mariinski Theater gesehen und entsprechend neugierig war ich auf die Flensburger Version. Eine direkte Gegenüberstellung wäre weniger sinnvoll als Äpfel mit Birnen vergleichen zu wollen, aber um es auf den Punkt zu bringen: Bruland ist eine sehr konzentrierte und mitreißende Interpretation des Werks gelungen, die seine aus nur elf Tänzern bestehende Company tänzerisch brilliant umsetzt. Jeder Tanzschritt und jede Bewegung trägt zur Erzählung bei und verleiht dem Stück eine zusätzliche Tiefe.

Der Feuervogel, ein prächtiges und rätselhaftes Wesen, ist fester Bestandteil russischer Volksmärchen und wurde zum künstlerischen Symbol des Fin de Siècle. Strawinskis berühmte spätromantische Version dieser Geschichte beeinflusste die Ballettwelt des 20. Jahrhunderts nachhaltig.

Das Bühnenbild (ebenfalls von Testi) besteht aus bemalten Stoffstreifen, die die Bühne umschließen. Zusätzlich gibt es einen kleinen Ring mit weiteren Stoffstreifen, die einen Käfig andeuten und aus dem die schöne Zarewna entsteigt. Die Kostüme des Feuervogels und seinem Gefolge sind in klassischem Rot gehalten, während Kastschei und die Dämonen schwarz gekleidet und weiß maskiert sind.  

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Perla Gallo vor dem Auftritt in ihrer Garderobe. Sie fasziniert in der Titelrolle (Foto: Instagram/privat)

Perla Gallo beeindruckt in der Titelrolle. Mit ihren anmutigen Bewegungen bringt sie die Magie und die Kraft des Feuervogels auf eindrucksvolle Weise zum Ausdruck. Ihr tänzerisches Können und ihre Bühnenpräsenz machen sie zur perfekten Besetzung für diese Rolle, in der sie sowohl solistisch als auch im fürsorglichen Zusammenspiel mit dem stattlichen Yun-Cheng Lin als Iwan Zarewitsch und im Konflikt mit Kastschei (dämonisch und furchteinflößend von Ben Silas Beppler interpretiert) brilliert. Zart und bezaubernd gestaltet Meng-Ting Wu die schöne Zarewna. Alternierend als Gefolge des Feuervogels und als Dämonen sind mit starker Bühnenpräsenz Anna Schumacher, Yi-Han Hsiao, Riho Otsu, Risa Tero, Chu-En Chiu, William Gustavo Barros, Matteo Andrioli und der Gast Emanuele Senese im Einsatz.

Das Schleswig-Holsteinische Sinfonieorchester trägt unter der Leitung von Sergi Roca Bru durch seine konzentrierte Begleitung maßgeblich zum Gesamteindruck des Abends bei und entfaltet insbesondere im Feuervogel einen mystischen Klangteppich, wohingegen es in Weills Sinfonie auch mit schmissigen Rythmen aufwartet. 

Standing Ovations im ausverkauften Haus dieser Repertoirevorstellung.

Marc Rohde

FLENSBURG/ Deutsches Haus: RAVNEN – Gastspiel der Jyske Opera

In Flensburg zählen sich etwa zwanzig Prozent der Bevölkerung zur dänischen Minderheit. Darüber hinaus wohnen über 2.000 dänische Staatsbürger in der Grenzstadt. So verwundert es nicht, dass das kulturelle Leben stark von dänischen Einflüssen geprägt ist und die Dänische Landesoper (Den Jyske Opera) aus Aarhus regelmäßig in der Fördestadt zu Gast ist.  

Von dem 1805 in Kopenhagen geborenen Komponisten Johann Peter Emilius Hartmann sind bestenfalls – und dies wohl auch weniger im deutschsprachigen Raum –  einige Lieder und seine Oper „Liden Kirsten“ bekannt. In den Augen des Regisseurs Philipp Kochheim ist Hartmanns „Ravnen“ (=der Rabe) diesen berühmteren Werken musikalisch deutlich überlegen. Das Libretto von Hans Christian Andersen bietet einige dramatische Szenen, ist aber – vor allem in den gesprochenen Dialogen – bei weitem nicht auf dem gleichen Niveau. Es verwirrt mit einer Abfolge von stereotypen Szenen, unglaubwürdigen Situationen und oberflächlichen Charakteren. Nach heutigen Maßstäben wirke „Ravnen“ unaufführbar und gleiche einer Parodie auf die Absurditäten des Musiktheaters des 19. Jahrhunderts. Das Leitungsteam ist davon überzeugt, dass die wunderschöne Partitur eine Wiederbelebung verdient hat, und so entschloss man sich, der Handlung eine neue Deutung zu verleihen. Der Fokus im so veränderten und von Kochheim mit neuen Sprechtexten versehenen Werk liegt auf der Figur der Armilla, die als heimliches Selbstporträt des sexuell isolierten Hans Christian Andersen gelte. Um ihr psychologisches Dilemma noch weiter zu entwickeln und die Geschichte vollständig aus Armillas Perspektive zu erzählen, wurden dem Werk einige fesselnde Ausschnitte aus Hartmanns Balletten „Valkyrien“ und „Thrymsqviden“ als kurze Tanzassoziationen hinzugefügt. 

