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Susanne Rode-Breymann: ALMA MAHLER-WERFEL

24.02.2015 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

BuchCover Rode Alma Mahler Werfel

Susanne Rode-Breymann:
ALMA MAHLER-WERFEL
Muse Gattin Witwe
335 Seiten, Verlag C.H.Beck, 2015

Der Schiller-Spruch, dass „von der Parteien Gunst und Haß verwirrt“, das „Charakterbild in der Geschichte“ schwanke, ist für Alma Mahler-Werfel nur geringfügig anzuwenden – denn sie hat zwar überdurchschnittlich zahlreiche biographische Deutungen erfahren, aber dass sie ihren Autoren sympathisch gewesen wäre, kann man in kaum einem Fall sagen.

Das Problem ihrer Rezeption besteht nicht zuletzt darin, dass sie vor allem in ihrer letzten Lebensperiode versucht hat, ein hoch stilisiertes Bild ihrer selbst der Nachwelt zu vermitteln – aber diese empfindet Almas Selbstaussagen als angeberisch, pathetisch, fast lächerlich geprahlt. Diesen unsympathischen Umriss der Persönlichkeit versuchen dann viele Biographen – mit Almas eigener Hilfe – zu belegen.

Susanne Rode-Breymann, die offensichtlich zur Ehrenrettung dieser schillernden Alma antritt, kann passagenweise negative und abwertende Aussagen der Biographen-Kollegen in aller Ausführlichkeit zitieren, um sie dann zu hinterfragen und mit Gegenargumenten zu widerlegen. Die Musikwissenschaftlerin, die als Mitherausgeberin von Almas Tagebüchern 1898-1902 fungierte, kennt ihr Thema wirklich aus der Nähe. Auch kann sie sich auf die erst jüngst erschienenen Briefwechsel Almas mit Arnold Schönberg und Alban Berg (und dessen Ehefrau) stützten, die in hohem Maße eingebracht werden. Das reicht schon, um zumindest den ersten Teil des Buches mit einem „sympathischen“ Porträt der Protagonistin zu versehen.

Dass der frühe Verlust des Vaters, des großen Malers Emil Jakob Schindler, ein Mädchen, das an diesem bewunderten Vater hing, schwer verstörte, glaubt man gerne, dass lebenslange Erinnerungsarbeit da beginnt, wo man im Gedächtnis etwas Wertvolles bewahren will, leuchtet auch ein. Ob das weitere Leben Almas wirklich so sehr davon beeinflusst wurde – die kritische Stellung zur Mutter, die offenbar dem Gatten nie treu war und sehr bald dessen Schüler Carl Moll heiratete, wird angedeutet, aber wie sehr die Molls doch Teil von Almas Leben bis zur Emigration waren, weiß man besser aus anderen Büchern, wie sich Susanne Rode-Breymann überhaupt mancher Auslassungen schuldig zu machen scheint.

Jedenfalls gelingt ihr eines: Sie übernimmt nicht die Verachtung, die Gustav Mahlers Freunde seiner schönen, jungen, arischen Frau entgegenbrachten, sondern zeigt überzeugend auf, wie klug und gebildet diese Alma war, die für Mahler nicht nur Sexobjekt, sondern auch intellektuelle Gefährtin sein konnte. Nicht nur lebenslang eine leidenschaftliche Leserin, die laut Autorin auch wusste, was sie las – darüber hinaus war es ihre überragende musikalische Bildung (sonst kann man Partituren nicht abschreiben, nicht mit dem Schöpfer diskutieren), die sie zur geeigneten Gefährtin eines Komponistengenies machte, ihre Opern- und vor allem Wagner-Leidenschaft ließ sie Mahlers Opernarbeit in Wien voll rezipieren und dabei mitgehen.

Freilich, Mahler davon „frei zu sprechen“, dass er Alma aus Egoismus das Komponieren verbot, überzeugt weniger, die Schilderung des gemeinsamen Alltags mehr. Dabei gerät das sehr ausführlich. Das 335 Seiten lange Buch ist bis zu Mahlers Tod 1911 bis auf Seite 174 gediehen – da war Alma, geboren 1879, noch nicht ganz 32 Jahre alt. Sie starb 1964 im Alter von 85 Jahren – mehr als ein halbes Jahrhundert, in dem rein äußerlich unendlich mehr passierte, wird in den Rest des Buches mehr oder minder gequetscht. Nun weiß man ja, dass die Vorgaben von Verlagen bezüglich des Umfangs recht streng sind, und man versteht, dass eine Autorin dort, wo sie sich „zuhause“ fühlt, also bei der frühen Alma (wo man auch die Tagebücher noch original zitieren kann, nicht Almas spätere Um- und Überschreibungen), nicht kürzen wollte. Aber das Missverhältnis wird klar.