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Die reale Welt von Armilla ist einengend und farblos
Foto: Anders Bach

Armilla ist die Tochter des lieblosen Norando. Dieser ist enttäuscht darüber, dass sie aufgrund ihres Geschlechts sein Geschäft später nicht wird übernehmen können. Schlimmer noch: Sie ist körperlich behindert und daher für den Heiratsmarkt ungeeignet. Da sie seit dem Tod ihrer Mutter vor langer Zeit jeglichen Kontakt zu Frauen verloren hat, ist sie in einem kleinen, fensterlosen Raum eingesperrt, wo sie von gesichtslosen Schergen und Schlägern, die für ihren furchterregenden Vater arbeiten, gequält wird.

Ohne Möglichkeit, Kontakte zu knüpfen oder ihren Körper auf irgendeine Weise entdecken zu können, klammert sie sich an ihre einzigen Begleiter: einen Stapel alter Bücher und ihre japanische Puppe. Angetrieben von einer lebhaften Fantasie träumt sie sich aus ihrem bürgerlichen Gefängnis heraus und erschafft sich eine Gedankenwelt, in der sie schön und klug ist und in einer romantischen Dreiecksbeziehung verstrickt ist. Ähnlich wie ihre berühmte Schwester im Geiste, Wagners Senta aus „Der fliegende Holländer“, stellt sie sich einen Mann vor, krank wie sie selbst, den nur ihre reine Liebe vor dem dunklen Fluch des toten Raben retten kann.

Das Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic erinnert bewusst an die melancholisch wirkenden Gemälde leerer Wohnungen des dänischen Malers Vilhelm Hammershøi. Zu Beginn der Oper ist Armillas kleines, enges weiß und karg eingerichtetes Zimmer zu sehen, welches ebenfalls am Ende, quasi im Epilog, wieder zu sehen ist. Die eigentliche märchenhafte Geschichte spielt zwischen diesen Szenen in einem weit größeren, über die gesamte Bühnenbreite reichenden und phantasievoll ausgestatteten Raum ab. Überhaupt entzückt die detaillierte und phantasiereiche Inszenierung Philip Kochheims trotz der sprachlichen Barriere (Dialoge und Gesang in dänischer Sprache, dazu dänische Übertitel für den Gesang) ungemein. Auch das immer noch leicht angestaubt wirkende Sujet dieses Opernmärchens für Erwachsene mit seinen Meeresnymphen und Vampiren erfreut das Publikum auf herzerfrischende Weise. Die liebevoll gestalteten Kostüme von Ariane Isabell Unfried und die hervorragende Lichtregie von Anders Poll tragen das ihrige dazu bei.

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Das farbenfrohe Reich der Phantasie erstreckt sich hingegen über die volle Bühnenbreite
Foto: Anders Bach

Die Koloratursopranistin Sibylle Glosted verkörpert die Armilla mit stets sicher geführter, reiner und fokussierter Stimme, sowie großartigen schauspielerischen Qualitäten. Die Transformation vom eingeschüchterten Mädchen zur Männer als Marionetten benutzenden selbstbewussten Frau in der Phantasiewelt gelingt ihr ausgezeichnet. Die Sängerdarstellerin trägt nicht zuletzt durch ihre Bühnenpräsenz maßgeblich zum äußerst gelungenen Abend bei. Als ihre männlichen Mitspieler buhlen der Bariton Teit Kanstrup als Prins Millo und Tenor Christian Damsgaard um ihre Gunst. Darstellerisch hinterlassen beide einen zurückhaltenderen Eindruck als die Protagonistin, aber vokal bleiben die Männer ihren Rollen nichts schuldig. Steffen Bruun als Norando wirkt stimmlich ein wenig blass und gibt eher den emotionsarmen Vater als einen wahren Bösewicht. 

Als Tänzerin (bzw. japanische Puppe) sticht Keiko Moriyama solistisch hervor. Die kleineren Gesangspartien werden von Søren Ruby (Tartaglia), Mo Chara (Deramo), Estrid Molt Ipsen, Eline Denice Risager, Lina Valantiejute (Havnymfer) und Sophie Thing-Simonsen (Vampyr) gegeben. 

Für mich ist es eine positive Überraschung, dass das Sønderjyllands Symfoniorkester zwar zu akustischen Ausbrüchen (etwa in der Gewitterszene) in der Lage ist, aber trotz zwischen Bühne und Zuschauern im Parkett platzierten Musikern (das Haus hat keinen Orchestergraben), zu zarten und leisen Tönen fähig ist und die Sänger nie übertönt. Dabei gelingt es den mit warmem Klang aufspielenden Musikern unter der engagierten Leitung von Christofer Lichtenstein die Sänger stets konzentriert und mit der nötigen Spannung zu begleiten. Großes Lob dafür, denn in Sinfoniekonzerten in diesem Hause habe ich schon mehrmals Angst um meine Trommelfelle gehabt. 

Obwohl ich keine der Melodien kannte, hatte ich während der Vorstellung oft ein vertrautes Gefühl. Einiges in dieser 1830-1832 komponierten Oper erinnerte mich an Webers Freischütz, obwohl man Hartmann eine eher klassizistische Grundhaltung, die manchmal an Felix Mendelssohn Bartholdy gemahnt, oder mit Robert Schumanns Musik verwandt sei, nachsagt. 

Marc Rohde

 

Einen Mitschnitt einer Aufführung dieser Serie können Sie hier auf der Internetseite von Danmarks Radio hören und sich gerne auch den Trailer zur Produktion ansehen:

FLENSBURG/ Landestheater: A STREETCAR NAMED DESIRE. Premiere

Ob der eher mäßige Vorverkauf dieser Premiere mit dem in der Region äußerst dürftigen öffentlichen Personennahverkehr zusammenhängt, lässt sich nicht genau sagen. Vermutlich ist es weniger der fehlende Bezug der Flensburger zur Straßenbahn (Streetcar), als die Skepsis gegenüber dem der breiten Masse eher unbekannten Komponisten André Previn.

Previn hat in seiner Partitur die Erfahrungen aus seinen eigenen Musicals und Soundtracks mit der spätromantischen und klassisch-modernen Formensprache verknüpft. Besonders emphatisch hat er hierbei das traumatisch gebrochene Bewusstsein der Hauptfigur Blanche DuBois herausgearbeitet. 

Die Sopranistin Amelie Müller ist immer ein Garant für einen gelungenen Opernabend. In einem Interview mit der örtlichen Presse wurde sie kürzlich sogar schon als Opernstar gehandelt. Dies sagt allerdings mehr über die Qualität der Redaktion aus, als über den Bekanntheitsgrad der Sängerin. Das Potential zum Star hat sie ohne Zweifel und mit der Gestaltung der feinsinnigen, am Leben gescheiterten Südstaaten-Lady Blanche duBois am Schleswig-Holsteinischen Landestheater legt sie erneut eine gesangliche und darstellerische Meisterleistung ab. Es vergeht kaum eine Minute, in der sie in diesem Stück nicht auf der Bühne steht und so erleben wir an diesem Abend Müllers modulationsfähigen Sopran in einer schier unglaublichen Bandbreite von emotionalen Eruptionen bis hin zu verklärter seelischer Entrücktheit. Schauspielerisch findet die Sopranistin ebenfalls stets die richtigen Mittel für jede Situation.

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Amelie Müller lässt als Blanche DuBois keine Wünsche offen – (c) Matzen

Die Schwester von Blanche, bei der diese Zuflucht vor ihrer eigenen Vergangenheit sucht, gestaltet die Sopranistin Malgorzata Roclawska. Dem devoten Charakter der Rolle entsprechend, gibt sie die Unterdrückte, die sich zwischen ihrer Schwester und ihrem Mann aufreibt und vermag dabei stimmlich stets den passenden Ton zu treffen. 

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Amelie Müller und Małgorzata Rocławska als ungleiche Schwestern – (c) Matzen

Ihren vulgären und gewalttätigen Gatten Stanley Kowalski spielt der gesundheitlich angeschlagene Bariton Philipp Franke. Seine Stimme verleiht dem an diesem Abend stumm agierenden Künstler der kurzfristig aus Wien angereiste Michael Mrosek, der diese Rolle bereits 2016 in Koblenz gesungen hat. Vokal bringt er kraftvoll die Brutalität und das Machogehabe des primitiven Arbeiters über die Rampe und lässt auch ab und an eine ordentliche Portion Verachtung mitschwingen. Leider wurde es versäumt, den Namen des Einspringers auf der im Theater ausgehängten Abendbesetzung zu ergänzen, so dass einzig die von der Operndirektorin vor der Vorstellung erfolgte Ansage Hinweise auf den Namen dieses exzellenten Sängers gibt.

Matthew Peña gestaltet Harold Mitchell, einen Pokerfreund von Stanley, anfangs rollengemäß zurückhaltend und blass. Er steigert sich im Laufe des Abends zu expressiven Ausbrüchen, in denen sein Charaktertenor eindringlich zur Geltung kommt und auch seine darstellerischen Qualitäten deutlich werden.

Von den kleineren Partien sei, nicht zuletzt wegen der maskenbildnerischen Meisterleistung, die mexikanische Blumenverkäuferin von Alma Samimi erwähnt. Sie verleiht dieser Figur auch vokal Charakter und verfügt dabei über eine bezwingende Bühnenpräsenz. Eva Schneidereit gestaltet die Nachbarin Eunice Hubbell mit Profil. Xiaoke Hu als Steve Hubell und Dritan Angoni als junger Kassierer komplettieren das Ensemble. 

Die Sänger verstehen es in der Inszenierung von Cornelia Repschläger ausgezeichnet, den Flensburger Frühling mit Temperaturen um den Gefrierpunkt und leichtem Schneefall in ein von schwüler Hitze und emotionalen Spannungen geprägtes New Orleans der 1940’er Jahre zu verwandeln. Die Regisseurin konzentriert sich eindrucksvoll auf die emotionalen Beziehungen der Protagonisten untereinander. Bis ins kleinste Detail zeichnet sie insbesondere den Charakter der Blanche, arbeitet aber auch die vielschichtigen Charaktere der anderen Figuren heraus. Diese sind einerseits Sinnbild für bestimmte Stereotypen, andererseits allesamt Individuen mit ihren ganz persönlichen Geschichten und Eigenheiten.