Denn manches mag vor der Zäsur des Mahler-Todes zu ausführlich geraten sein – man muss in einem Buch über die Ehefrau nicht so genau geschildert bekommen, wie schwierig etwa die Umstände von Mahlers Konzerttätigkeit in New York waren. Später vermisst man dann schlechtweg vieles, nicht nur ausführlichere Schilderungen mancher ihrer Männer-Beziehungen, sondern rein Faktisches: So hat Alma Mahler-Werfel immer wieder Häuser gebaut (am Semmering) oder teuer erworben (auf der Hohen Warte), ohne dass die Autorin wirklich klar machte, wie dergleichen finanziell gelaufen ist – auch das Leben als „Salonière“ war aufwendig, man hätte gerne mehr gewusst.

Besonders seltsam mutet an, in einem einzigen Satz (!) zu erfahren, dass Alma und Werfel (und Heinrich, Nelly und Golo Mann) 1940 zu Fuß aufbrachen, in Katalanien „die Pyrenäen“ überquerten, von wo es nach Lissabon weiterging. Es ist schier unmöglich, einem Biographen eine solche Information nachzusehen. Man weiß, dass Alma und Werfel damals nicht mehr jung waren (sie immerhin 61), beide übergewichtig, beide nicht gesund – und sie „überqueren die Pyrenäen“? Dazu gibt es nichts zu erzählen? Abgesehen davon, dass Lissabon von dort auch nicht der nächste Umweg ist und man eigentlich ganz gerne gewusst hätte, wie so etwas bewerkstelligt wurde. Auch war Alma dann im amerikanischen Exil von ihren Bildern, Partituren, Büchern und anderen Besitztümern umgeben – wurden diese von Sherpas geschleppt, wie kamen sie hinüber? Über dergleichen hinwegzuschreiben, ist Nachlässigkeit.

Die Autorin, die in der ersten Hälfte des Buches so vieles hinterfragt, um das (glaubhafte) Bild einer besonders intelligenten jungen Frau zu zeichnen, gleitet in der Folge über manches Thema locker hinweg, besonders über Almas verbrieften Antisemitismus, der für eine Frau, die mit zwei der berühmtesten Juden ihrer Zeit verheiratet war, doch seltsam genug ist, um zumindest eine ausführliche Nachfrage zu evozieren (und dann auch wieder ihre Intelligenz zu hinterfragen). Susanne Rode-Breymann lässt es damit bewenden, Alma „freizusprechen“, weil sie ja nicht mit Werfel in die Emigration hätte gehen müssen. Stimmt. (Wobei die Rolle, die eine in Almas Besitz befindliche Bruckner-Partitur, die Hitler so gerne haben wollte, nicht geschildert wird, auch nicht die Rolle von Carl Moll dabei, und das doch ein wichtiges Thema gewesen wäre.) Sie hätte in Österreich bleiben können, es wäre ihr wohl kaum etwas passiert. Warum sie mit Werfel ging? Vielleicht wäre da ein Erklärungsansatz möglich gewesen?

Das Buch hat viele interessante Aspekte, so versucht die Autorin in querschnittartigen Kapiteln Almas Beziehungen zu Frauen, Männern und Kindern allgemein zu analysieren – aber die Auslassungen sind dann doch seltsam genug. Vielleicht muss man nicht erwähnen, dass die alte Alma in New York (auch dort war sie noch Haus-Käuferin!) geradezu Verfallenheit an den Kräuterlikör Bénédictine zeigte, den sie unmäßig genoß (obwohl auch das zu ihrem Bild gehört). Aber wenn davon die Rede ist, dass die tote Alma nach Wien überführt und am Grinzinger Friedhof im Grab ihrer Tochter Manon Gropius beigesetzt wurde – dann versteht man nicht, dass die Autorin nicht wenigstens in einem Nebensatz erwähnt, dass das Grab von Gustav Mahler nur wenige Schritte entfernt ist…

So wird man diese neue Biographie von Alma Mahler-Werfel nur in der ersten Hälfte mit Gewinn lesen. Der Rest galoppiert quasi im „schnellen Vorlauf“ durch ihr übriges Leben und lässt den Wunsch nach mancher genauerer Betrachtung offen – zumal die Autorin ja ursprünglich nicht zur üblichen Schmähung, sondern zur Anerkennung der Persönlichkeit angesetzt hat.

Renate Wagner

 

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