Die gesamte Oper spielt in der Zweizimmerwohnung von Stella und Stanley. Streng genommen bekommt das Publikum sogar nur eines dieser Zimmer zu sehen, denn das zweite ist lediglich durch eine Tür angedeutet. Die Wände bestehen in Angelika Höckners Bühnenbild aus lichtdurchlässigen Wellkunststoff-Elementen. Sie schaffen einerseits eine emotional unterkühlte Atmosphäre und schirmen gleichzeitig die sich ereignenden Dramen vor den Blicken der Außenwelt ab. Gleichsam wirkt das ganze Konstrukt aufgrund seiner Lumineszenz fragil, wie das Geflecht menschlicher Beziehungen an sich. Die werksgerechten, teils prächtigen Kostüme stammen von Ralf Christmann.

Die Szene, in der Stanley seine Schwägerin Blanche vergewaltigt, ist choreografiert (Nicola Mascia) und verliert dadurch ihre Brutalität. Dass Blanche unmittelbar vor diesem Akt durch die mit Nacktheit andeutender Unterwäsche bekleidete Stella ausgetauscht wird, mag eine wesentliche Aussage im Sinne Freuds sein, dient bei der ersten unbedarften Auseinandersetzung mit diesem Werk allerdings nicht unbedingt dem Verständnis. Gegen Ende der Oper wird eine Leuchtreklame mit der Aufschrift „DESIRED“ heruntergelassen, hinter der sich Blanche positioniert. Stellt Blanche das Objekt der Begierde da? Geht es in diesem Stück um ihre Wünsche und Sehnsüchte? Oder um (sich oft widersprechende) Wünsche und Sehnsüchte im Allgemeinen? Diese Fragen dürfen die Zuschauer mit auf den Weg nach Hause nehmen und ihre persönlichen Antworten darauf finden. 

Ingo Martin Stadtmüller führt sein Schleswig-Holsteinisches Sinfonieorchester sicher durch die emotionsgeladenen 2 3/4 Stunden und untermalt das Bühnengeschehen auf bestmögliche Weise. Er versteht sich dabei als wichtiger Partner der Sänger, die vokal stets vom Orchester getragen werden. Der Flensburger Generalmusikdirektor lässt Prévins Musik erstrahlen und in den richtigen Momenten beängstigend und bedrohlich wirken. Fragmente von Jazzmusik mit aufheulenden Klängen von Saxophon, Trompete und Klarinette charakterisieren die Südstaaten-Atmosphäre akustisch.

Marc Rohde

Urlaub in Deutschlands äußerstem Norden

Mehrere Monate lang habe ich als Gästeführer auf kulinarischen Stadtrundgängen Einheimische und Touristen durch die schöne Stadt Flensburg geführt und möchte Ihnen in diesem Artikel einige versteckte und weniger bekannte Ecken meiner Heimatstadt näher bringen. Über Jahrhunderte gehörte Flensburg zum dänischen Gesamtstaat und gilt nicht zuletzt deshalb auch heute noch als Deutschlands dänischste Stadt. Eine große hier lebende dänische Minderheit und viele Besucher aus dem Nachbarland versprühen an allen Ecken skandinavisches Flair.

(c) Marc Rohde

Blick auf den Hafen und das Ostufer mit der St. Jürgen Kirche

 

Bewegte Stadtgeschichte im Überblick

Im 12. Jahrhundert entstand die Siedlung am Ende der fischreichen Flensburger Förde und in unmittelbarer Nähe zum Ochsenweg, einer Handelsstraße, die von Wedel (bei Hamburg) bis nach Viborg im Norden verlief. Flensburg erhielt im Jahr 1284 das Stadtrecht und entwickelte sich schnell zur bedeutendsten Stadt im Herzogtum Schleswig. Die
damaligen Kaufleute betrieben regen Handel, unter anderem mit gesalzenem Hering. Nach kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Grafen von Holstein und den Hansestädten konnte sich Flensburg von der Vormacht Lübecks lösen und stieg im 16. Jahrhundert zur bedeutendsten Handelsstadt der dänischen Krone auf. Diese Blütezeit wurde 1626 durch den Dreißigjährigen Krieg beendet, dem 1712 die nordischen Kriege folgten. Nach dem Wiederaufbau folgte durch den Handel mit Norwegen und durch Walfang ein neuerlicher Aufschwung. Der ebenfalls auflebende Westindien-Handel führte zu einer weiteren wirtschaftlichen Blütezeit. Dänemark unterhielt Kolonien in der Karibik: die Inseln St. Croix, St. Thomas und St. John. Von dort gelangten Rohrzucker und Roh-Rum nach Flensburg und wurden hier weiter verarbeitet. Zeitweilig wurden bis zu 200 Rumhäuser gezählt. Anfang des 19. Jahrhunderts hatte auch diese Hoch-Zeit ein Ende. In Folge des Deutsch-Dänischen Kriegs 1864 fiel Schleswig-Holstein und damit auch Flensburg an Preußen. Im Jahr 1920 wurde schließlich im Rahmen einer Volksbefragung der Grenzverlauf zwischen Deutschland und Dänemark neu bestimmt. Nordschleswig gehörte fortan zu Dänemark und Flensburg wurde plötzlich zur Grenzstadt. Im zweiten Weltkrieg wurden nur etwa 5% der Stadt zerstört, sodass man heute immer noch sehr viele historische Gebäude vorfindet. Im Mai 1945 war die Stadt Sitz der letzten Reichsregierung unter Karl Dönitz. In heutiger Zeit kennt man sie eher wegen des hier ansässigen Kraftfahrtbundesamtes, des leckeren Bieres mit den lustigen Werbespots und der erfolgreichen Handballmannschaft. So viel in aller Kürze zur aufregenden und eigentlich weitaus komplexeren Vergangenheit der Stadt.

 

Auch eine Theaterstadt

Das Stadttheater in der Rathausstraße (c) Marc Rohde

Für die Größe der Stadt ist das Theaterangebot sehr vielfältig. Sogar eine Niederdeutsche Bühne und ein dänisches Theater gibt es. Die Flensburger Theatergeschichte begann im Jahr 1450, als Bürger der Stadt unter Anleitung von Geistlichen in St. Marien ein Passionsspiel aufführten. 1795 eröffnete in Flensburg das erste bürgerliche Theater Schleswig-Holsteins seinen Spielbetrieb. Bemerkenswert ist auch ein Gastauftritt von Pietro Mascagni, der im Jahr 1877 in der damaligen Sängerhalle im Tivoli am oberen Südergraben stattgefunden hat. Das heute noch bespielte Stadttheater in der Rathausstraße wurde 1894 eröffnet. Der Baustil orientiert sich an italienischen Renaissancebauten und greift durch die Verwendung von Backsteinen norddeutsche Bautraditionen auf.  Am 1. August 1974 wurde aus wirtschaftlichen Gründen gemeinsam mit den Theatern in Schleswig und Rendsburg die Schleswig-Holsteinische Landestheater und Sinfonieorchester GmbH gegründet. Das Musiktheater des insgesamt etwa 380 Beschäftigte zählenden Landestheaters hat bis heute seinen Sitz in Flensburg. 

Die geografische Lage der drittgrößten Stadt Schleswig-Holsteins am Ende der Flensburger Förde und damit am westlichsten Punkt der Ostsee ist für einen erholsamen Urlaub ideal. Auch die Nordsee ist in einer Dreiviertelstunde zu erreichen. Unzählige Ferienwohnungen und viele Hotels stehen den Urlaubern in der Region zur Verfügung.

 

Flüssiges Gold aus der Karibik

Emissionsfrei nach Flensburg transportierter Barbados Rum (c) Marc Rohde

Rum hat den Flensburgern einst enormen Wohlstand beschert und auch heute noch lassen sich überall in der Stadt Spuren der hochprozentigen Vergangenheit entdecken:

Im Schifffahrtsmuseum unten am Hafen gibt es im Café des Rum Kontors die besten Rumkugeln weit und breit. Hergestellt werden sie in liebevoller Handarbeit mit dem traditionsreichen Johannsen Rum aus der Fördestadt. Diesen und viele weitere teilweise sehr exklusive Rumspezialitäten, edle Schokoladen und maritime Souvenirs gibt es hier zu kaufen. Inhaberin Beate importiert hin und wieder sogar emissionsfrei per Frachtsegler aus Barbados transportierte Rumfässer und füllt das flüssige Gold selbst in Flaschen ab.

Gegenüber im Museumshafen liegt neben anderen schwimmenden Kostbarkeiten auch der ehemalige Haikutter „Dagmar Aaen“, mit dem Arved Fuchs schon die eine oder andere abenteuerliche Expedition in die Polarregionen unserer Erde unternommen hat.    

Die parallel zum Ufer verlaufende Norderstraße wurde 2014 vom New Yorker Reisemagazin „Travel + Leisure“ zu einer der achtzehn verrücktesten Straßen der Welt gekürt. Die Shoefitis (an Leinen über der Straße hängende Schuhe) haben sie berühmt gemacht. Um den Ursprung dieses außergewöhnlichen Kunstwerks ranken sich verschiedene Legenden, aber keine davon ist bisher belegt worden. Vielleicht haben einst tatsächlich nur Kunden eines Skatershops nach dem Kauf neuer Sneaker ihre alten über die Leinen geworfen.

Klopapierrollen hamsternder Hamster (c) Marc Rohde

Ebenfalls in der als multikulturellem Szeneviertel bekannten Norderstraße haben die Wandmalereien der Streetart Künstlerin mit den Initialen N.M. ihren Ursprung. Zunächst malte sie Katzen, später kamen andere Tiere hinzu. Mittlerweile gibt es sogar in Bonn verzierte Häuser dieser anonym bleiben wollenden Künstlerin. Passend zu den Corona-bedingten Hamsterkäufen entstand auch dieses possierliche Tierchen, welches allerdings als „Paste Up“ temporär auf die Hauswand aufgetragen wurde und inzwischen schon wieder verschwunden ist.

 

Prachtbauten so weit das Auge reicht

Geht man weiter in den Norden, passiert man schließlich das historische Nordertor aus den Jahren 1595/1596. Das exakte Datum der Erbauung ist nicht gesichert, aber spielt das nach mehr als 400 Jahren wirklich so eine große Rolle? Es ist alt, es ist das Wahrzeichen der Stadt und wenn man heute davor steht, ist leider unübersehbar, dass es schon bessere Zeiten gehabt hat. Für ein Wahrzeichen macht es einen sonderbar vernachlässigten Eindruck. Vielleicht erinnern Sie sich noch: ab 1966 schmückte das Nordertor eine Briefmarke der Deutschen Bundespost.

Prachtbau in der Neustadt (c) Marc Rohde

Nördlich dieses Bauwerks beginnt die Neustadt, die ab 1796 entstand. Teilweise ist dieser Stadtteil zum sozialen Brennpunkt geworden. Die schönen Gebäude sind dennoch ein Grund für einen Besuch und die zahlreich vertretenen orientalischen Lebensmittelgeschäfte bieten vielfältige kulinarische Erlebnisse.

Auf dem Weg zurück in die Altstadt passiert man in unmittelbarer Nähe des Nordermarktes einen kleinen Imbiss, der vor allem Nachtschwärmern ein Begriff ist: Burrito in der Schiffbrückstraße. Teilweise reisen die Gäste extra aus Hamburg oder aus dem dänischen Kolding an, um hier ihren Lieblingssnack zu ergattern. Seit 1995 ist der Betrieb in der Hafenstadt ansässig und wird heute in zweiter Generation von Salman und seiner Familie betrieben. Lustiger weise stammen die Inhaber nicht mal aus der Nähe von Mexiko. Den Fladen liegen so auch keine mittelamerikanischen Rezepte zu Grunde, sondern es handelt sich um Eigenkreationen, die es so nur hier zu kaufen gibt. Inspiriert von Fernsehserien wie „Miami Vice“ wurde so lange herum experimentiert, bis das Ergebnis gefiel. Geradezu legendär ist die Safransoße, die auf keinen Fall fehlen darf. Nicht typisch norddeutsch, aber doch ein echtes Flensburger Original! In Flensburg finden Sie aber natürlich auch Fischbrötchen, dänische Hot Dogs, Softeis und zahlreiche Restaurants.

 

Originale Fälschungen

Malskat nach Marc Chagal (c) Marc Rohde

Im Südergraben befindet sich ein imposanter Backsteinbau im Stile der preußischen Einschüchterungsarchitektur: der Altbau des Landgerichts. Nach Voranmeldung können Einheimische und Touristen gegen eine kleine Spende die gerichtshistorische Sammlung des Hauses besichtigen. Unter anderem sind hier „echte“ Lothar Malskat-Fälschungen, die in Zusammenhang mit dem Lübecker Bildfälscherprozess (1954/1955) stehen, zu sehen. Das Bild „Russische Braut“ ist besonders eindrucksvoll geworden und wurde sogar in einem ebenfalls ausgestellten Brief von Marc Chagall als eigenhändig von ihm gemalt anerkannt. Neben dieser einmaligen Sammlung dürfen Gäste auch die kunsthistorisch bedeutsamen Teile des Gebäudes von 1882 bestaunen. Hierzu zählt der mit Wandmalereien verzierte Treppenaufgang im Stil des Historismus, ein Standbild des Kaisers Wilhelm I. und der weitgehend original erhaltene Schwurgerichtssaal.

 

Die andere Seite – das Ostufer

Es lohnt sich auch der Weg hinüber auf die Ostseite des Hafens. Von hier aus hat man einen guten Blick auf die wunderschöne Altstadt und kann beim Spaziergang am Wasser entlang die Überbleibsel des einst umtriebigen Industriehafens erkunden.

Industriehafen am Ostufer des Hafens (c) Marc Rohde

An den mächtigen Silos treffen sich abends Autoliebhaber mit mehr oder weniger getunten Fahrzeugen. Manchmal sitzen sie nur in ihren Wagen und starren in ihre Handys, hin und wieder fachsimpeln sie auch in kleinen Grüppchen mit anderen. Inmitten der Industrieanlagen liegt im alten Gebäude der Waage das mediterrane Lokal Hafenjunge Pedro. Die gemütliche Tapas-Bar mit Lounge-Bereich ist leicht zu übersehen und gilt als echter Geheimtipp. Am Ende des Harniskais gelangt man schließlich zum Piratennest, einer Freiland-Kneipe, über die der Betreiber einst in einem Interview sagte: „Wenn einer kommt, dann mache ich auf.“ Von dort aus hat man einen exzellenten Blick auf das gegenüberliegende Gelände der Flensburger Schiffbaugesellschaft. Auf der anderen Seite erspäht man in der Ferne den Sportboothafen Sonwik (ehemals Torpedostation der Marine – im Juli eröffnet hier ein neues Hotel mit Rooftop Pool) und das heute noch als Marineschule genutzte „Rote Schloss am Meer“, das nach dem Vorbild der Marienburg des Deutschen Ordens erbaut wurde. Den touristisch attraktiven Gang durch die Sankt-Jürgen-Straße sollten Sie auf dem Rückweg auf keinen Fall versäumen. Sie bildet das Herz des historischen Kapitänsviertels mit seinen unzähligen denkmalgeschützten kleinen Häuschen.

 

Jugendstilfassade im Südergraben (c) Marc Rohde

Themen-Spaziergänge

Neben der ebenfalls unbedingt sehenswerten Rum und Zucker Meile und dem Kapitänsweg gibt es seit 2020 eine weitere kulturhistorische Route. Der Jugendstil-Weg verbindet zwanzig architektonische Perlen dieser Epoche miteinander. In der rasant wachsenden Förderstadt entstanden um 1900 herausragende Beispiele der Jugendstilarchitektur, die heute noch ganze Straßenzüge prägen.

 

Maritimes aus dem Netz

Wenn Sie jetzt Lust auf mehr Meer bekommen haben und sich zur Einstimmung auf Ihren Besuch im Norden ein kleines maritimes Accessoire für zu Hause bestellen wollen, schauen Sie doch mal in diesen -zugegebenermaßen nicht Flensburger– Online-Shop der Manufaktur für maritime Kleinigkeiten „klitze-mini-bisschen“.

 

Flensburg und die schönste Förde der Welt freuen sich auf Ihren Besuch! Offizielle Informationen finden Sie auf diesen Seiten.

 

(c) Marc Rohde / Mai 2020

 

 

 

 

 

 

 

SØNDERBORG/ Alsion: EUGEN ONEGIN

Den Jyske Opera ist eigentlich in der dänischen Stadt Aarhus beheimatet, aber tourt mit ihren Produktionen durch weite Teile Dänemarks. In der kleinen Stadt Sonderburg an der Flensburger Förde gibt es kein Theater. Seit 2007 existiert hier aber ein Konzertsaal mit einer ganz hervorragenden Akustik. Einige Kritiker sprechen sogar davon, dass dieser Saal zu den weltweit besten für klassische symphonische Musik gehört.

Für die szenische Opernproduktion wurde das Podium zur Bühne umfunktioniert und das Orchester davor im Zuschauerbereich platziert. Trotz der auf den ersten Blick nicht perfekten Bedingungen waren sowohl optisch als auch klanglich keine Abstriche zu machen. Das in Sonderburg beheimatete Sønderjyllands Symfonieorkester unter der Leitung von Tecwyn Evans klang ausgeglichen und untermalte Tschaikowskis „lyrische Szenen“ optimal und ohne zu stark in den Vordergrund zu rücken oder die Sänger zu überdecken. Dass bei der knapp zwei Monate dauernden Tour alle Rollen doppelt besetzt sind, ist keine große Überraschung. Dass insgesamt fünf verschiedene lokale Orchester zum Einsatz kommen ist aber eine Besonderheit die ich nicht verschweigen möchte. Von wenigen kleinen Abstimmungsproblemen abgesehen meisterten die Sonderburger Musiker ihre Aufgabe vorzüglich.

Hinrich Horstkotte zeichnet sich für die Inszenierung, das Bühnenbild und die Kostüme verantwortlich. Diese Produktion war bereits 2016 am Nordharzer Städtebundtheater in Halberstadt zu sehen. Bei ihm spielt die musikalische Reminiszenz an Alexander Puschkins Romanvorlage um das Jahr 1890, also zu Lebzeiten des Komponisten. Es gelingt dem deutschen Regisseur und Ausstatter, melancholische Stimmungen auf die Bühne zu zaubern. Bei allen Charakteren hat man den Eindruck, sie seien auf der Suche nach irgendetwas, das ihnen schlussendlich doch verwehrt bleibt. Dabei spielen die beiden ersten Akte fast ausnahmslos in weißen Kostümen und weißer Kulisse. Nur Onegin trägt von Beginn an Schwarz. In der Ball-Szene geht es ebenfalls, trotz der aufwändigen und opulenten Kostüme farblos zu und die Beliebigkeit derartiger gesellschaftlicher Ereignisse wird gut zum Ausdruck gebracht. Trotz aller Opulenz dominiert die innere Langeweile. Nachdem Lenski im Duell gegen Onegin unterliegt wandelt sich alles und Schwarz dominiert bis zum Schlussakkord. Ist diese dunkle Seite trister als die strahlende? Eigentlich nicht.  

Jens Søndergaard als Onegin und Elin Pritchard (Tatjana)

Jens Søndergaard, den ich einige Monate zuvor schon als Wotan in Esbjerg erleben durfte, punktete in der Titelrolle mit noblem Gestus und geschmeidigem edel timbriertem Bariton. Philippe Do als Lenski agierte anfangs mit alberner Perücke und später im Pierrot-Kostüm. Er hätte seine vokale Interpretation etwas subtiler ausgestalten dürfen, aber fügte sich stützend ins Ensemble ein. Fürst Gremin wurde mit der nötigen Noblesse von Valerian Ruminski gegeben. Ein wenig mehr russische Schwärze in der Stimme hätte der Interpretation noch besser getan. Jens Jagd gefiel als Triquet. Seine musikalische Huldigung Tatjanas geriet szenisch zu einem kabarettistischem Juwel. Johanne Højlund gab der Olga darstellerisch Profil. Ihr Mezzo klang jedoch mitunter angespannt und etwas zu schwer für die Partie des jungen Mädchens. Rollendeckend hingegen gelang der walisischen Sopranistin Elin Pritchard mit ihrer warmen Stimme die Gestaltung der Tatjana.

Insgesamt ein gelungener Abend, der nicht zuletzt wegen zahlreicher auf der Bühne angedeuteter Birken russische Melancholie verströmt und dank Horstkottes Ansatz dabei nicht ins Museale abgleitet.

Marc Rohde

FLENSBURG/ Schleswig-Holsteinisches-Landestheater: RIGOLETTO, Premiere

Es war eine besondere Premiere, die da am Schleswig-Holsteinischen Landestheater stattfand: Zum einen handelte es sich um die erste Musiktheaterproduktion der Saison, spannender machten den Abend aber die Faktoren neuer Generalmusikdirektor und scheidender Generalintendant. Diese besondere Atmosphäre und nicht zuletzt die künstlerischen Leistungen des Abends belohnte das Publikum schließlich mit stehenden Ovationen.

Beginnen wir beim scheidenden Generalintendanten. Peter Grisebach ist seit der Spielzeit 2010/2011 Generalintendant des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters und Sinfonieorchesters. Damals stand das Haus kurz vor der Insolvenz und er trug durch seine Neuausrichtung des Musiktheaters, des Schauspiels und des Balletts maßgeblich dazu bei, dass Deutschlands nördlichste Region heute überhaupt noch ein eigenständiges Dreispartenhaus hat. So galt ein Teil des Jubels sicher der Gesamtleistung des Intendanten und nur zum Teil der an diesem Abend gesehenen Inszenierung. Diese sollte modern sein, was durch Kostüme und Bühnenbild auch klar zum Ausdruck kam, war aber doch eher unaufgeregt. Das rauschende Fest zu Beginn deutet Ausschweifungen eigentlich nur an. Die auf Konsumgut reduzierten Damen sind auf der kleinen Flensburger Bühne züchtiger gekleidet, als manche Abiturientin beim Shopping in der Fußgängerzone. Rigoletto hat bei Grisebach keinen Buckel, sondern eine Gehbehinderung, die ihn in einigen Szenen in einem extravaganten Rollstuhl über die Bühne gleiten und ihn in anderen Bildern an Krücken gehen lässt. Das Bühnenbild von Michele Lorenzini zeigt den Palast des Herzogs als moderne und gleichsam architektonisch kühle Villa, Rigolettos Haus als Käfig, in dem er seine Tochter Gilda vor Gefahren aus der Außenwelt beschützt, sie aber in der Konsequenz gleichzeitig ihrer Freiheit beraubt und Sparafuciles Heim lässt er gar zur Rotlichtbar mutieren. Die Kostüme sind tendenziell unauffällig und zeitgemäß, umso klarer stechen der farbenfrohe blaue Anzug des Duca und auch die einfallsreiche Rollstuhlkonstruktion Rigolettos ins Auge.

Rauschendes Fest beim Duca di Mantua © Henrik Matzen

Kimbo Ishii am Pult sorgte am Premierenabend für ein konzentriert und harmonisch aufspielendes Schleswig-Holsteinisches Sinfonieorchester, das Verdis Partitur sehr geschmeidig und an den nötigen Stellen auch dramatisch umsetzte. Der absolut bewundernswerten Leistung, dass alle Sänger stets ohne brüllen zu müssen sehr gut zu hören waren, gebührt ein Sonderlob.

Chul-Hyun Kim (Duca di Mantua) hatte durchaus die Phonstärke, um sich auch gegen unsensibler aufspielende Musiker Gehör zu verschaffen. Insbesondere im zweiten und dritten Akt tat er sich schwer damit, seine vokalen Kräfte zu zügeln. Wenn es ihm doch gelang, klang sein Tenor strahlend und schön. Kai-Moritz von Blanckenburg gestaltete einen intensiven Rigoletto. Er verstand es, den Charakter des ausgegrenzten und um seine Tochter sorgenden Hofnarren darstellerisch optimal zu verkörpern und wartete dabei mit einem schönstimmigen Verdi-Bariton auf. Manchmal meinte ich, eine gewisse Nervosität herausgehört zu haben, aber falls dies keine Einbildung war, sollte sich das in den kommenden Vorstellungen schnell legen. Einen uneingeschränkt positiven Eindruck hinterließ Amelie Müller als Gilda. Ihr Sopran überzeugte mit einem bezaubernden silbrigen Klang, der sowohl in den Koloraturen als auch in den lyrischen Passagen wunderbar zur Geltung kam und dessen Timbre wunderbar zur Rolle passte. Sie verstand es vorzüglich die Wandlung von der behüteten Tochter zur emanzipierten Frau zu durchleben und punktete auch durch ihr ausdrucksstarkes Spiel. Sparafucile gab das neue Ensemblemitlgied Roger Krebs und machte Lust auf weitere Begegnungen mit dem Sänger. Eva Maria Summerer als Maddalena zeigte ebenfalls Profil. Auch die weiteren Rollen waren gut besetzt und auch der Chor unter der Leitung von Bernd Stepputtis trug seinen Teil zum Erfolg des Abends bei.

Emotionale Protagonisten in nüchternem Ambiente: Kai-Moritz von Blanckenburg und Amelie Müller © Henrik Matzen

Auch für diese Produktion lohnt sich ein Ausflug zu Deutschlands nördlichstem Opernhaus. Nicht nur Touristen, sondern auch Opernliebhabern und Agenten auf der Suche nach sehr guten Sängern sei die Reise an die dänische Grenze ans Herz gelegt.

Marc Rohde 09/2019